Tobias Tietje: "Vom Vatikan bis zur Kölner Philharmonie "

Portrait Lena Dietz
von Lena Dietz – 07.11.2018

„Ich bin ja selbst der typische Tierhalter und tue alles für meinen Hund“. Tobias Tietje hebt seinen 11-jährigen Golden Retriever Paul, den er liebevoll „Meinen Erstgeborenen“ nennt, aus dem Kofferraum seines Autos. Man sieht Paul an, dass er nicht mehr der Jüngste ist, und dass die Gelenke ab und an schmerzen. Aber auf der Hunderunde im Königsdorfer Forst gibt er noch mal richtig Gas und fordert Herrchen zum Spielen mit der Leine auf.

Tobias weiß aus eigener Erfahrung, was Hunde- und Tierhalter wissen wollen, was sie für eine liebevolle Betreuung ihrer Lieblinge brauchen. Und er weiß aber auch, welche Informationen sie dafür von vielen Tierärzten nicht bekommen: „Oft sprechen sie auch einfach nicht die gleiche Sprache“. Deshalb sieht sich Tietje auch in vielerlei Hinsicht als eine Art „Übersetzer“. Als er 2008 mit Paul im Wartezimmer der Tierarztpraxis seines Vertrauens im Kölner Westen sitzt und auf einem Monitor tonlose Natur-Dokumentationen in Endlosschleife schaut, fällt ihm auf, dass dieser TV im Wartebereich doch Informationen über die Praxis transportieren müsste, da man als Tierhalter oft nicht wirklich fundiert über das Berufsbild und die Leistungen des Tierarztes informiert ist. Kurzentschlossen fragt er die Tierärztin, ob er sie nicht einmal im alltäglichen Tagesablauf begleiten dürfte. Was folgte, ist eine ausführliche Marktanalyse, die Ende 2009 zur Gründung von „VetiPrax“ führt.

Tobias nimmt mich überall mit hin und lässt mich nie im Stich!"

Paul Rakete

Golden Retriever, 11 Jahre alt

VetiPrax versteht sich als Partner sowohl der Tierärzte als auch der Tierhalter, vermittelt sachliche Informationen und unterstützt Tierarzt-Praxen in ihrer Kommunikation. „Angefangen haben wir mit Tierarztfernsehen und dann kamen auf Wunsch unserer Kunden immer mehr Leistungen dazu.“ Tietje will unter anderem mit hartnäckigen Gerüchten aufräumen, die sich auf Hundewiesen oder allgemein unter Tierbesitzern halten und oft auch durch das Internet wabern. Sei es zu wandernden Zeckenköpfen bei Hunden und Katzen, zu artgerechter Haltung von vermeintlichen "Kuscheltieren" wie Kanninchen oder zu Verhaltensthemen. "Zuletzt haben wir z.B. eine 12-teilige Filmreihe für Youtube unter dem Titel "Einfach Hund" sehr aufwendig produziert. Finanziert hat das zwar ein Futtermittelhersteller, die Inhalte drehen sich aber ausschließlich darum, wie Mensch und Hund einfacher und entspannter auf Basis von Empathie und Wissen miteinander klarkommen."

Gleichzeitig will er den Tierärzten dabei helfen, deren Stärken und Angebote auszuarbeiten und dem Tierbesitzer sichtbar zu machen. „Sowohl Tierarztpraxen als auch Tierhalter werden immer spezialisierter. Wir zum Beispiel haben den Herzspezialisten für Paul in Berlin, zum Radiologen gehen wir nach Braunschweig und überlegen gerade, ob wir wegen seiner Arthrose eine Golddraht-Implantation in Hannover oder Köln angehen“. Auf der anderen Seite aber wisse man oft nicht, dass die Praxis ein CT-Gerät im Keller stehen hat oder dass diese einen 24-Stunden-Notdienst anbietet. Und nach dem Besuch in der Praxis werden die Leckerli für den Liebling im Großhandel gekauft, dabei böte der Tierarzt oft speziell auf die Bedürfnisse abgestimmte Nahrung an, ohne dass der Besucher davon erfährt.

„Ich versuche die Perspektive zwischen Tierhalter und Tierarzt zu wechseln und so beiden Seiten das anzubieten, was sie brauchen“, sagt Tietje, der seine unternehmerische Ader zur Jahrtausendwende zuerst in diversen Startups ausleben konnte, und danach lange Zeit bei Rundfunk und Fernsehen verbracht hat.

"Paul hat sich uns ausgesucht - nicht andersherum!"

Nach Köln kam er durch einen Zufall: Er sah die Berichterstattung zum G8-Gipfel 1999 im Fernsehen, fuhr daraufhin aus der Documenta-Stadt Kassel spontan nach Köln und erkannte das zur eigenen Mentalität wie für ihn geschaffene Habitat am Dom ganz bewusst zu schätzen. Familiär vorbelastet war er da schon: Vater aus Köln, Mutter aus Hamburg, Verwandschaft in Oberbayern – es wurde die Stadt am Rhein. Kurzerhand verkaufte er sein Auto, kündigte die Wohnung, den Job und lebt seitdem in der Domstadt. Golden Retriever Paul kam Weihnachten 2007 dazu. Mit ca. sechs Monaten wurde der als Findelkind im Tierheim Köln-Dellbrück abgegeben. „Über die Weihnachtstage hatten wir ihn probeweise bei uns und mussten ihn immer wieder um 18 Uhr im Tierheim abgeben, was uns jeden Tag schwerer fiel“, erinnert sich Tobias. Dann endlich durfte er bleiben: „Paul hat sich uns ausgesucht, nicht andersherum.“ Seitdem hat sich eine sehr enge Beziehung zwischen beiden aufgebaut und Paul begleitete Tobias von Anfang an überall hin. "Vom Vatikan bis zur Kölner Philharmonie“, sagt Tietje. Seinen Job bei VetiPrax sieht er auch als seine Leidenschaft an - er steht jeden Morgen auf und freut sich, dass er diesen Weg eingeschlagen hat, nicht zuletzt wegen Paul.

Obwohl ich ja nicht mehr ganz so jung bin, gewinne ich meistens beim Leinenzieh-Spiel gegen Tobias."

Paul Rakete

Golden Retriever, 11 Jahre alt

"Ich bin sehr gerne der Problemlöser!"

Er ist gerne „Problemlöser“ wie er sagt. Jüngstes Beispiel: Schlechte Bewertungen im Internet. „Wir haben den Tierärzten eine Möglichkeit gegeben, wie sie sich ihre Bewertungen ganz direkt und vor Ort von ihren Patientenbesitzern abholen können.“ Auf einem Touchpad können diese noch in der Praxis abstimmen, wie ihnen der Besuch gefallen hat, in ganz unterschiedlichen Kategorien. So verschwinden zwar nicht die schlechten Rezensionen aus dem Netz, doch durch eine höhere Anzahl von „echten“ Bewertungen ändert sich deren Relevanz. Auch den Haltern ist damit geholfen, denn die bekommen ein reales Abbild von den Leistungen der Tierärzte. "Und das ist es doch, was ich als Besitzer will", erklärt der Wahlkölner mit rheinisch-nordhessisch-oberbayerisch-hanseatischen Wurzeln. "Für den Tierbesitzer ist es wichtig, was der Arzt kann, was nicht und ob er sich bei ihm gut aufgehoben fühlt“. Die Tierklinik in Rostock hat so zum Beispiel in wenigen Wochen über 600 Bewertungen bekommen und freut sich über die positive Resonanz, die sonst nie abbildbar gewesen wäre.

Und Tobias Tietje arbeitet weiter an seinem Portfolio - ob als Autor von Fachartikeln, als Referent auf Kongressen oder als Veranstalter von Fortbildungen - Langeweile kommt eher keine auf. Und für 2019 kündigt er neue Projekte von VetiPrax an, mit denen er sich u.a. direkt an die Tierhalter wendet. Spätestens dann steht wieder eine „Hunderunde“ mit Paul und Tobias an - im Königsdorfer Forst, im Kölner Stadtwald oder rund um die Philharmonie der Domstadt. 

Nach der entspannten Waldrunde an diesem Novembermorgen ist Paul total zufrieden und freut sich auf das ausgedehnte Schläfchen in Herrchens Büro. Paul wartet so lange vor dem Auto, bis Tobias Tietje seinem Erstgeborenen liebevoll zurück ins Auto hilft.