Katharina Thum: "Die genialen Fähigkeiten eines Epilepsiewarnhundes"

Portrait Katharina Thum
von Katharina Thum – 15.09.2020

Laila*, vier Monate, lebt seit der Abgabe vom Züchter mit neun Wochen bei Frau Mora*. Gerade hat mich ein Anruf von Frau Mora erreicht, dass Laila am Vormittag sehr unruhig wurde, ihre Besitzerin auf Schritt und Tritt verfolgte und immer wieder an ihren Schuhen leckte. Rund 20 Minuten nach diesem Ereignis bekam Frau Mora einen epileptischen Anfall. Erst nachdem es Frau Mora wieder besser ging, ließ sich die Hundedame Laila beruhigen und fiel in ihrem Körbchen in einen tiefen Schlaf. Es gibt einen Moment, der mich als Assistenzhundtrainerin immer wieder aufs Neue besonders berührt: Wenn ein junger Hund beginnt, auf das Nahen eines epileptischen Anfalls zu reagieren, ist das immer ein begeisternder Augenblick und ein Grund zum Jubeln.

Laila ist Assistenzhund-Azubi und wird zum Epilepsiewarnhund ausgebildet. Ihre Hauptaufgabe wird später darin bestehen, ihrer Besitzerin epileptische Anfälle im Voraus anzuzeigen. Noch hat Laila einen langen Ausbildungsweg vor sich: Sie muss lernen, nahende epileptische Anfälle ihrer Besitzerin mit einem bestimmten Verhalten anzuzeigen und dranzubleiben, wenn ihre Besitzerin nicht sofort darauf reagiert – und dies zu jeder Tages- und Nachtzeit, zu Hause, während der Einkaufstour in der Stadt oder im Büro. Den ersten so wichtigen Schritt hat die Hündin heute gemeistert: Sie hat bemerkt, dass sich bei ihrer Besitzerin ein epileptischer Anfall anbahnt.

Welche Aufgaben haben Epilepsiewarnhunde?

Epilepsiewarnhunde sind Assistenzhunde, die spezielle Aufgaben erlernt haben, um ihrem Menschen mit Epilepsie im Alltag zu helfen. Das Leben mit Epilepsie ist für viele Betroffene von Unsicherheit geprägt und birgt Verletzungsrisiken. Zudem ist es unangenehm, von einem epileptischen Anfall überrascht zu werden. Während eines epileptischen Anfalls können im Alltag schnell gefährliche Situationen entstehen, zum Beispiel im Straßenverkehr, beim Treppensteigen oder beim Kochen. Epilepsiewarnhunde bringen hier eine ganz neue Dimension in das Leben ihres Menschen. Durch das Anzeigen eines epileptischen Anfalls im Voraus kann der Betroffene

sich auf den Anfall einstellen

seinen Tag anders gestalten

Medikamente einnehmen

Strategien zur Abschwächung oder Abwendung des nahenden Anfalls umsetzen

Gefahrensituationen meiden, wie bspw. das Überqueren einer Straße

Wenn Sie das Glück haben, einem Epilepsiewarnhund bei der Arbeit zu begegnen, dann staunen Sie über die genialen Fähigkeiten, mit denen diese Hunde das Leben ihres Menschen bereichern!"

Katharina Thum, Hundetrainerin für Familien- und Assistenzhunde

Im Idealfall wird ein Epilepsiewarnhund nach einem individuell gestalteten Ausbildungsplan trainiert. Je nach Anfallsformen des Betroffenen und dessen persönlicher Lebenssituation, kann ein Epilepsiewarnhund neben der Anzeige eines epileptischen Anfalls weitere sehr hilfreiche Aufgaben für seinen Menschen übernehmen.

Epilepsiewarnhunde können lernen:

• Eltern/Partner zur Hilfe zu holen

• das Überqueren von Straßen bei Bewusstseinsveränderung des Menschen zu verhindern

Medikamente zu bringen

• ihren Menschen nach Hause zu führen, wenn dieser nach einem epileptischen Anfall orientierungslos ist

• ihren Menschen dabei zu unterstützen, aus dem epileptischen Anfall wieder herauszukommen

• fremde Menschen um Hilfe zu bitten

Anfallsserien entgegenzuwirken

• und noch viele weitere Assistenzleistungen

Epilepsiewarnhunde (sog. seizure alert dogs) sind übrigens nicht die einzigen Helfer auf vier Pfoten für Menschen mit Epilepsie. Auch Epilepsiehunde (sog. seizure response dogs) unterstützen als Assistenzhunde Menschen, die an Epilepsieerkrankt sind. Sie zeigen jedoch keine epileptischen Anfälle im Voraus an, sondern helfen ihrem Menschen ausschließlich während und nach dem Anfallsgeschehen.

Welche Grundvoraussetzung braucht ein Hund, um die Aufgaben eines Epilepsiewarnhundes erlernen zu können?

Die Sensibilität eines Hundes, minimale Veränderungen seines Menschen vor einem epileptischen Anfall erkennen zu können, ist eine Fähigkeit, die nicht jeder Hund hat. Diese besondere Gabe muss in der Ausbildung gefördert werden, kann einem Hund aber nicht antrainiert werden, wenn er die Sensibilität nicht mitbringt. Damit die Ausbildung des Hundes nicht zu einem Glücksspiel wird, ist ein Eignungstest des Hundes wichtig. Assistenzhundtrainer testen vor Beginn der Ausbildung, ob ein Welpe aus dem Wurf diese besondere Sensibilität für die Ausbildung zum Epilepsiewarnhund mitbringt. Gleichermaßen kann ein bereits im Haushalt des Betroffenen vorhandener Hund auf die Eignung als Epilepsiewarnhund getestet werden.

Eine weitere wichtige Voraussetzung hängt mit einer Besonderheit der Arbeit dieser Assistenzhunde zusammen: Epilepsiewarnhunde arbeiten bei der Anzeige vor epileptischen Anfällen selbstständig und ohne Kommando. Dazu müssen sie eine enge Bindung zu dem an Epilepsie erkrankten Menschen aufbauen. Dies gelingt, wenn sich andere Familienmitglieder bei der Versorgung des Hundes zurückhalten, so dass der Betroffene für den Epilepsiewarnhund die wichtigste Person in seinem Leben wird.

Wie wird ein Hund zum Epilepsiewarnhund ausgebildet?

Die Ausbildung eines Hundes zum Epilepsiewarnhund erfolgt meistens in Selbstausbildung, d.h. der auszubildene Hund lebt bei dem Betroffenen und wird von diesem mit Unterstützung eines Assistenzhundtrainers zum Epilepsiewarnhund ausgebildet. So kann der angehende Epilepsiewarnhund die wichtige enge Bindung zu seinem Menschen aufbauen. Er muss seinen Menschen außerdem so gut kennenlernen, dass er kleinste Veränderungen vor einem epileptischen Anfall spüren kann. Neben seinen Assistenzhundaufgaben muss der Epilepsiewarnhund lernen, sich nicht von seiner Arbeit ablenken zu lassen, um seinen Menschen in der Öffentlichkeit entspannt und gesellschaftsfähig zu begleiten. Der Hund muss lernen, seine Aufgaben und Kommandos überall zuverlässig auszuführen.

WICHTIG ZU WISSEN !!

Trägt der Epilepsiewarnhund seine Assistenzhund-Kenndecke, arbeitet er gerade und muss sich auf seine Aufgaben konzentrieren. Sie sollten den Hund daher nicht ansprechen oder anfassen. Rufen Sie Ihren eigenen Hund zu sich, und halten Sie Abstand zum Assistenzhunde-Team. Ich kann es gut verstehen, wenn Sie über diesen tollen Vierbeiner und seine faszinierende Arbeit mehr erfahren wollen. Behalten Sie dabei aber im Hinterkopf, dass der Epilepsiewarnhund gelernt hat, Menschen zu ignorieren, wenn er seine Assistenzhundkenndecke trägt. Eine Ausnahme gibt es: Manche Epilepsiewarnhunde haben gelernt, fremde Menschen zur Hilfe zu holen. Dies kann zum Beispiel notwendig sein, wenn ihr Besitzer durch einen epileptischen Anfall gestürzt ist und sich verletzt hat. Der Hund läuft dann auf einen fremden Menschen zu und legt ein Hilfedummy oder eine Kommunikationskarte vor diesem ab. Auf der Kommunikationskarte steht beispielsweise: Mein Besitzer braucht Hilfe, bitte mitkommen! Der Hund wird versuchen, Sie zum Mitkommen zu animieren und anschließend zu seinem Besitzer zurücklaufen, um den Weg zu diesem zu zeigen. Wie das Anzeigen vor einem epileptischen Anfall, ist dies eine wahre Meisterleistung für den Hund. Einfach faszinierend, was eine individuelle Ausbildung bei einem geeigneten Hund hervorrufen kann!