Dr. Iris Mackensen-Friedrichs: "Negative Belohnung - positive Bestrafung"

Viele Hundebesitzer fragen sich, warum ihr Hund auf den Rückruf nicht zuverlässig kommt, obwohl er jedes Mal ein Leckerli oder ein Lob erhielt, wenn er auf den Rückruf kam und die Anforderungen langsam gesteigert wurden. Kam der Hund auf den Rückruf nicht, haben die Besitzer das Verhalten ignoriert und sich entfernt. Der Rückruf wurde hier unter dem Paradigma der operanten Konditionierung (Lernen durch Erfolg und Misserfolg) durch positive Belohnung aufgebaut, d.h. der Hund erhält etwas für ihn Angenehmes.

„Positiv“ ist in diesem Sinne mathematisch als „+“ Zeichen zu verstehen. Wird das Nichtkommen ignoriert, war es als negative Bestrafung gemeint, d.h. etwas Angenehmes – die Aufmerksamkeit des Besitzers – wird entzogen („negativ“ ist mathematisch als „-“ Zeichen zu verstehen). Die negative Bestrafung funktioniert nur, wenn dem Hund das, was entzogen wird, gerade wichtig ist, ansonsten punktet für ihn die Belohnung vor Ort wie das Spiel mit anderen Welpen mehr und er lernt, dass es keine Konsequenzen hat, nicht zu kommen.

Mehr Zuverlässigkeit im Rückruf erhält man, wenn beim Nichtkommen eine positive Bestrafung eingesetzt wird. Auch hier wird das „positiv“ wieder mathematisch verstanden, d.h. etwas Unangenehmes wird hinzugefügt. Eine Bestrafung liegt im lerntheoretischen Sinne vor, wenn der Hund das Verhalten in Zukunft seltener zeigt. Je nach Hund kann eine Bestrafung ein lautes „NEIN“, ein körpersprachlich bedrohlicher Schritt in seine Richtung, ein Wurf mit der Leine in seine Richtung o.ä. sein. Wichtig ist, dass der Hund es als unangenehm empfindet, die Bestrafung zeitnah innerhalb von 1-2 Sekunden erfolgt und er weiß, wofür er bestraft wird. Um mehr Zuverlässigkeit in den Rückruf zu bekommen, könnte man zum Beispiel unter Anleitung eines fachkundigen Trainers Futter auf den Boden streuen, den Hund kurz fressen lassen und ihn dann rufen. Kommt er nicht, kann man eine Leine in seine Nähe werfen, sodass er kurz erschreckt (etwas Unangenehmes wurde hinzugefügt: positive Bestrafung). Schaut er daraufhin in Richtung seines Besitzers, lädt dieser ihn körpersprachlich ein, zu ihm zu kommen und lobt ihn dann. Das Ganze wird wiederholt. In der Regel kommt der Hund beim 2. oder 3. Versuch zügig zu seinem Besitzer, um der positiven Bestrafung zu entgehen. Durch dieses Verhalten belohnt er sich selbst negativ: etwas Unangenehmes entfällt oder wird vermieden. Ähnliche Situationen stellt man an verschiedenen Orten und nutzt auf Spaziergängen (den Hund an der Schleppleine) Situationen, in denen er sich fest schnüffelt und auf den Rückruf nicht kommt.  

Diese Verknüpfung der positiven Bestrafung mit der negativen Belohnung ist äußerst effektiv, da der Hund die Lösung selbst herausfindet, wie er der Bestrafung entgehen kann. Dabei werden im Gehirn Botenstoffe wie Dopamin und Endorphine ausgeschüttet, was sich gut anfühlt und die Motivation steigert, sich erneut so zu verhalten. Die Bestrafung sollte immer erfolgen können, wenn der Hund das unerwünschte Verhalten zeigt. Dazu muss das Training so aufgebaut werden, dass der Hund keine Möglichkeit bekommt, das unerwünschte Verhalten ohne entsprechende Konsequenz zu zeigen. Hat der Hund dazu jedoch die Möglichkeit, wird das unerwünschte Verhalten aufgrund einer variablen Verstärkung häufiger. In diesem Fall ist es für den Hund wie ein Glücksspiel, ob er mit dem Verhalten durchkommt oder nicht – jedes erneute Durchkommen motiviert für einen weiteren Versuch umso mehr.

Meiner Meinung nach ist Hundeerziehung und -training gänzlich ohne Bestrafung nicht zeitgemäß und nicht an Kommunikationsmöglichkeiten und die sozialen Bedürfnisse eines Hundes angepasst."

Dr. Iris Mackensen-Friedrichs, CANIS-Absolventin seit 2008

Voraussetzung dafür, dass der Hund sich in der oben beschriebenen Trainingssituation nach dem Schreck bei seinem Besitzer versichert und nicht wegläuft oder sich gegen ihn wendet, ist etwas, dem damalige Wissenschaftler, die die operante Konditionierung unter Laborbedingungen untersucht haben, überhaupt keine Beachtung geschenkt haben: die Beziehung zwischen den Lebewesen. Um wirkungsvoll belohnen und bestrafen zu können, muss der Mensch eine entsprechende Stellung gegenüber dem Hund haben. Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass im menschlichen Miteinander eine Belohnung oder eine Bestrafung deutlich mehr punktet, wenn sie von einer warmherzigen, liebevollen Bezugsperson gegeben wird. Wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Gefühle aufgrund einer gerechtfertigten Bestrafung leiden würden, gibt es nicht. Hat der Mensch eine entsprechende Stellung gegenüber seinem Hund, wird dieser die Einschränkung akzeptieren können.

Leider ist die Anwendung der positiven Bestrafung im Hundetraining in Verruf gekommen, da einst viele Hunde in der Erziehung sinnlos verprügelt wurden, was umgangssprachlich Bestrafung genannt und somit mit Gewalt gleichgesetzt wurde. In der Lernpsychologie wird der Begriff der Bestrafung wie oben dargelegt anders verwendet und hat nichts mit Gewalt zu tun.

Wahrscheinlich haben Sie selbst Ihren Hund bereits positiv bestraft. Vielleicht haben Sie laut und in einem scharfen Ton „nein“ gesagt, als er an Teppichfransen nagte. Hat er daraufhin das Verhalten unterlassen, haben Sie ihn positiv bestraft. Die negative Belohnung folgte automatisch, da der Hund selbstständig eine Lösung gefunden hat, der Strafe zu entgehen. Entgegen vieler Ratgeber, wurde dadurch das Vertrauen des Welpen nicht in sie gestört, da Sie ihren Welpen nicht permanent bestrafen, sondern die meiste Zeit entweder neutral oder freundlich, liebevoll im Umgang mit ihm sind. Da Wölfe und Haushunde bekannter Weise ganz ähnlich untereinander agieren, z.B. mit einem Knurren oder einem gehemmten Biss über die Schnauze, um ein Fehlverhalten zu sanktionieren, ist die positive Bestrafung etwas, was richtig angewendet Hunde verstehen. Das Training oder die Erziehung mit positiver Bestrafung und der daran gekoppelten negativen Belohnung hat den Vorteil, dass dem Hund unerwünschtes Verhalten direkt zurückmeldet wird. Es ist eine effektive Methode unerwünschte Verhaltensweisen zu unterbinden und erwünschte Verhaltensweisen, die durch positive Belohnung schrittweise aufgebaut worden sind, abzusichern.

FAZIT: Meiner Meinung nach ist Hundeerziehung und -training gänzlich ohne Bestrafung nicht zeitgemäß und nicht an die Kommunikationsmöglichkeiten und sozialen Bedürfnisse eines Hundes angepasst. Ich wünsche mir, dass genauer hingeschaut wird, bevor eine sinnvoll und gut eingesetzte Bestrafung mit Gewalt und Leid gleichgesetzt wird. 

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