Akupunktur für chronische Schmerzpatienten

Der Einsatz von Akupunktur in der Schmerztherapie ist seit einigen Jahren im Vormarsch, sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin. Die Praxis der Akupunktur ist über 2000 Jahre alt, jedoch erst in den letzten Jahren konnte mit experimentellen und klinischen Studien spezifische biologische aber auch messbare klinische Wirkungen der Akupunktur aufgezeigt werden.

Wie wirkt Akupunktur?

Diese Frage kann auf verschiedenen Ebenen beantwortet werden: Einerseits auf metaphysischer Ebene: gemäß traditioneller chinesischer Medizin (TCVM) bedeutet das Vorhandensein von Schmerz eine Blockade, der Fluss von Qi (Lebensenergie) ist gestört, die Energie kann nicht mehr ungestört durch das Meridiansystems des Körpers zirkulieren. Durch das gezielte Setzen von Nadeln können Blockaden gelöst werden, und die Energie kann wieder frei fließen.

Auf wissenschaftlicher Ebene kommt es durch die Akupunktur zur Modifikation der Homöostase im Körper. Über Aku(punktur)punkte kann via peripheres Nervensystem und dessen Verbindung mit dem zentralen Nervensystem Einfluss auf spezifische Körperregionen genommen werden. Der analgetische Effekt der Akupunktur kann in lokale, spinale und zentrale Effekte eingeteilt werden. Die Wirkung der Akupunktur auf das zentrale Nervensystem umfasst die Aktivierung des körpereigenen endogenen Schmerzmodulationssystems, was zur Freisetzung von Serotonin, endogenen Opioiden und anderen Neurotransmittern führt, wodurch die Nozizeption und die Schmerzwahrnehmung verändert werden können. Auch kann die Neuroplastizität beeinflusst werden, was bei chronischen Schmerzen genutzt werden kann, um maladaptive neuroplastische Veränderungen rückgängig zu machen. In den 1980er Jahren konnte nachgewiesen werden, dass Akupunkturanalgesie mittels dem Opioid-Antagonisten Naloxon aufgehoben werden kann; dies zeigte auf dass die Wirkung der Akupunkturanalgesie (unter anderem) durch endogene Opioide zustande kommt.

In den letzten Jahren hat aber v.a. auch die lokale Wirkung an Bedeutung gewonnen: Aku(punktur)punkte sind hochgradig innervierte Regionen mit einer hohen Dichte von Arteriolen und Venolen, Lymphgefäßen, Mastzellen und Fibroblasten. Die Akupunkte haben typischerweise eine hohe elektrische Leitfähigkeit und einen tiefen elektrischen Widerstand. An der lokalen Wirkung sind folgende Vorgänge beteiligt: einerseits kommt es zu Neuromodulation, andererseits wird durch das gesetzte Mikrotrauma die Gerinnungskaskade aktiviert, und zusätzlich winden sich die Kollagen- und Elastinfasern um die Nadel. Dadurch kommt es zu mikroskopischen Kollagenwirbeln im Bindegewebe, die sich als wellenförmige Kettenreaktion durch das Gewebe fortbewegen und damit die Wirkung in weit entfernten Körperregionen erklären.

Die Faszien sind eine kritische Komponente: durch direkte Stimulation der kutanen Faszien kommt es zum Zug auf assoziierte Fibroblasten durch die Kollagenfasern; innerhalb von 10 Minuten kommt es zur Remodullierung der zellulären Strukturen und später zum mechanischen Dehnen der Fibroblasten; die biochemische Modifikation wirkt über Stunden bis Tage.

Akupunktur soll nicht alternativ zur Schulmedizin eingesetzt werden, sondern integrativ – integrative Schmerztherapie ist die Zukunft."

Dr. Karin Kalchofner-Guerrero, Zürich

Akupunktur beim Hund

Grundsätzlich ist die TCVM eine ganzheitlich Methode, die Ungleichgewichte/Störungen in allen möglichen Organen ausgleichen soll und die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert. Die WHO hat eine Liste mit 31 verschiedenen Symptomen und Krankheiten erstellt, für welche anhand von Studien ein positiver Effekt aufgezeigt werden konnte, darunter viele schmerzhafte Erkrankungen. Die Liste der Indikationen kann auf unsere vierbeinigen Patienten übertragen werden, darunter Osteoarthrose, Diskospondylitis, Tendinopathien, Pankreatitiden, um nur einige zu nennen.

Kann man denn nun eine schulmedizinische Schmerztherapie in Form von Schmerztabletten und Injektionen mit Akupunkturtherapie ersetzen? Jein. Die meisten Schmerzpatienten profitieren von einer Akupunkturtherapie. Jedoch gab es vor 2000 Jahren nicht die diagnostischen und therapeutischen Methoden, wie wir sie heute kennen. Die besten Resultate werden erzielt, wenn diese unterschiedlichen Therapiekonzepte kombiniert werden. Umso genauer das Problem bekannt ist, desto gezielter kann auch mittels Akupunktur therapiert werden. Wenn eine schmerzhafte Symptomatik den Einsatz von Schmerzmitteln erfordert, dann sollen diese eingesetzt werden. Gerade am Anfang einer Behandlung ist die Kombination von schulmedizischen Schmerzmitteln und Akupunktur wichtig, um den Patienten aus der Schmerzspirale herauszuholen. Im Verlauf der Therapie können dann meist die konventionellen Schmerzmittel reduziert, bzw. nur noch nach Bedarf eingesetzt und somit auch deren Nebenwirkungen reduziert werden.

Folgenden Modalitäten werden am häufigsten eingesetzt: die traditionelle Akupunktur (das Setzen von Nadeln in gewisse Punkte; auch dry needling genannt, aber nicht zu verwechseln mit dem Triggerpunkt-Nadeln, bei welchem die Nadeln in schmerzhafte Muskelkontraktionen oder verklebte Faszien gesetzt werden); Moxabustion (die Behandlung mit Wärme mittels Beifusskraut); Aquapunktur (die Injektion von Substanzen wie Vitamin B12 in Akupunkte); Elektroakupunktur und Laserakupunktur. Die Elektroakupunktur hat die intensivste schmerzstillende Wirkung und auch den am längsten anhaltenden Effekt. Je nach angewendeter Frequenz kommt es zu einer Ausschüttung von verschiedenen Neurotransmittern. Die Akupunktur mit dem Laser ist v.a. bei Patienten von Vorteil, die nadelscheu sind.

Wie viele Therapiesitzungen nötig sind, um den gewünschten Effekt zu erzielen, ist individuell verschieden. Umso chronischer das Geschehen, desto länger dauert es, bis die gewünschte Wirkung erzielt wird. Da die meisten Patienten vorher schon alle schulmedizinischen Therapien ausgeschöpft haben, bevor sie zur Akupunkturbehandlung überwiesen werden, darf man da auch keine schnelle Wunderheilung erwarten. In vielen Fällen mit chronischen Schmerzen braucht es 3-5 Sitzungen im Abstand von 1-2 Wochen, um einen Effekt zu sehen. Und gerade bei multimorbiden älteren Patienten mit chronischen Schmerzen ist die Therapie danach kaum als beendet anzusehen. Diese Patienten brauchen häufig regelmäßige Akupunkturbehandlungen bis ans Lebensende.

Für welche Patienten ist eine Schmerztherapie mittels Akupunktur geeignet?

Nebst dem zeitlichen und finanziellen Aufwand muss auch der Patient selber berücksichtig werden. Nicht jede Therapie ist für jedes Tier geeignet. Die meisten Hunde akzeptieren die Nadeln aber gut, manche scheinen es sogar zu genießen, aber natürlich gibt es auch Tiere, die sehr sensibel reagieren. In manchen Fällen können alternativ mit einem Laserstift statt mit Nadeln die Punkte behandelt werden. In anderen Fällen kann man auf chinesische Kräutertherapie oder manuelle Therapien, wie z.B. Osteopathie oder Physiotherapie, zurückgreifen.

Take Home Messages

Zusammenfassend soll nochmals betont werden, dass wir die gänzlich verschiedenen Therapieansätze kombinieren sollten. Akupunktur zur Behandlung chronischer Schmerzen: ja, aber in Kombination mit schulmedizinischer Schmerztherapie wo nötig - also nicht alternativ sondern integrativ! Akupunktur hat nichts mit Magie zu tun – es handelt sich um eine Jahrtausend alte Heilmethode, deren Wirkung in vielen Studien nachgewiesen werden konnte.

Referenzen

  • „The Spark in the Machine – How the science of acupuncture explains the mysteries of western medicine” Dr. Daniel Keown, Singing Dragon Verlag, 2014.
  • Dewey & Xie. “The scientific basis of acupuncture for veterinary pain management: A review based on relevant literature from the last two decades” Open Veterinary Journal (2021), Vol 11(2): 203-209.
  • Huntingford and Petty. “ Evidence-Based Application of Acupuncture for Pain Management in Companion Animal Medicine” Vet. Sci. 2022, 9, 252. doi: 10.3390/vetsci9060252.
  • Wright BD. Acupuncture for the Treatment of Animal Pain. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2019 Nov;49(6):1029-1039. doi: 10.1016/j.cvsm.2019.07.001. Epub 2019 Sep 13. PMID: 31526524.