Da kommen sie! Schon von weitem sieht man diesen großgewachsenen Mann mit den acht Hunden. Acht Hunde, große und kräftige, kleine und quirlige, acht Hunde unterschiedlichster Art und Rasse, die schnurgerade wie an einer Linie rechts und links von Masih Samin gehen. An das „Ah, wie witzig!“ und „Oh, wie süß!“ der Passanten gewöhnt man sich auf dieser Runde schnell.
Masih ist konzentriert, die Hunde aufmerksam. Sein „Uuuund los!“ gibt den Tieren während dieser Runde das gute Gefühl, sich auf ihren Rudelführer verlassen zu können. Denn das ist die Rolle, die Masih Samin einnimmt. Immer dann, wenn er mit einem Hund unterwegs ist. Er wird zum Leittier und übernimmt damit die Verantwortung, die jeder Hundebesitzer seiner Meinung nach hat. Ein Hund, der keinen klaren Platz in der Familie hat und dem nicht gesagt wird, was er darf und was nicht, ist völlig überfordert.
Die Hunde an Masihs Leine sind nicht überfordert. Sie warten auf sein Signal. Und bleiben stehen. Um beim nächsten Signal gemeinsam über die Straße zu gehen. Auf der Freilauffläche, ein paar hundert Meter weiter hinter dem Stüttgenhof, dann immer noch kein Anzeichen von Überforderung. Die typischen Freifläche-Gefahren bleiben aus, keine Spur von Fußgängerschreck oder Fremde-Hunde-Attakierer. Stattdessen schmeißt Masih Leckerchen – und die Hunde warten, bis er ihnen mit einer Handbewegung anzeigt, loszulaufen. Einer der Hunde kommt zu nah an die Bahngleise, ein Pfiff, und der Hund ist zurück an Masihs Seite. Die Hunde haben ihn ganz offensichtlich als Rudelführer anerkannt und zwar alle, wie sie da sind mit ihren unterschiedlichen Rassen und Temperamenten: bei dieser Runde orientieren sich ein Kangal, ein Bull Mastiff, ein Welshterrier und ein Vorstehend-Mix genauso an Masih, wie ein Dackel-Podenco, ein Jack Russel-Chihuahua, ein Boxer und ein Parson Russel. Am Tag zuvor war die Mischung eine andere und ein Tag später kommen noch mal zwei Hunde dazu. Masih Samin ist Hundetrainer und diese Runde ist kein Spaziergang. Diese Runde ist Arbeit. Für den Trainer ebenso wie für die Hunde. Zu ihm kommen sie wegen Verhaltensauffälligkeiten. Sie sind angst-aggressiv, gehen Menschen an, oder andere Hunde. Sie können sich nicht in Gruppen integrieren und ihre Besitzer verzweifeln an ihnen. Angst-aggressiv? Gefährlich? Noch nie habe ich mich so wohl und entspannt unter so vielen Hunden gefühlt. Aber das, so erfahre ich dann, ist das Ergebnis seiner Arbeit mit den Tieren. Dass er allerdings relativ schnell aus einem aggressiven einen ganz entspannten Hund macht, das glaubt man Masih, nachdem man ihn fünf Minuten mit den Hunden erlebt.
Der Hundeflüsterer!
Der charismatische Kölner mit afghanischen Wurzeln wird in Hundebesitzerkreisen nur „der Hundeflüsterer“ genannt. Das klingt ein bisschen zu viel nach Hollywood-Kitsch, bis Masih warnt: „Achtung, nicht erschrecken. Der hinter dir bellt gleich.“ Eine halbe Minute später schlug der Hund hinter mir an. Fühlen könne er sie, die Hunde, er respektiere sie als Tiere. Das, so zeige ihm seine langjährige Erfahrung mit Hunden und vor allem mit deren Besitzer, vergessen die meisten. Hunde werden, so der Hundetrainer, oft als Menschenersatz gesehen, und nicht als das, was sie sind, nämlich Raubtiere. Und weil sie als solche immer einer Rangordnung folgten, stehe man für ein entspanntes Miteinander mit Hund bestenfalls im Rang ganz oben. Das beginne beim Eintreten in die Wohnung – der Ranghöchste geht voran – gehe über die Platzwahl des Hundekissens – niemals an so strategisch wichtigem Platz wie dem Durchgang vom Wohnzimmer zur Küche – bis hin zur aufrechten Haltung – eine gebückte Haltung, sei sie noch so lieb gemeint, signalisiert einem Hund, dass man sich ihm unterwirft. Äußerst sensibel spüren Hunde die Energie am anderen Ende der Leine. So werden sie nervös und mit unter aggressiv bei unsicherer Führung und entspannen aber eben auch bei einer Führung, die ihnen signalisiert, dass der Mensch weiß, was er tut und selber angstfrei ist. Eine Herausforderung sei das, es erfordere Umdenken und Konzentration. Akzeptiert der Hund seinen Besitzer aber als Ranghöchsten, könne eine wunderbare Beziehung entstehen. Hunde, so schwärmt der Hundefreund Masih, seien einfach großartig, geben sie ihm doch Kraft und erden ihn.
Masih ist mein Chef. Er weiß immer, was zu tun ist, und ich kann mich 100 Prozent auf ihn verlassen. Masih ist der Chef des Rudels, das ich zusammenhalte!“
Eine ganz besondere Beziehung hat er so zu seinem Kangal aufgebaut, der auf den Namen "Mädchen" hört. Die große Hündin mit der schwarzen Maske fällt sofort auf, auch weil sie die einzige ist, die nicht an der Leine läuft. Und beeindruckt, als man ihn in Aktion sieht: als der Gruppe nämlich ein fremder Hund entgegen kommt und die Sieben ein wenig nervös werden, schickt Masih sein Mädchen vor, um den fremden Hund abzuchecken und so den Weg für die anderen frei zu machen. Nachdem die Hunde ganz entspannt aneinander vorbei sind, trabt Mädchen wieder zurück in die Reihe, schnurgerade, ohne Leine.
Kangale, so erfährt man von Masih, sind türkische Hütehunde, das mache ihn zu einem unverzichtbaren Begleiter, hält er doch das Rudel, besonders auf der Freilauffläche, zusammen. Aber das beschreibt nur einen Teil der guten Beziehung zwischen Masih und Mädchen. Als die Hündin zu ihm kam, war sie dominant-aggressiv, die Frustration und der fehlende Sozialkontakt führte zu explosiven Wutausbrüchen. Niemals hätte Masih sie frei rumlaufen lassen. Dann begann er mit der Monate langen Arbeit, bei der er Mädchen keine Sekunde von der Seite gewichen ist. Sie waren stundenlang draußen, um sie auszupowern, er stellte immer wieder die Rangordnung klar, so dass sie lernen konnte, sich unterzuordnen. Sie waren während der Bettruhe aneinander gebunden, damit der Hund keinen Zweifel daran hatte, dass Masih sie allgegenwärtig kontrollieren konnte. Die sehr intensive Zeit forderte Mensch wie Hund, Masih sagt sogar, dass er niemals zuvor so an seine Grenzen gestoßen ist, wie bei der Arbeit mit Mädchen.
Er habe aber auch niemals zuvor so viel gelernt, wie von diesem Hund, von dem er heute sagt, dass sie sein Spiegel sei: sieht er sie an, weiß er, wie er sich fühlt.