Schäferhund Bootsmann: "Eine Granne in der Lunge"
Bootsmann, ein sechs Jahre alter Schäferhund, wurde uns mit chronischem Husten in der Sprechstunde vorgestellt. Der Husten begann, nachdem er mit seinen Hundefreunden durch ein Feld gerannt war. Anfänglich war es nur ein trockener Husten, später dann Husten mit weißlicher Schleimproduktion. Zudem zeigte er auch unter leichter körperlicher Anstrengung vermehrtes Hecheln.
Die Besitzerin hat den Hund mehrfach beim Haustierarzt vorgestellt, jedoch kam es unter einer medikamentellen Therapie mit verschiedenen Antibiotika zu keiner nachhaltigen Besserung. Daher wurde uns Bootsmann zur weiteren diagnostischen Abklärung überwiesen. Die klinische Untersuchung des Schäferhundes war ohne besonderen Befund. Er hatte kein Fieber, das Abhören von Herz und Lunge war unauffällig. Es wurden mehrere Röntgenbilder von seinem Brustkorb angefertigt. Auf der rechten Seite war dabei eine schwache Verdichtung eines Teils seiner Lunge zu erkennen. Zur weiteren Abklärung der rechten Lungenhälfte erteilte die Besitzerin ihr Einverständnis, eine Endoskopie in Narkose vornehmen zu lassen.
Um die Atemwege gut beurteilen zu können, wurde eine Kamera über die Luftröhre, bis zum Anfang der Lunge, geschoben. Mandeln, Kehlkopf und Luftröhre erschienen deutlich gerötet. Der Bronchus der linken Lungenseite war unauffällig, der Bronchus der rechten Lungenseite jedoch war mit eitrigem Sekret gefüllt. Die luftführenden Wege der Bronchien verzweigen sich in der Lunge ähnlich wie die Äste eines Baumes und werden vom Durchmesser her immer enger. Somit konnte der Bronchus nur eine gewisse Strecke verfolgt werden, dann war der Durchmesser - auch der kleinsten zur Verfügung stehenden Videokamera - zu groß. Die Ergebnisse vom Röntgen und der Bronchoskopie - in Verbindung mit dem Vorbericht der plötzlich begonnenen Problematik nach dem Toben im Feld, erhärteten den Verdacht eines Fremdkörpers in der Lunge. Zur exakten Diagnosestellung und Lokalisation des vermuteten Fremdkörpers wurde als nächster Schritt entschieden, eine Computertomographie (CT) durchzuführen.
Der CT-Befund ergab, dass der rechte mittlere Lungenlappen betroffen war. Das Gewebe dieses Lungenlappens war deutlich verdichtet und der zugehörige Bronchus vom Lumen her verlegt. Anhand von Dichtemessungen im veränderten Lungengewebe wurde ein Bestandteil einer Pflanze (Granne) als Ursache vermutet. Anatomisch besteht die Lunge beim Hund aus mehreren Lungenlappen auf der rechten wie auch auf der linken Seite. Die rechte Lungenhälfte unterteilt sich im Speziellen in vier Abschnitte. Jeder dieser Lungenabschnitte hat einen eigenen luftführenden Weg (Bronchus) und eine eigene Blutgefäßversorgung an der Basis.
Fremdkörper lassen sich nicht von außen - durch einen Schnitt in den betroffenen Lungelappenabschnitt - entfernen da ein luftdichter Verschluss dieser Lungenwunde auf Grund der Elastizität der Lunge nicht gewährleistet werden kann. Bei Luftaustritt aus der Wunde wäre ein Pneumothorax (Luftansammlung im Brustkorb - um die Lunge herum) zu befürchten und die Lunge würde kollabieren, da sie einen ständigen Unterdruck im Brustkorb braucht um zu funktionieren. Daher müssen inhalierte Fremdkörper, so sie denn nicht durch eine Endoskopie entnommen werden können, durch die Entfernung des gesamten betroffenen Lungenlappens behandelt werden. Anhand der CT-Untersuchung konnte genau gezeigt werden, welcher Lungenlappen entnommen werden musste.
Für Operationen am offenen Brustkorb ist es wichtig, gut ausgebildetes Anästhesiepersonal zu haben, sowie die Möglichkeit, den Hund während der Operation zu Beatmen. Auch muss sichergestellt sein, dass die Tiere nach der Operation adäquat auf der Station betreut werden können. Die Besitzer entschieden sich nach eingehender Aufklärung über Kosten, Risiken und Prognose für den operativen Eingriff.
Bootsmann wurde auf der linken Seite liegend für die Operation vorbereitet. Der Zugang zum betreffenden Lungenabschnitt erfolgte durch Spreizung der Rippen. Der mittlere rechte Lungenlappen wurde lokalisiert und mit einem sogenannten 'Stapler' abgetrennt. Ein Stapler ist ein chirurgisches Instrument, das durch eine Vielzahl von kleinen Metallklammern Blutgefäße und luftführende Wege an der Basis des Lungenlappen verschließt und abtrennt. Nach der Entnahme des Lungenlappens wurde kontrolliert, das der Bronchus, sowie die Blutgefäße dicht waren. Dies geschieht ähnlich wie nach dem Flicken eines Fahrradschlauches durch das Einfüllen von Flüssigkeit (steriler Kochsalzlösung) in den Brustraum. Steigen keine Bläschen aus dem Wundbereich auf ist die Wunde ausreichend versiegelt. Abschließend wurde eine Thoraxdrainage eingelegt, um den Brustkorb über einigen Tage hinweg spülen zu können, bzw. um evtl. doch später austretende Luft ablassen zu können. Der entnommene Lungenlappen wurde eröffnet, und eine ca. acht Zentimeter lange Roggenähre wurde entdeckt.
Operationen am Brustkorb sind sehr schmerzhaft. Daher wurde Bootsmann noch einige Tage nach der OP stationär betreut und unter anderem mit Schmerztherapie in Form einer 24 Stunden Dauerinfusion versorgt. Der Schäferhund erholte sich schnell, nach vier Tagen wurden die Drainagen gezogen, und Bootsmann konnte nach Hause entlassen werden. Nach 10 Tagen wurde uns der Hund vorgestellt, um die Fäden ziehen zu können. Er war bei gutem Allgemeinbefinden und hatte keinen Husten mehr.
Fälle wie dieser sind keine absolute Seltenheit. Sollten Atemwegsprobleme, wie z.B. Husten oder Niesen in direktem Zusammenhang mit einem Spaziergang - besonders in der Nähe von Feldern zu bestimmten Jahreszeiten - stehen, sollte immer an einen Fremdkörper gedacht werden.