Genetisch bedingte Augenerkrankungen – eine Übersicht

Hunde sind die dem Menschen am nächsten stehenden Haustiere und als solche sehr eng mit ihren Halter:innen assoziiert. Allzu gerne „vermenschlichen“ wir unsere vierbeinigen Begleiter und vergessen oft, dass diese trotz ihrer Nähe eben eine ganz andere Art sind. Während wir Menschen die Umwelt zu einem entscheidenden Teil visuell wahrnehmen, spielt beim Hund natürlich die olfaktorische Wahrnehmung neben der visuellen eine entscheidende Rolle. So richtig bewusst wird einem die Situation meist erst, wenn gewohnte Sinne nicht korrekt oder überhaupt nicht mehr funktionieren. Ein Mensch mit akutem Sehkraftverlust ist selbst in gewohnter Umgebung meist völlig hilflos. Bei Hunden können hingegen große Teile der visuellen Wahrnehmung verloren gehen, ohne dass dies von den Halter:innen im gewohnten Umfeld und Alltag überhaupt bemerkt wird.

Dennoch, oder gerade deswegen ist es entscheidend die Gesundheit des Sehsinns unserer Vierbeiner im Auge zu behalten. Neben regelmäßigen Augenuntersuchungen spielt hier in vielen Rassen und bei Züchter:innen vor allem die Genetik für Augenerkrankungen eine wichtige Rolle. Im letzten Jahrzehnt stieg die Anzahl der verfügbaren genetischen Tests von einer guten Hand voll auf über fünfzig an. In diesem Gebiet den Überblick zu behalten und korrekt zu entscheiden, welche Variante in welcher Rasse von entscheidender Bedeutung ist, ist entsprechend kompliziert und erfordert eine große Expertise. Viele genetisch bedingte Augenerkrankungen führen mit mehr oder weniger progressivem Verlauf von ersten Sehschwächen in letzter Konsequenz zu einer teilweisen oder vollständigen Erblindung, so dass eine rein symptomatische Einteilung von außen durchaus schon schwierig oder in vielen Fällen unmöglich ist. Hinzu kommt der Ausgleich gerade anfänglicher Symptome durch andere Sinne beim Hund, was oft dazu führt, dass Erkrankungen erst spät erkannt werden. Die spezielle Genetik der Augenerkrankungen vereinfacht den Zusammenhang leider auch nicht. So existieren einerseits viele verschiedene genetisch ursächliche Varianten in unterschiedlichen Rassen, die zu gleichartigen Erkrankung führen, andererseits gibt es in einzelnen Rassen sogar mehrere Varianten die jeweils dieselbe Erkrankung bedingen. Weitere Einflüsse wie Infektionen oder physische Einwirkungen auf das Auge können oft in der Konsequenz vergleichbare Symptome hervorrufen, oder sind ein zusätzlicher Trigger, der in Kombination mit der Genetik zum vollständigen Krankheitsbild führt.

Genetisch bedingten Augenkrankheiten beim Hund - ein sehr komplexes Themengebiet

Die Grundlagen der Genetik sind auch bei den bekannten Varianten der meisten genetisch bedingten Augenerkrankungen relativ simpel und beziehen sich auf einen oder wenige Genotypen für ein Merkmal, das sich grundsätzlich nach den Mendelschen Regeln vererbt. Jedes Tier (auch wir Menschen) erben von unseren Eltern je ein sogenanntes Allel für jedes Merkmal, welches genetisch kodiert ist. Daher setzt sich ein Genotyp immer aus zwei Kürzeln zusammen, die meist wie folgt dargestellt werden: Genotyp N/mut. Dieser Genotyp ist auch das zentrale Ergebnis eines einzelnen Gentests. Für Varianten, die mit Erkrankungen korrelieren, hat sich dabei meist die Schreibweise so etabliert, dass das unveränderte Allel (der Wildtyp) mit den Buchstaben „N“ bezeichnet wird. Für die genetisch ursächliche Variante steht ein gen- oder krankheitsspezifisches Kürzel (z.B. progressive Retinaatrophie „PRA“). Die Groß- und Kleinschreibung kann dabei in einigen Fällen ein Hinweis auf die Dominanz sein, da dies aber von Labor zu Labor und selbst innerhalb von Laboren nicht konsequent umgesetzt wird, sollte das Ergebnis auch immer eine Interpretation enthalten. Diese sollte den Genotyp erklären, den untersuchten Genort definieren (z.B. das Gen oder die Veröffentlichung nennen) und auf die Dominanzfolge der Allele hinweisen.

Bei einem einfachen Erbgang sind grundsätzlich drei verschiedene Ergebnisse möglich. Der Genotyp N/N steht für „frei“. Im untersuchten Genmaterial wurde die Variante nicht detektiert und somit ist der Hund reinerbig (homozygot) für den Wildtyp und genetisch gesehen unbedenklich in Bezug auf eigene Gesundheit und Verpaarungen im Hinblick auf diese Variante. Der Genotyp eines Anlageträgers ist N/mut, das Tier ist mischerbig (heterozygot). Je nach Dominanz der Variante oder des Wildtyps kann sich eine Erkrankung hier bereits entwickeln. In den meisten Fällen sind die Varianten jedoch als autosomal-rezessiv beschrieben, ordnen sich also dem Wildtyp unter, so dass Trägertiere keine eigenen gesundheitlichen Folgen zu erwarten haben. Für eine Verpaarung ist hier jedoch immer zu beachten, dass ein möglicher Partner N/N also frei für dieselbe Variante getestet sein muss. Ein gesundheitlich, wie genetisch betroffener Hund hat den Genotyp mut/mut und ist reinerbig (homozygot) für die Variante. Je nachdem wie die Variante wirkt sind früher oder später Symptome der korrelierten Erkrankung bei solchen Hunden zu erwarten. Eine Verpaarung ist bei einer rezessiven Variante möglich, wenn ein N/N Partner ausgesucht wird. Zu beachten ist jedoch, dass dann alle Nachkommen den Genotyp N/mut aufweisen.

Aus den oben genannten Punkten wird klar, dass neben dem Wissen zu den genetischen Varianten, deren Korrelation in verschiedenen Rassen und deren Erblichkeit als auch die Verbreitung oder Häufigkeit bestimmter Allele eine entscheidende Rolle spielt. Diese statistische Verteilung innerhalb einer großen Population kann Laboklin für viele Merkmale aus den eigenen Routineuntersuchungen bereitstellen. Dabei ist zusätzlich zur Verteilung der Genotypen auch die sog. Allelfrequenz (die Häufigkeit der Variante in Relation zur Anzahl aller Allele in der Testpopulation) ein wichtiger Wert. An der Allelfrequenz lässt sich ablesen, wie hoch das Risiko ist in einer zufälligen Verpaarung Welpen zu erhalten, welche das Merkmal ausprägen. Die Erfahrung zeigt, dass erst bei einer Allelfrequenz von 5-10 % Fälle der Erkrankung so häufig auftreten, dass dies bei Züchtern und Verantwortlichen als rassespezifisches Problem wahrgenommen wird. Für den einzelnen Hund besteht jedoch bei fehlender oder falscher Planung schon viel früher die Gefahr über einen vermeidbaren Weg zu erblinden. Daher ist es ratsam auch bei seltenen Varianten die Genetik innerhalb der Zuchtpopulation und für die eigenen Tiere genau zu kennen. Zusätzlich kann der Tierarzt die genetischen Tests auch nutzen, um bei symptomatischen Tieren, oder präventiv eine zusätzliche mögliche Ursache in die Diagnose mit einzubeziehen.

Die Vielzahl der verfügbaren Tests und einzelner ursächlicher Varianten hier ausführlich zu behandeln, würde den Rahmen des Artikels deutlich sprengen. Im Folgenden möchte ich daher auf einige besonders interessante Beispiele aus dem Gebiet der genetischen Augenerkrankungen näher eingehen. Eine komplette Liste der bei Laboklin im Moment verfügbaren Gentests für Augenerkrankungen finden sie in der Übersichtstabelle. Bitte beachten Sie, dass sich die Genetik rasant entwickelt und daher ständig Neuerungen auf diesem Gebiet zu erwarten sind. Eine aktuelle rassespezifische und vollständige Übersicht ist online verfügbar (www.labogen.com). Die statistischen Daten beziehen sich auf den Zeitraum der Testeinführung (frühestens 2012) bis Ende 2022.

Augenerkrankungen lassen sich unter anderem anhand der betroffenen Einheit im komplexen Organ Auge einordnen. Genetisch gesehen spielen Retinopathien, also Erkrankungen der Netzhaut (Retina) eine große Rolle, da hier eine Vielzahl von ursächlichen Varianten beschrieben ist. Die progressive Retinaatrophie (PRA) ist die häufigste genetisch bedingte Augenerkrankung und zeichnet sich durch eine Degradation der Stäbchen und Zapfen aus. Je nachdem ob Stäbchen (engl. rod) oder Zapfen (engl. cone) zuerst absterben, entwickelt sich zunächst eine Tag- oder Nachtblindheit, die zur vollständigen Erblindung führt. Die zwei Hauptformen der PRA werden daher als rod-cone dysplasy (rcd-PRA) oder cone-rod dysplasy (crd-PRA) definiert.

Der kleine Einblick in das weite Feld der genetischen Augenerkrankungen beim Hund hilft bestimmt dieses komplexe und spannende Thema besser erfassen zu können, welches in der täglichen Routine von Tierärzt:innen, Züchter:innen und Zuchtverbänden eine immer entscheidendere Rolle spielt. Gerade in der genetischen Analytik sind hier eine große Expertise und Objektivität gefragt, um die aktuellen Themen und Fragestellung in der nötigen Tiefe zu beurteilen und entsprechend korrekt zu handeln.

Fazit

Auch wenn Augenerkrankungen nicht sofort fatale Auswirkungen auf das Leben unserer Hunde haben, sind diese aus gesundheitlicher und züchterischer Sicht und nicht zuletzt im Hinblick auf die zuletzt heiß diskutierte „Qualzuchtthematik“ zu beachten. Richtig angewandt ist die genetische Analytik mit aktuellen Daten und neuesten Erkenntnissen ein essentieller Bestandteil, um sie in die Beurteilung der individuellen, als auch in der rasseübergreifenden Gesundheit mit einfließen zu lassen. Das Wohl und die Gesundheit unserer Tiere sollten dabei für uns alle an erster Stelle stehen.

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