Andre Sicking: "Aussteigen ist für mich der einzige Weg!"

Portrait Kai Voßkämper
von Kai Voßkämper – 30.05.2017

Teneriffa: Sommer, Sonne, Strand und vor allem das gelassene Lebensgefühl der einheimischen Inselbewohner. Das war es auch, was Andre und seine Frau Nina auf die Insel lockte. "Goodbye Deutschland - Hola Teneriffa". Als die beiden vor rund neun Jahren mit Hündin Hilde nach Teneriffa kamen, hatten sie nichts weiter dabei, als das was in ihren alten, weißen '80er Ford Transit passte. Ihre Kinder waren noch nicht geboren, doch Nina war gerade schwanger, und das war sowas wie die Initialzündung für den großen Schritt ins Ausland. Die beiden fühlten sich wohl bei dem Gedanken, dass ihre Kinder echte "Canarios" sein würden. Seitdem hat sich im Leben der beiden viel verändert, nur eines nicht, die Liebe zur Insel und der feste Wille, hier alt zu werden.

Aussteiger in Reinform

Andre Sicking ist das Paradebeispiel eines Auswanderers. Ein klassischer Surfer-Typ mit blonder Matte, braun gebrannter Haut, Board-Shorts mit Flip-Flops und immer einer Sonnenbrille auf der Nase. Ein Aussteiger in Reinform. Eine ähnlich gute Figur würde der 43-Jährige auch als Skilehrer in den Bergen oder als Outdoorguide in Australien machen. Wenn er anfängt, von seinem Leben zu erzählen, wird schnell klar: Konventionell und angepasst geht nicht. Schon die Schulzeit empfand er als quälend und anstrengend. Er selbst bezeichnet sich als Freigeist und als Einzelgänger, der sich schlecht in eine Schablone packen lässt. Gruppen mag er nicht so gerne, und er steht auch nicht wirklich gerne im Mittelpunkt - auch wenn das der VOX-Zuschauer sicherlich anders sieht. Denn durch die Aussteigersendung "Goodbye Deutschland", in der der geborene Münsteraner regelmäßig auftritt, ist Andre in Deutschland bekannt geworden. 

Surferschmuck als Geschäftsidee

Die VOX-Sendung ist für ihn ein gutes Sprungbrett, um seine Geschäftsidee zu vermarkten. Andre stellt Surferschmuck her. Seine Werkstatt hat er in Sichtweite des Naturstrandes "La Tejita", der auch zur Hochsaison fast menschenleer ist. Nach diesem wunderschönen Landstrich hat er seine Schmucklinie und auch seinen Onlineshop benannt. Den Schmuck fertigt er in Handarbeit an, wofür er häufig Strandgut, wie Muscheln, besondere Lavasteine oder Haifischzähne benutzt. Die Gegenstände gießt er dann in Harz und verziert die kleinen Anhänger mit Lederketten oder Armbändern. Andre erfüllt auch exklusive Kundenwünsche mit Dingen, zu denen die Käufer eine besondere Beziehung haben. Der Kunsthandwerker bearbeitet daher auch schon einmal Zähne oder Krallen von verstorbenen Hunden und schafft auf diese Weise schöne Andenken.

Improvisation als Lebensmotto

Sein Traum, nur vom Schmuck auf Teneriffa zu leben, hat er allerdings erst einmal etwas in die Zukunft geschoben, denn leider hat es mit seinem eigenen Geschäft auf der Insel vorläufig nicht geklappt. Die Touristen vor Ort kaufen einfach nicht so viel, wie er zum Leben braucht. „In Deutschland würde das als gescheitert gelten, ich aber sehe das ganz anders“, sagt der Aussteiger selbstbewusst. Er improvisiert einfach, denn er will sich nicht von einer kurzfristigen Lebenssituation sein ganzes Leben diktieren lassen. Improvisation, sowie aus der Not eine Tugend zu machen, lautete schon immer sein Lebensmotto. So schreibt er es auch auf der Seite seines Surferschmuck-Onlineshops : "Man ist die Summe seiner Erfahrungen. Meist sind es die Fehlschläge, die zum Lernen anregen." Deswegen fährt Andre Sicking jetzt immer wieder nach Deutschland auf Schmuckmessen und einen Berliner Weihnachtsmarkt, um das nötige Kleingeld für seine Familie zu erwirtschaften. Andre liebt das zwar nicht, doch ermöglichen diese "Heimateinsätze" das Leben auf Teneriffa. „Nach der Weihnachtszeit und rund vierzig Tagen Dunkelheit, Stress und Last Christmas in Dauerschleife, komme ich auf allen Vieren und völlig ausgelaugt wieder auf die Insel zurück“, erklärt der Aussteiger.

Andre ist dominant, hart, aber gerecht.

Hilde

Labrador-Retriever-Mix, 12 Jahre alt

Gespaltenes Verhältnis zur Heimat

Zu Deutschland hat er ein gespaltenes Verhältnis. Er hat oft einfach keinen Bezug zu seinem Geburtsland, da er sich dort nie richtig zu Hause gefühlt hat. "In Deutschland bin ich geboren. Punkt", fasst Andre zusammen. Vor allem die Leistungsgesellschaft und die deutsche Mentalität findet Andre weder liebens- noch lebenswert. „Die Deutschen definieren sich so sehr über ihre Arbeit. Und dann ist es immer so wichtig, was man macht." Dann ist es für viele verpönt, wenn man wie ich einfach surft und sein Leben genießt. Und dennoch freut er sich über den regelmäßigen Kontakt zu seiner Heimat und zu den Menschen dort.

Lebensmittelpunkt auf Teneriffa 

Deswegen ist für ihn klar: Sein Lebensmittelpunkt ist und bleibt Teneriffa. Ein Zurück kann er sich absolut nicht vorstellen. Auf der Kanareninsel hat er sich mit seiner Frau und den beiden Kindern ein kleines Paradies geschaffen. Sie haben sich ein kleines Haus mit Meerblick gekauft, in dem sie einen Teil zur Ferienwohnung ausgebaut haben und an Touristen vermieten (Beachhouse Teneriffa). Nina ist zudem Teilhaberin an einem Surf-Shop auf der Insel, und die Zwillinge Pepe und Bosse gehen in eine Art Waldorfschule, in der die Kinder auch lernen, nicht den Bezug zur Natur zu verlieren. Anders sein und anders denken! Das ist Andre sehr wichtig, und diesen Lebensgrundsatz will er auch unbedingt an seine Kinder weitergeben.

Eine Zukunft frei und ohne Druck

Andre Sicking hat sich auf der Insel ein gutes, funktionierendes Netzwerk aufgebaut und plant schon die nächsten Schritte. Gemeinsam mit Freunden will er auf der Insel Land erwerben und Landwirtschaft betreiben. Nur nicht auf konventionelle Art, sondern mit sogenannten Permaböden, bei der sich die Natur selbst entwickeln kann - völlig frei und ohne Druck. So wie sich Andre sein Leben selbst auch vorstellt.