Prof. Dr. Reto Neiger - "Abwechslung ist das halbe Leben!"

Portrait Andreas Moll
von Andreas Moll – 01.08.2020

Sie heißen Altano, Anicura, Activet, Evidensia, SmartVet, TeamVet oder Vettrust. Das Ziel dieser Gruppen ist es, Tierarztpraxen und -kliniken zu kaufen, um das Knowhow und die Erfahrung zu bündeln, um letztliche eine bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Das notwendige Kapital kommt von Private-Equity-Gesellschaften, die Gelder sammeln, um diese in interessanten Märkten anzulegen. Tierarztpraxen und -kliniken sind für diese Gesellschaften spannend, denn hier ist das Rendite/Risiko-Verhältnis sehr günstig.

IVC Evidensia, die führende Tiermedizin-Gruppe in Europa, mit aktuell 1403 Kliniken und Praxen in elf Ländern, hat im Dezember 2019 für einen Paukenschlag gesorgt, als sie die Verpflichtung von Prof. Dr. Reto Neiger als neuen Tiermedizinischen Direktor bekannt gab. Seitdem legt der Tiermediziner seinen Fokus auf die Weiterentwicklung aller tiermedizinischen Standards, wie etwa Guidelines, Aufarbeitung von Fällen, Qualitätsmanagement, Hygiene und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darüber hinaus bildet er die Schnittstelle zu den internationalen tiermedizinischen Gremien der internationalen IVC Evidensia Gruppe. „Zu IVC Evidensia bin ich gewechselt, weil ich in den Gruppen eine Chance für den Beruf sehe", erklärte der hochdekorierte Tiermediziner, "vor allem für Personen, die von administrativen Aufgaben entlastet werden und sich in einem Angestelltenverhältnis auf den kurativen Part konzentrieren wollen.“

Andreas Moll traf Reto Neiger mit seinen beiden Border Terriern, Emesis (6,5 Jahre) und Nausea (1), zu einer Hunderunde über die Felder von Muschenheim, auf der der Professor berichtete, wie seine ersten Monate in der Gruppe gelaufen sind.

Wir sind froh, wenn Reto mit uns eine ausgedehnte Hunderunde dreht. Deshalb machen wir auch gerne bei den Spielchen mit, die er sich ausdenkt."

Emesis + Nausea

Border Terrier, 6,5 und 1 Jahr alt

Übelkeit und Erbrechen

Emesis (Erbrechen) ist das schwallartige Entleeren von Mageninhalt über den Mund, Nausea ist ein in der Regel auf den Magen-Darm-Trakt projiziertes Gefühl der Übelkeit, das mit Brechreiz verbunden sein kann. Emesis und Nausea, so haben Reto Neiger und seine Frau, die Tierärztin Christiane Stengel, die beiden Border Terrier genannt. Und tatsächlich hören die beiden fröhlichen und vorwitzigen Hunde auch auf ihre Namen. "Mal mehr, mal weniger", erklärt Neiger, "meiner Frau gehorchen sie aber deutlich besser." Eine Katze, vier Schafe, sieben Hühnern, ein Hahn und unzählige Frösche und Molche komplettieren die Familie, die sich am Rande von Gießen ein wunderschönes, idyllisches Heim geschaffen hat.

Hier hat Christiane Stengel, die den Titel Diplomate European College of Veterinary Internal Medicine trägt und 15 Jahre als Oberärztin Innere Medizin an der Tierklinik Hofheim gearbeitet hat, "Zweitmeinung Tierarzt" gegründet und will mittels telemedizinischer Beratung Hunden und Katzen bei schwierigen internistischen Problemen helfen. Wie genau die Tierärztin arbeitet, hat sie in dem Hunderunden-Artikel "Sicherheit nach dem zweiten Blick" geschildert. Reto Neiger, der für seine neue Tätigkeit sehr viel unterwegs ist und die zahlreichen Evidensia-Partnerpraxen in Deutschland und der Schweiz besucht, hat sich hier in diesem Paradies ein Büro eingerichtet. "Die Technik lässt es zu, auch in Coronazeiten, ohne Reisetätigkeit im ständigen Austausch zu sein, von hier aus mit dem Evidensia-Team den Kontakt zu halten und meiner Aufgabe gerecht zu werden", erklärt der Tierarzt.

Entspannung auf dem Kulturhistorischen Wanderweg Muschenheim

Wenn er mit Emesis und Nausea unterwegs ist, entspannt der Tierarzt sofort. Die beiden Border Terrier sind zwei sehr aktive, temperamentvolle Hunde, die sich wahnsinnig auf die Tour freuen. "Wichtig ist es, die beiden immer im Auge zu haben", erklärt der Hundefreund, "denn die Rasse wurde für die Jagd gezüchtet und speziell in der Fuchsjagd eingesetzt!" Emesis und Nausea jedoch sind gut erzogen und freuen sich einfach dabei zu sein. Reto Neiger kann auf eine beachtliche Karriere in der Veterinärmedizin zurückblicken. Der Startschuss fiel in Bern, wo der gebürtige Schweizer studierte. Bevor er die Professur an der JLU in Gießen antrat, war er in Amerika und England tätig. Nachdem er dann zwei Jahre als Oberarzt in der Tierklinik Hofheim tätig war, kam die Zeit, sich neuen Anforderungen zu stellen. "Der Kontakt zu Evidensia kam zu einem perfekten Zeitpunkt", erklärt Neiger, der von Anfang an überzeugt war, dass er mit seiner Erfahrung in der Lehre, im Klinikprozess sowie in der Mitarbeiterführung die Evidensia-Standorte sehr gut unterstützen kann.

Irgendwann ist auch Schluss. Hoffentlich gibt es nach der Runde etwas Vernünftiges zu fressen."

Emesis + Nausea

Border Terrier, 6,5 und 1 Jahr alt

Zur Evidensia-Gruppe gehören 27 Standorte in Deutschland und sechs in der Schweiz. Für welche Tierärztinnen und Tierärzte es Sinn macht, ihre Praxen an eine Praxisgruppe zu verkaufen, wollte ich von Prof. Reto Neiger wissen. "Sinn macht es, wenn Tierärzte im Alter zwischen 55 und 60 einen Nachfolger suchen, der ihre Tierarztpraxis weiterführt", so Neiger. "Wir wollen die ehemaligen Chefs, die in ihrer 25-jährigen Tätigkeit jedes Tier im Umkreis kennengelernt haben, noch mit im Praxisbetrieb behalten. Sie sollen Spaß haben, mitarbeiten, sich Schritt für Schritt aus dem Praxisbetrieb rausziehen, mit 65 Jahren aufhören und ihr Lebenswerk in guten Händen wissen."

Neigers Aufgabenfelder 


"In den letzten Wochen war ich in Düsseldorf und habe dort unser Vet-Zetrum geleitet, bis Dr. Felix Giebels als neuer Geschäftsführer seine Stelle angetreten hat", erklärt der Tiermediziner. In erster Linie ist er für die Weiter- und Fortbildung der Tierärzte und der TFA zuständig, baut derzeit eine interne Webinarreihe auf. Darüber hinaus kümmert er sich um die Weiterentwicklung aller tiermedizinischen Standards, arbeitet mit den Kollegen veterinärmedizinische Fälle auf und entwickelt Qualitäts- und Hygiene-Guidelines. "Ich will auf jeden Fall nach und nach unsere Partnerpraxen in Deutschland und der Schweiz besuchen, herausfinden, wo der Schuh drückt und welche Maßnahmen getroffen werden müssen. Um unsere Kommunikation zu verbessern, haben wir ein Intranet installiert, bieten hier Webinare und andere Fortbildungstools an, geben Behandlungsempfehlungen, stellen Verträge online und tauschen generell Informationen aus." 


Die Furcht vor den Praxisketten - berechtigt oder nicht?

Viele Tierärztinnen und Tierärzte sehen die Praxisketten sehr kritisch, haben Angst, dass diese den Markt beherrschen und die Existenz der kleinen Praxen bedrohen. "Ich habe diese Aktivitäten am Anfang , als ich noch in Gießen an der Uni tätig war, argwöhnisch betrachtet", erzählt Neiger, "doch mittlerweile denke ich, das die Gruppen sehr wichtig sind." Er ist der Meinung, dass alle Praxen ihre Berechtigung haben. Viele Tierbesitzer gehen nicht in eine große Klinik, sondern bevorzugen die kleine, ihnen bekannte Praxis in der Nachbarschaft, in der die Tiere mit einfachen Mitteln behandelt und in schwierigen Fällen an eine spezialisierte Klinik überwiesen werden. 


Professor Neiger weist auf die Feminisierung der Tierärzteschaft hin. Derzeit sind 70% aller Veterinäre Frauen, und die Quote wird bald auf 80% steigen. Sie wollen mehrheitlich angestellt arbeiten, erwarten dabei planbare Arbeitszeiten und einen angemessenen Verdienst. Familienplanung und Work-Life-Balance stehen den Strapazen einer Selbstständigkeit gegenüber. Viele wollen nicht das Risiko eingehen, eine große Tierarztpraxis zu eröffnen oder zu kaufen. Diesen Tierärzten und Tierärztinnen bietet unsere Gruppe die Möglichkeit, als Angestellte die Geschäftsführung einer Klinik zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen, das Unternehmen medizinisch und finanziell weiterzuentwickeln - jedoch ohne das finanzielle Risiko und die administrative Arbeit zu haben und darüber hinaus mit der fachlichen Unterstützung der Gruppe. "Ich kenne viele hervorragende Chirurgen, die ihren Job lieben, die gut zu ihren Mitarbeitern sind, die aber absolut keine Lust auf den immensen administrativen Anteil haben." weiß Neiger, "Die sind in unserer Gruppe bestens aufgehoben."

Emesis und Nausea

Die Vierbeiner interessiert natürlich absolut nicht, was Reto Neiger so alles erzählt. Tierärztlich werden die beiden von ihren Besitzern behandelt, und da sind sie sicherlich auch in den besten Händen. Emesis und Nausea haben jedenfalls die Hunderunde trotz der Hitze und des fehlenden Schattens sehr genossen und nehmen zum Abschluss ein kühles Bad im Welsbach.