Medical Training
Unter Medical Training versteht man das Training von Körpermanipulationen in den Bereichen Körperpflege und medizinische Behandlungen. Aber auch die allgemeine Gewöhnung an Alltagshandling und das Tragen von Schutzvorrichtungen wie Verbände, Bodys, Halskrägen usw., gehört ins Medical Training, sofern die Gewöhnung belohnungsbasiert und ohne Zwang erfolgt. Bei Katzen und gegebenenfalls kleinen Hunden ist auch die Verknüpfung der Transportboxe mit positiven Emotionen und als sicheren Rückzugsort ein wichtiger Punkt, den ich ebenfalls unter Medical Training liste.
Training der allgemeinen Handlingstoleranz
Am besten startet man schon im frühen Welpenalter, Hunde und Katzen daran zu gewöhnen, dass sie überall angefasst, festgehalten, genauer untersucht, mit fremden Gegenständen berührt, gekämmt, manipuliert, hochgehoben und auch mal auf den Rücken in den Schoß gelegt werden. Aber auch bei älteren Tieren kann man jederzeit noch mit diesen Übungen beginnen. Wichtig ist, dass Handlingsübungen in einem entspannten Umfeld stattfinden. Man startet mit streicheln oder kuscheln und intensiviert im Laufe der Zeit in kleinen Schritten die Berührungs- und Manipulationsart und -intensität, bleibt aber immer unter der Grenze, bei der das Tier die Manipulation so unangenehm empfindet, dass es weggeht. Die Interaktion soll vom Tier insgesamt als positiv und angenehm gewertet werden. Auf diese Art kann man Körpermanipulationen mit grundsätzlich positiven Emotionen und Entspannung verknüpfen.
Bei zappeligen und unruhigen (Jung-) Tieren können stationäre Schleck- oder Kauartikel, wie zum Beispiel eine Schleckmatte oder ein Kauknochen, hilfreich sein, um mehr Ruhe zu generieren. Sehr zappelige ruhelose Welpen oder Jungtiere, sowie ängstlich, scheue oder neu adoptiere Tiere profitieren hingegen oft mehr von einem spezifischen Medical Training als von einem allgemeinen Handlingstraining. Bei Hunden und Katzen, die sehr gut an Handling gewöhnt sind, sind einfache, nicht oder wenig schmerzhafte Körpermanipulationen, wie kämmen, Krallen schneiden, Augen und Ohren reinigen, meistens ohne weiteres Medical Training möglich.
Indikationen für intensiveres Medical Training
Mit Hunden oder Katzen, die bei einer spezifischen Körpermanipulation oder ganz allgemein bei Körpermanipulationen Anzeichen von Furcht oder Unwohlsein zeigen - zum Beispiel indem sie der Berührung ausweichen, sich wegducken, wegschleichen, davonrennen, die Lefzen hochziehen, die Zähne zeigen, die Pfote zum Schlag anheben, knurren, fauchen, kratzen oder beißen, aber auch mit Tieren, die eine Behandlung erstarrt über sich ergehen lassen - sollte möglichst zeitnah mit gezieltem Medical Training begonnen werden. Bei planbaren Operationen ist es ebenfalls sehr sinnvoll, bereits im Vorfeld mit dem Tier allfällige Nachbehandlungen wie Verbandwechsel, Wundversorgung, Physiotherapie usw. schmerzfrei und in Ruhe zu trainieren.
Eine weitere wichtige Indikation für Medical Training ist die Verordnung von Therapien, wie zum Beispiel das Verabreichen von Augen- oder Ohrentropfen, Insulin spritzen, inhalieren und anderes. Der frühzeitige Beginn von Medical Training kann eine Therapie deutlich angenehmer, einfacher und in manchen Fällen überhaupt erst umsetzbar machen. In allen Fällen gilt: je weniger negative Vorerfahrungen ein Tier in Bezug auf eine spezifische Handlung gemacht hat, umso einfacher und schneller wird das Training.
Das Training
Im Medical Training wird ausschließlich über Belohnung und ohne Druck, Zwang oder Strafe trainiert. Beim Training von spezifischen Behandlungen wird zuerst das gewünschte Endverhalten und die dafür notwendigen Trainingsschritte definiert. Je nach Trainingsziel kann es sein, dass das Tier beim fertig trainierten Verhalten auch während der Behandlung Zwischenbelohnungen in Form von Futter bekommt. Alternativ wird es erst ganz am Ende der Behandlung großzügig belohnt. Nachdem das Ziel und der Weg dorthin bekannt sind, wird das gewünschte Endverhalten über kleine, manchmal auch sehr kleine, Trainingsschritte aufgebaut. Dabei wird jede korrekte Ausführung belohnt.
Durch gut gewählte kleine Trainingsschritte erlernt das Tier das gewünschte Endverhalten ohne Stress und Überforderung. Durch die vielen Wiederholungen und den entsprechenden Belohnungen wird das Verhalten für das Tier zudem lohnenswert und mit positiven Emotionen verknüpft.
Das IBB- oder Kooperationssignal
Zusätzlich zum belohnungsbasierten Training wird dem Tier durch das sog. IBB- (ich-bin-bereit) oder Kooperations-Signal die Möglichkeit gegeben, die Körpermanipulation jederzeit zu unterbrechen oder sogar ganz abzubrechen. Die Gewissheit jederzeit Stopp sagen zu können, verleiht eine zusätzliche Sicherheit. Dadurch können die Tiere - wie übrigens auch Menschen - eine höhere Belastung ertragen, als bei einem Kontrollverlust.
Beim IBB-Signal handelt es sich um ein Verharren in einer bestimmten Position. Das Tier lernt diese Position einzunehmen und zu halten, auch wenn an ihm manipuliert wird. Sobald es diese Position verlässt, wird die Manipulation unterbrochen und erst weitergeführt, wenn es diese Position wieder eingenommen hat. Die Motivation das IBB-Signal auch in unangenehmen Momenten weiter zu halten, ist die Belohnung, die es dafür gibt. Im Medical Training werden Manipulationen trainiert, welche vom Tier in der Regel als unangenehm empfunden werden oder manchmal sogar schmerzhaft sein können. Daher empfiehlt es sich, mit Belohnung zu arbeiten, die der Hund oder die Katze auch wirklich begehrt.
Das IBB-Verhalten wird passend zur geplanten Körpermanipulation ausgewählt. Beliebte IBB-Signale sind zum Beispiel mit den Vorderpfoten auf einem Hocker stehen, auf einen Hocker sitzen, auf der Seite liegen, das Kinn in die Hand oder auf einen Gegenstand legen. Es kann aber jedes mehr oder weniger bewegungslose Verhalten zu einem IBB-Signal trainiert werden. Vor dem Training der eigentlichen Manipulation wird das Kooperationssignal so gut trainiert, dass sich das Tier sogar durch Leckerchen nicht mehr aus dem Verhalten locken lässt. Erst dann wird mit dem Training der eigentlichen Körpermanipulation begonnen.
Nutzen von Medical Training
Medical Training für Hunde und Katzen ist sehr sinnvoll, da viele heutige Rassen auf regelmäßige Körperpflege angewiesen sind. Zum Beispiel Langhaarkatzen, die gekämmt werden müssen oder brachycephale Rassen, bei denen die Nasenfalten und die Augen häufig intensive Pflege benötigen. Es kann auch sonst immer mal notwendig sein, irgendeine, aus Sicht des Tieres übergriffige, Körpermanipulation vornehmen zu müssen, z.B. eine Zecke oder einen Fremdkörper zu entfernen, Ohren, Augen, Mund und Zähne zu kontrollieren oder Krallen zu schneiden.
Aus tierärztlicher Sicht ist Medical Training zusätzlich sinnvoll, weil die Behandlung von kooperativen Tieren wesentlich einfacher, angenehmer und ungefährlicher ist für alle Beteiligten. Dies schließt die Tierärzt:innen, die Praxisassistent:innen und -assistenten, die Tierbesitzenden sowie das Tier selbst ein. Kooperative Tiere werden in der Regel auch früher und eher in der Praxis vorgestellt als widersetzliche Tiere. Die Haltenden von entspannten Tieren sind meistens zu weitreichenderer Diagnostik und Therapie bereit. Ebenso ist die Compliance besser, wenn eine verordnete Therapie ohne Kampf und ohne Gefahr, gebissen oder gekratzt zu werden, umgesetzt werden kann.
Take Home Message
Die zwangsfreie Kooperation bei der Körperpflege oder bei medizinischen Behandlungen kann sowohl mit Hunden als auch mit Katzen trainiert werden. Sie kann sogar Spaß machen, das Vertrauen fördern und das Leben für alle einfacher machen. Motivieren Sie Ihre Kundschaft, Medical Training mit ihren Hunden und Katzen als sinnvolle Spaßübung und positive Interaktion zu machen.