Hundepsychologin Karin Behle: "Stärkung des Selbstbewusstseins"
Mein Hund ist ängstlich, unsicher, panisch? Manchen Tieren mangelt es an Selbstbewusstsein - sie sind unsicher, ängstlich, panisch. Was tun, wenn ich einen solchen Hund habe?
2017 zog eine Gasthündin aus Spanien bei uns ein. Eine große Podenca namens Maisha - gerettet aus einer spanischen Tötungsstation, einer sogenannten "Perrera". Aufgegeben, weil sie panische Angst vor dem Leben hatte. Als sie bei uns ankam, kannte sie nichts: Geräusche, Bewegungen, Menschen, Autos, Motorräder - um nur einiges zu nennen - waren für sie ein Albtraum. Ein Spaziergang unmöglich. Der kleinste Winkel im Haus wurde als Versteck genutzt. Selbst Geräusche aus dem Fernseher kannte sie nicht. Ihre Reaktion: Flucht!
Schritt für Schritt - Stärkung des Selbstbewusstseins
Erstmal einige Gänge zurückschalten und nur ankommen lassen. Sie konnte sich im Haus frei bewegen. Doch nutzte sie diese Freiheiten nicht, so dass ich sie an die Leine nahm und mit ihr in den Garten ging. Gemeinsam mit anderen Hunden, die ihr Ruhe vermittelten, kam langsam Neugier zum Vorschein. Ich zeigte ihr jede Kleinigkeit, verzichtete auf unnötige Geräusche. Wenig Umweltreize, stattdessen viel Geduld und Liebe - und so kam der Hund langsam aus sich raus. Ängste wurden ignoriert, Fortschritte gelobt. Ein unsicherer Hund muss langsam lernen, dass es für derartige Unsicherheiten/Ängste keine Begründung gibt. Ich gehe souverän voran, vermittele dem Hund, dass alles gut ist. Ist die Bindung gestärkt, findet Vertrauen Platz!
Das Zauberwort heißt Desensibilisierung!
Indem ich mit dem Tier in einer reizarmen Umgebung mit dem Training starte, habe ich seine Aufmerksamkeit. Kurze Trainingseinheiten mehrfach täglich wiederholen, viel und zeitig für positives Verhalten loben, dazu zählt in diesem Fall auch für MUT loben. Bei einem sehr unsicheren Hund ist es wichtig, dass ich auch kleine Fortschritte lobe. Verbal oder mit Futter, was dem Hund besser gefällt. Panische Hund fressen nicht, darum hilft hier anfangs ein liebes Wort, bzw. eine freundliche Stimme.
Als Maisha Haus und Garten für sich eingenommen hatte und es genoss, hier keine Ängste haben zu müssen, wurde sie mit einem Sicherheitsgeschirr ausgestattet. Dann fuhren wir mit dem Auto in eine reizarme Umgebung, in der es nur Felder und Wiesen, keine Autos, keine Menschen und keinen Lärm in unmittelbarer Nähe gab. Ein souveräner Hund aus dem Rudel begleitete uns. An einer 15 Meter langen Schleppleine konnte sie durchstarten. Und sie konnte ihre Freude ausdrücken, wie ich es bei ihr zuvor nicht gesehen hatte. Ist man an einem solchen Punkt mit seinem Hund angekommen, öffnet sich das Herz. Maisha wollte leben. Anfangs natürlich noch unsicher, sich oft umschauend, ihr Glück nicht wahrhabend, aber mit der Zeit vergaß sie all das. Sie rannte, genoss jedes Lob, jede Aufmerksamkeit. Täglich wiederholten wir diese Ausflüge über mehrere Wochen. Wir fügten nach und nach mehr Reize hinzu, d.h. gingen näher an Menschen und anderen Hunden vorbei, ließen uns von Radfahrern und spielenden Kindern überholen, etc. Und immer schaute sie mich an und ich lobte sie stets verbal mit sehr freundlicher Stimme - Futter wollte sie dafür nicht.
Sie hatte gelernt, dass ihr bei uns nichts passiert und es macht Spaß, gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie wurde von Woche zu Woche selbstbewusster. Sie alberte rum, stupste mich immerzu an, forderte mich oder die Hunde zum Spielen auf. Sie rannte, buddelte und beobachtet alles um sich herum mit großer Neugier. Sie war wie ein Kleinkind, das laufen lernte.
Loben und positive Bestätigung ist hier das A und O: immer zeitnah und ausreichend.
Zeigt sich das Tier in einer Situation ängstlich, nicht mit mitleidiger Stimme auf das Tier einreden, sondern sicher und souverän bleiben. Führt den Hund aus der unangenehmen Situation heraus und wenn er sich wieder beruhigt hat, loben. Wer mit einem ängstlichen, bzw. unsicheren Tier emphatisch und geduldig umgeht, das Training so aufbaut, als würde man im ersten Schuljahr beginnen und es richtig lobt, sicher und souverän auftritt und dem Hund mit seiner Art vermittelt, dass alles in Ordnung ist, der kann aus diesem Hund einen glücklichen Hund machen. Das wichtigste ist Geduld. Heute läuft Maisha ohne Leine neben dem Rad. Sie nimmt teil an Kanufahrten, sie joggt mit ihrer Familie, auch ohne Leine und kommt auf Abruf immer zurück. Sie liebt es, mit ihrer Familie zu kuscheln und genießt ihr neues Leben in vollen Zügen. Maisha hat eine wunderbare Familie gefunden, die sie adoptiert hat. Sie ist sehr glücklich und ihre Familie ist es ebenso. Und sie hat hier Platz gemacht für einen neuen Notfall.
Ich arbeite ohne „negative Hilfsmittel“, d.h. ausschließlich gewaltfrei. Meine Unterstützung ist leise, denn Gewalt beginnt, wo Wissen endet.“
FAZIT: Mit Liebe können wir alles erreichen.
Niemals sollte man ein Tier aufgeben, nur weil es ängstlich und unsicher ist. Ist der Hund vielleicht als Welpe reizarm aufgewachsen, wurde das Tier vernachlässigt oder hat keine Erfahrungen im jungen Alter sammeln können oder liegen vielleicht genetische Gründe vor? Oft wissen wir es nicht, wenn wir uns dem Tier annehmen. Oft kommen die Ängste auch erst später zum Vorschein. Das Ziel sollte es sein, dem Tier zu helfen. Und das erreichen wir, wenn wir dem Hund eine große Portion Selbstbewusstsein bestellen und es ihm nach und nach „einträufeln“
Mein Tipp: Seid geduldig, freundlich und entspannt. Lasst ihn Mutproben bewältigen, fangt klein an. Weniger ist manchmal mehr, das ist auch im Training so. Desensibilisierung heißt das Zauberwort - Schritt für Schritt zum Ziel:
⁃ Positiv bestärken unmittelbar nach dem gewünschten Verhalten
⁃ Unerwünschtes ignorieren - aber mit Verstand!
⁃ Ein Signal hinzufügen (z.B. eine freundliches Wort)
⁃ Anfangs reizam, dann nach und nach steigern.
⁃ Der Hund entscheidet, wann er bereit ist für den nächsten Schritt.
Auf alle Fälle lohnt es sich. Das Tier fühlt sich glücklich und frei und das gemeinsame Leben macht mehr Spaß. Für alle ein positives Ergebnis.