Franziska Voß: "Vom Rohdiamanten zum Blindenführhund"
Es ist schon ironisch: mit drei schwarzen Punkten auf gelben Grund können nicht viele etwas anfangen, doch den Blinden mit schwarzer Brille und weißen Stock kennen viele. Der blinde Mensch ist tatsächlich oft mit einem geringen Sehrest ausgestattet und so mancher wird von einem speziell ausgebildeten Hund begleitet: man erkennt ihn am weißen Halsband, weißer Leine und weißem Führgeschirr sowie an einer speziellen Kenndecke. Doch wozu ist ein Blindenführhund eigentlich gut und wie sieht sein Weg zu seinem verantwortungsvollen Arbeitsleben überhaupt aus?
Vom Sachgegenstand zum wahren Helden
Ein Blindenführhund ist offiziell ein „Hilfsmittel“ für blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen - gleichzusetzen mit dem Langstock. Dadurch gelten für ihn auch Sonderregelungen - er darf seinen Menschen mit zum Arzt, zu Veranstaltungen oder zum Einkauf im Supermarkt begleiten.
Für Blinde wird ihr Fürhund vom Sachgegenstand zu einem wahren Helden. Er setzt seine Augen für sie ein, schützt vor Gefahren wie Stolperfallen und hilft bei der Suche von Objekten und Wegen. Doch darüber hinaus verhilft er häufig zu einem neuen Lebensgefühl, da er ein großes Stück Unabhängigkeit schafft. Wofür ansonsten menschliche Hilfe beansprucht werden muss, kann man nun allein mit Hund erledigen. Zu Hause erfüllt er die Aufgabe als Freund und Familienhund. Seine Arbeit beginnt außerhalb, sobald er das Führgeschirr trägt und sein Mensch ihn zum Ziel navigiert.
Individuelle Ausbildung des Hundes
Die Ausbildung verläuft bei mir individuell, daher gibt es von mir weder Fließbandarbeit noch Hunde aus dem Regal. Der erste Schritt ist immer ein Kennenlernen der blinden oder hochgradig sehbehinderten Person, damit man den richtigen Hund suchen und ausbilden kann. Würde ich einem sportlichen Herrn von zwei Meter Körpergröße einen kleinen Labrador ausbilden, der das Temperament einer Schnecke hat, ist der Hund vielleicht sehr gut und der Mensch findet ihn toll, die Kombination wäre jedoch unglücklich. Es ist eine Entscheidung auf Lebenszeit für den Hund, daher muss in dieser Beziehung möglichst alles passen. Mit den nötigen Unterlagen, z.B. Rezept des Augenarztes, einer den Hund betreffenden Wunschliste und meinen eigenen hohen Ansprüchen, mache ich mich dann auf die Suche nach der „Eierlegenden Wollmilchsau“.
Die Ausbildung verläuft bei mir individuell, daher gibt es von mir weder Fließbandarbeit noch Hunde aus dem Regal."
Nach welchen Kriterien wird ein Hund ausgesucht?
Im Vordergrund steht mir immer der Charakter des Hundes, weshalb es keine bestimmte Rasse sein muss. Allerdings gibt es Hunde, die aufgrund der Qualitätskriterien für Blindenführhunde oder bestimmter Dispositionen mehr oder weniger geeignet sind. So würde ich wohl nie einen Kangal ausbilden, obwohl es tolle Hunde sind, da diese Rasse besser mit dem Herdenschutz betraut sind.
Gesucht wird ein Hund zwischen 50 und 65 Zentimetern, freundlich, intelligent, ruhig und ausgeglichen, leichtführig, arbeitsfreudig und nervenstark mit gutem Problemlöseverhalten, etwas eigenständig aber dennoch mit einem hohen „will to please“, etwas sensibel und möglichst frei von jagdlichen Ambitionen. Weiter sollte der Hund wenig wachsam sein, denn wie sollte sich sein Gegenüber in der Straßenbahn fühlen, wenn der Hund über vier Haltestellen Löcher in die Person fixiert, nur damit er nicht noch einen Zentimeter näher an sein Frauchen rückt? Nicht zu vergessen ist die Gesundheit! Die Hunde werden tierärztlich untersucht um frühzeitig mögliche Erkrankungen auszuschließen. Mal Hand aufs Herz: kein Problem, oder? Doch genau das ist auch der Punkt: Man muss den Rohdiamanten finden und ihn zum Blindenführhund schleifen!
Vom Rohdiamanten zum Blindenführhund
Die Ausbildung vom Rohdiamanten zum Blindenführhund beginnt mit dem ersten Lebensjahr und dauert in der Regel zwischen acht und zwölf Monaten. Die Jungs sind meist etwas langsamer als die Mädels, was nichts mit der Intelligenz zu tun hat. Rüden sind meist länger lustig und weniger fokussiert. Falls ich mit einem Jährling beginne, lerne ich den Hund durch viele gemeinsame Erlebnisse kennen und prüfe ihn so auf seine Eignung. Wenn ich mit einem Welpen beginne, so verbringt der nach ersten Wesenstests einige Monate in einer Patenfamilie. Dort wird er sozialisiert, lernt das "kleine 1 x 1" und so schon früh Fußgängerzonen, Restaurants und Bahnhöfe kennen. Beide Wege haben Vor- und Nachteile, allerdings spielt die Zeit immer eine Rolle, schließlich wartet die blinde Person auf ihren neuen Begleiter. Die Azubis leben bei mir zu Hause in der Familie und treffen ihren zukünftigen Menschen ab und an für einen schleichenden Übergang.
Die Ausbildung vom Rohdiamanten zum Blindenführhund beginnt mit dem ersten Lebensjahr und dauert in der Regel zwischen acht und zwölf Monate."
In den nächsten Monaten der Ausbildung lernt der Hund paradoxerweise in seiner Freizeit, brav an der Leine zu laufen und während der Arbeit, im Geschirr voran zu gehen und zu ziehen. Er lernt links und rechts, das Anzeigen von Bordsteinkanten, Zebrastreifen, Ampeln, Ein-und Ausgängen, das Anzeigen oder Umlaufen von Seiten-, Boden- und Höhenhindernissen, sowie Kontakt zu anderen Hunden und Menschen nur im Freilauf zu genießen.
Insgesamt lernt ein Blindenführhund rund 40 Hörzeichen!
Ich bin selbst nach wie vor von der Leistung fasziniert, vor allem wenn es um den Intelligenten Ungehorsam geht oder das Lösen von Komplikationen. So muss der Hund den Gehorsam eigenständig verweigern, wenn er die Straße überqueren soll und ein Auto naht. Ebenfalls muss er einen sicheren Ausweg finden, wenn der Weg in einer Sackgasse endet. Tatsächlich lernt ein „Azubi“ die grundlegenden Hörzeichen sehr schnell und weiß, wann er Freizeit ohne Geschirr genießt und wann er im Dienst steht.
Das Gelernte ortsunabhängig abzurufen und Verknüpfungen herzustellen, gehört zu dem komplizierteren Teil. Natürlich kann er den nächsten Eingang schnell anzeigen, doch wenn davor eine kleine Stufe ist, die der Hund nicht angezeigt hat, weil sein Mensch es nicht gesagt hat, gibt es dennoch einen Unfall. Während der Ausbildung prüfe ich immer wieder das Wesen, die Schussfestigkeit und damit die Eignung des Hundes. Am Ende der Ausbildungszeit führe ich selbst Blindgänge durch und lasse andere Menschen mit dem Hund unter meiner Aufsicht laufen. Wenn der Azubi zuverlässig ist, die nötige Reife erreicht hat und alles Wichtige gelernt hat, geht es an die Einarbeit - der Hund zieht in sein neues Heim.
Zum Schluss dann die Gespannprüfung
Durch gute Vorbereitung ist die Einarbeit meist keine große Umstellung. In der Zeit werden der Blindenführhund und sein neuer Mensch aufeinander abgestimmt. Ich begleite das gespannt über diese Zeit und bereite sie auf die Gespannprüfung vor. Sobald diese Prüfung erfolgreich abgeschlossen ist, sind sie ein offizielles Führgespann und dürfen die Welt gemeinsam neu entdecken!
Das ist der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft - der Rohdiamant wurde geschliffen.