Die Hundefreundliche Praxis – glückliche Hunde beim Tierarztbesuch sollten Standard werden!

Christine Arhant, www.tierfairhalten.eu & Stefanie Riemer, www.hundeuni.info

Verstecken, Zittern, Knurren, Schnappen: nicht alle Patienten verstehen, dass man ihnen helfen möchte. Studien zufolge zeigt ein hoher Anteil der Hunde bei Tierärzt:innen Anzeichen von Stress und Angst, was sich auch in Aggressionsverhalten manifestieren kann. Etwa ein Fünftel der Hundehalter:innen vermeidet daher nicht absolut notwendige Besuche in der Praxis. In den letzten Jahren wurde das emotionale Erleben des Hundes während des Tierarztbesuches vermehrt ins Bewusstsein gerückt. Etliche Publikationen und Weiterbildungen haben zum Thema, wie das Wohlbefinden der Hunde beim Praxisbesuch durch stressreduzierende Maßnahmen verbessert werden kann. Die Möglichkeiten an kostengünstigen und auf lange Sicht zeitsparenden Maßnahmen sind vielfältig. Wir möchten Ihnen hier einige davon vorstellen.

Ein Tierarztbesuch beginnt im Regelfall im Empfangs- und Wartebereich. Hier liegt der Schwerpunkt darauf, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, Hund und Halter:in Sicherheit zu vermitteln und zusätzliche Stressoren zu vermeiden. Durch Abstand und Sichtbarrieren können kostengünstig Rückzugsmöglichkeiten geschaffen und Sichtkontakt zwischen den Hundepatienten vermieden werden. Es können auch komfortable, leicht reinigbare Liegematten angeboten werden oder die Halter:innen ermutigt werden, eine eigene Decke sowie Kaumaterial oder Leckmatten mitzubringen, um die Hunde im Wartezimmer abzulenken und zu beschäftigen.

Zeit im Warteraum verringern

Wenn Hunde Probleme mit Artgenossen oder fremden Menschen haben, ist es ratsam, dies bei der Terminvergabe zu beachten und die Zeit im Warteraum zu minimieren, etwa, indem die Halter:innen noch einen Spaziergang machen oder mit dem Hund im Auto warten. Das Warten in anderen Bereichen stellt nachweislich eine Möglichkeit zur Stressreduktion dar: Hunde, welche mit ihren Besitzer:innen eine 20-minütige Wartezeit in einem Garten außerhalb der Klinik verbrachten, wiesen niedrigere physiologische Stressparameter als Hunde im Wartezimmer auf. Weniger Stressanzeichen traten auch beim Warten direkt in einem Untersuchungsraum auf. Beginnt der Tierarztbesuch mit einem entspannten Warten, ist auch der weitere Ablauf häufig deutlich erleichtert.

Achtsames Handling und positive Assoziationen durch hochwertiges Futter während des gesamten Besuches führen zu glücklicheren und kooperativeren Patienten."

PD Dr. Stefanie Riemer, www.hundeuni.info

Der Weg in den Behandlungsraum ist für viele Hunde schwierig. Das tierärztliche Team sollte den Weg frei machen, beispielsweise auch durch Management anderer Patienten im Wartezimmer, und den Hund möglichst wenig beachten. Jedenfalls vermieden werden sollte, einen Hund mit Hilfe der Leine in den Behandlungsraum zu ziehen. Lassen Sie den Hund in den Behandlungsraum kommen und geben Sie ihm Zeit, sich einzugewöhnen. Idealerweise sitzt man als Tierärzt:in am Schreibtisch und erhebt die Anamnese, während der Hund Gelegenheit hat, den Raum zu explorieren und dort schon leckere Überraschungen vorfindet (z.B. Leckmatten am Boden mit kleinen Mengen Feuchtfutter und ein paar Leckerli ). In diesem Gespräch wird insbesondere geklärt, welche Maßnahmen bei dieser Visite durchgeführt werden sollen. Dabei gibt es Maßnahmen, die unbedingt nötig sind („Needs“) und solche, die für den Fall, dass es dem Hund schwerfällt, die Manipulationen zu tolerieren, vertagt werden können („Wants“).

Begrüßung des Patienten

Bei der Begrüßung sollte der Hund die Möglichkeit haben, sich freiwillig anzunähern. Hierbei wirken sitzende Menschen und eine etwas abgewandte Körperhaltung oft weniger bedrohlich; über den Hund beugen sollte möglichst vermieden werden. Auch die Hand sollte entgegen häufigen Empfehlungen nicht ausgestreckt werden: möchte ein Hund Kontakt, kann er sich selbst annähern und dann sanft gestreichelt werden (nicht am Kopf; besser ist die Brustregion oder Rücken bis Hinterteil). Bei Untersuchungen sollte der Hund z.B. vor dem Anfassen durch Ansprechen und gegebenenfalls Herantasten an die zu untersuchende Körperregion vorbereitet werden. Überraschendes Anfassen oder Hochheben können Schreckreaktionen auslösen und sind zu vermeiden!

Ampelsystem von Fear Free Pets

Während des gesamten Besuchs wird das Ausdrucksverhalten des Hundes beobachtet, das uns Aufschluss über seinen emotionalen Zustand gibt. Die Organisation "fearfreepets.com" verwendet für die Einteilung der Patienten ein Ampelsystem. Im grünen Bereich zeigen die Hunde entweder keine Anzeichen von Furcht, Angst oder Stress oder milde Anzeichen, wie über die Schnauze Lecken, Blick Abwenden oder Weggehen, Pfote Anheben oder Hecheln, allerdings weniger als 4-mal pro Minute. Die Tiere nehmen Futter an und sind an Interaktionen mit dem Tierarztteam interessiert. Es wird aber auch schon bei Grün darauf hingewiesen, dass präventiv gezielt positive Erfahrungen mit Futter, Spiel oder Sozialkontakt hergestellt werden sollten. So kann die Resilienz des Hundes gegenüber unangenehmen oder auch schmerzhaften Erlebnissen, die im tierärztlichen Kontext leider nicht immer vermieden werden können, gestärkt werden. Bei Gelb sehen wir häufigere Anzeichen von Stress; das Interesse an Futter und Sozialkontakt mit dem tierärztlichen Team nimmt ab. Diese Hunde sind manchmal recht unruhig und zeigen ein Verhalten, dass vermeintlich spielerisch wirken kann („Fiddeln“). Zeigen die Tiere Anzeichen von Flucht, Einfrieren oder Aggression und veränderte physiologischen Werte wie eine deutlich erhöhte Herz- oder Atemfrequenz, starkes Hecheln und kein Interesse mehr an Futter oder Kontakt, sind wir im roten Bereich.

Befindet sich ein Patient im gelben oder roten Bereich und die geplante Tätigkeit ist nicht akut notwendig (beispielsweise eine Impfung), sollte in Betracht gezogen werden, die Behandlung zu vertagen und den Hund beim nächsten Anlauf mit pre-visit medication (beispielsweise Trazodon, Gabapentin, Dexmedetomidin Gel, Alprazolam o.ä.) zu unterstützen. Solche angstlösenden Medikamente können durch den Halter:innen vorab verabreicht werden, um der Angst die Spitzen zu nehmen und die Low-Stress-Handling-Maßnahmen so zu unterstützen. Da die Wirkung von pre-visit medications auf das Verhalten sehr individuell ist, sollte die Verabreichung idealerweise vorab im Rahmen eines Happy Visit getestet werden. Es kann ein paar Anläufe brauchen, um das richtige Medikament in der richtigen Dosierung zu finden. Kombinationen sind häufig wirksamer und sollten im niedrigen Dosisbereich gestartet werden. Stark furchtsame Hunde benötigen eventuell noch eine zusätzliche Sedierung. Hartes Handling und Fixierung unter Zwang sind unbedingt zu vermeiden, da Hunde dadurch traumatisiert werden können und das massive Probleme bei zukünftigen Tierarztbesuchen verursachen kann.

Zwang und hartes Handling verursachen langfristige Probleme, daher sollten für schwierige Patienten anxiolytische Medikamente eingesetzt werden, um Traumatisierungen zu vermeiden."

Dr. Christine Arhant, www.tierfairhalten.eu

Low-Stress-Handling

Die Untersuchung und Behandlung sollte dort stattfinden, wo sich das Tier am wohlsten fühlt. Viele Hunde bleiben am Boden entspannter als auf dem Tisch. Rutschige, harte und kalte Oberflächen können Unbehagen auslösen; Abhilfe schaffen Handtücher, Decken, rutschfeste Matten oder weiche Auflagen. Die Besitzer können außerdem dazu ermutigt werden, eigene Decken oder Handtücher als Unterlage mitzubringen, da diese durch den vertrauten Geruch zusätzlich zum Wohlbefinden beitragen können. Generell ist ein respektvoller und sanfter Umgang mit dem Tier essenziell! Sogenanntes „Low-Stress-Handling“ reduziert die Belastung auf das unumgehbare Minimum. Das Ziel ist, dass sich das Verhalten des Tieres von Besuch zu Besuch verbessert. Damit können Untersuchung auf lange Sicht rascher und stressfreier für alle Beteiligten durchgeführt werden. Dies kann vor allem durch das Herstellen von positiven Assoziationen mit dem Tierarztpraxisbesuch erreicht werden. Eines der besten Mittel dafür ist Futter.

Um einen bleibenden positiven Eindruck zu hinterlassen, sollte hochwertiges Futter großzügig während des gesamten Besuchs verwendet werden (z.B. Durchfüttern während Untersuchungen oder kleineren Prozeduren). Ein einziges Leckerli am Ende eines 15-minütigen Besuchs wird kaum ausreichen, um den ganzen Aufenthalt positiv in Erinnerung zu behalten. Die verwendete Belohnung muss wirklich hochwertig sein, um potenziell angstbelegte Situationen positiv zu verknüpfen. Oft können Hunde unter Stress eher Dinge zum Lecken annehmen als festes Futter. Bewährt haben sich unter anderem Nassfutter oder Streichkäse. Diese Leckereien können in Lickimats angeboten werden (um die Zeit des Konsums zu verlängern), aus denen sich die Hunde selbst bedienen können, oder mittels Futterkruken oder Spateln dargereicht werden. Besonders hochwertig sind auch Pasteten oder Leberwurst sowie Wurst, Käse oder Trockenfleisch. Die Halter können ermuntert werden, die liebsten Leckereien ihres Hundes mitzubringen.

Sog. Happy Visits helfen, positive Assoziationen mit der Praxis herzustellen. Dabei findet keine Untersuchung oder Behandlung statt, sondern die Hunde haben Gelegenheit zur zwanglosen Exploration und erhalten viele Belohnungen, z.B. aus Silikoneisformen am Boden des Untersuchungsraums. Auch das Anbieten von Zusatzleistungen wie Victory Visits und Medical Training ist in Praxen mit dafür geschultem Personal eine gute Ergänzung. Victory Visits und Medical Training benötigen im Gegensatz zu einfachen Happy Visits gute Verhaltens- und Trainingskenntnisse. Dabei arbeitet ein Mitglied des Tierarztteams gezielt mit dem Hund am entspannten Betreten der Praxis sowie an der Akzeptanz von Berührungen und Prozeduren. Vorbereitendes Medical Training (Kooperation bei Untersuchungen und Pflegemaßnahmen) kann auch von den Haltern zuhause durchgeführt werden. Die Miteinbeziehung der Bezugsperson in das Training basierend auf positiver Bestärkung führt dazu, dass die Mensch-Tier-Beziehung allgemein verbessert wird.

Hundefreundlich zu sein ist nicht nur für die Hunde gut! Durch all diese Maßnahmen wird das Vertrauensverhältnis zu den Kund:innen gestärkt und die Compliance erhöht. Zudem werden stressinduzierte physiologische Veränderungen bei den Tieren – und damit auch diagnostische Artefakte – reduziert. Gleichzeitig kann das Verletzungsrisiko aller Beteiligten gesenkt und sowohl die Effektivität als auch die berufliche Zufriedenheit des tiermedizinischen Personals gesteigert werden.

Take Home Message

Achtsames Handling und positive Assoziationen durch hochwertiges Futter während des gesamten Besuches führen zu glücklicheren und kooperativeren Patienten. Zwang und hartes Handling verursachen langfristige Probleme, daher sollten für schwierige Patienten anxiolytische Medikamente eingesetzt werden, um Traumatisierungen zu vermeiden.

    Publikationen

    • Riemer, S., Heritier, C., Windschnurer, I., Pratsch, L., Arhant, C., & Affenzeller, N. (2021) A Review on Mitigating Fear and Aggression in Dogs and Cats in a Veterinary Setting. Animals, 11(1), 158 (ausgezeichnet mit dem 2023 Animals Best Paper Award). https://www.mdpi.com/2076-2615/11/1/158
    • Affenzeller, N.; Pratsch, L.; Windschnurer, I.; Arhant, C.; Riemer, S. (2021) Strategien zur Angstreduktion in der Kleintierpraxis Teil 1 – Stressreduzierende Methoden im Umgang mit Hund und Katze. Kleintierpraxis, 66, 24–43.
    • Pratsch, L.; Arhant, C.; Windschnurer, I.; Affenzeller, N.; Riemer, S. (2020) Strategien Zur Angstreduktion in Der Kleintierpraxis Teil 1–Stressreduzierende Methoden Im Umgang Mit Hund Und Katze. Kleintierpraxis , 65, 548–567.
    • Online-Seminare: Mehr zur hundefreundlichen Praxis und anderen Verhaltensthemen in den Online-Seminaren der Autorinnen unter www.hundeuni.info und www.hundeuni.info.