Haut-Sprechstunde: "Remos Leidensgeschichte"

Mit Remos kam ein alter Bekannter in meine Sprechstunde, ein männlicher, unkastrierter, achtjähriger Drahthaar-Foxterrier. Von klein auf hatte er Hautbeschwerden, die sehr wahrscheinlich auf eine allergische Problematik zurückzuführen waren. Er war seit Jahren zum einen ein bekannter Flohspeichelallergiker, mit häufig wiederkehrendem Juckreiz u.a. im Rückenbereich. Darüber hinaus bekam er aber auch häufig Ohrprobleme, außerdem entzündete Achseln, Leisten oder Augenlider. Vor einem dreiviertel Jahr konnten wir mittels penibel durchgeführter Ausschlussdiät nachweisen, dass sich ein Teil seiner Symptome durch Verfüttern von Rind und Schaf zuverlässig an- bzw. abschalten ließ. Durch konsequente Diät schienen die Probleme unter Kontrolle - Remos ging es laut Aussagen seiner Besitzer gut. 

Als er acht Monate später erneut in meine Praxis kam, fiel mir sofort auf, wie stark sich sein Zustand verschlechtert hatte: Im Innern seiner Ohrmuscheln fanden sich dicke Krusten, außerdem zeigten sich Krusten um den Po herum und in vereinzelten Nestern auf dem Rücken. Die Pfoten waren deutlich gerötet. Allgemein schienen bei Remo die betroffenen Areale nicht besonders mit Juckreiz assoziiert zu sein, die Ohrmuscheln aber waren bei Untersuchung schmerzhaft.

Allergischer Rückfall mit sekundären Infektionen

In der zytologischen Untersuchung der veränderten Stellen konnten eine übermäßige und nicht regelrechte Verhornung, neutrophile Granulozyten („Eiterzellen“ der Abwehr) sowie vermehrt Bakterien (Staphylokokken) und Hefen (Malassezia pachydermatis) nachgewiesen werden. Deshalb wurde zunächst antibiotisch und antimykotisch mit Cefovecin und Itrakonazol therapiert, die Arbeitshypothese aufgrund der Vorgeschichte lautete: allergischer Rückfall mit sekundären (durch die Grunderkrankung hervorgerufenen) Infektionen.
An dieser Annahme konnte ich jedoch nicht festhalten, nachdem unter konsequenter Antibiose und Behandlung der Hefen sich keine deutliche Besserung einstellte. Noch immer war auffällig, wie hochgradig Remos an den besagten Stellen abnorme Schuppen bildete: Es musste eine weitere Problematik beteiligt oder verantwortlich sein. Die Schwierigkeit bei Patienten mit verschiedenen simultanen Erkrankungen oder Symptomen ist immer, dass das typische Bild verzerrt ist und sich deshalb nicht wie im Lehrbuch darstellt. Aufgrund der Symptomatik mussten folgende Krankheitsbilder in Betracht gezogen werden:   

1.    Unverträglichkeitsreaktion mit resultierender Pyodermie (eitrige Infektion der Haut)
2.    Pemphigus foleacaeus
3.    Leishmaniose
4.    Metabolische Epidermale Nekrolyse/hepatokutanes Syndrom
5.    Zink-responsive Dermatose
6.    Primäre Seborrhoe
7.    Epitheliotropes Lymphom
8.    Sebadentitis

Allerdings ist das typische Zeichen eines Pemphigus (2), einer Autoimmunkrankheit, die Pustel - im weiteren Verlauf kommen Krusten vor, die Erkrankung verläuft meist in Wellen. Die Leishmaniose (3) ist nach wie vor bei uns nicht besonders verbreitet, da der Überträger, eine Mücke, wärmere Gefilde, wie den Mittelmeerraum benötigt. Die Leishmaniose, das hepatokutane Syndrom (4) und die Zink-responsive Dematose (5) zeigen sich typischerweise an den Ballen, über den Knochenvorsprüngen und im Gesicht, hier sind um die Augen oder an den Lefzen am ehesten Symptome (in der Regel exzessive Schuppenbildung, Krusten) zu erwarten.  

Remos erhielt Futter mit einem ausreichenden Zink-Gehalt - nur nordische Rassen (Malamuten und Huskies) entwickeln in der Regel trotzdem diese Symptomatik. Eine primäre Seborrhoe (6), d.h. eine von sich aus vorhandene exzessive Bildung von Bestandteilen der äußeren Haut, betrifft zwar gerne die Innenseite der Ohrmuscheln, ist aber normalerweise schon im Verlauf des gesamten Lebens erkennbar und nicht plötzlich mit acht Jahren. Ähnlich zeitig im Leben treten erste Symptome einer Sebadenitis (8) auf, und zwar sind u.a. Rückenpartie und Rute, ebenso die Außenflächen der Ohrmuscheln, am Kopf Nacken bis Stirn, von Haarverlust und Schuppenbildung betroffen. Auch ein epitheliotropes Lymphom (Lymphdrüsenkrebs in der äußersten Hautschicht, 7) tritt gehäuft im Gesicht und an den Ballen auf, z.T. aber zusätzlich mit Veränderungen an der Maulschleimhaut.
Zur Abklärung wurden (noch unter der Antibiose) Hautbiopsien (Gewebeproben) entnommen und an ein renommiertes Pathologisches Institut in München geschickt. Auch die Pathologen stellten zunächst im Wesentlichen fest, dass eine Entzündung der Haut mit abnormer Verhornung und Dickenzunahme der Lederhaut vorliegt. Weiterhin gelang es, einige Differenzialdiagnosen auszuschließen („…Pilze negativ. Kein Anhalt für hormonelle Imbalanz … Kein Hinweis für eine Sebadenitis. Keine Autoimmunopathie. Kein epitheliotropes Lymphom.…“). Andere, wie das  hepatokutanes Syndrom, Zink-responsive Dermatose, Leishmaniose konnten nicht sicher ausgeschlossen werden.

Mittlerweile hatten wir Remos versuchsweise auf Oclacitinib (ein relativ neuer Wirkstoff gegen Juckreiz beim Hund) gesetzt. Damit verbesserte sich das Hautbild überraschend deutlich, so dass wir erneut im Zweifel waren, ob nicht doch ein allergisches Geschehen beteiligt sein könnte. Trotzdem kam es zu keiner Heilung und mittlerweile schien sich Remos auch nicht richtig wohl zu fühlen. Deshalb wurde eine Laboruntersuchung des Blutes unternommen. Hier waren nur zwei Blutparameter verändert: Albumin (ein wichtiges Bluteiweiß) und der Harn-Stickstoff lagen unterhalb des Referenzwertes: Remos hatte offensichtlich einen Eiweißmangel.

Das war der entscheidende Fingerzeig für die Ursache der Hautveränderungen. Das sog. „hepatokutane Syndrom“ tritt in Verbindung mit verschiedenen Erkrankungen, wie Lebertumore, Bauchspeicheldrüsentumore oder Diabetes mellitus auf, denen im Fall paralleler Hauterkrankung eines gemeinsam ist: der Mangel an (essentiellen) Aminosäuren, den Bausteinen des Eiweißes, der Grundsubstanz des Körpers. Mittels Röntgen und Ultraschall konnte ein Tumor der Leber bei Remos nachgewiesen werden. Die Besitzer sahen jedoch von einem Therapieversuch in Form einer OP ab. Zur Linderung der Symptome nahmen wir versuchsweise eine Futterumstellung vor: Studien belegen eine Remission der Symptome durch Infusionen mit essentiellen Aminosäuren, z.T. auch durch Verfütterung qualitativ hochwertigen Proteins (wie aus Ei oder Milchprodukten). Letzteres kam für Remos wegen seiner Allergie nicht in Frage. Insgesamt erzielten wir eine deutliche Besserung.

Remos lebte nach der Diagnose noch ein Jahr.