Lena und der graue Star

Die Hündin „Lena“ ist in letzter Zeit unsicher geworden und scheint seit zwei Wochen gar nichts mehr zu sehen, da sie vor allem in ungewohnter Umgebung mit der Schnauze anstößt. Außerdem ist vor einigen Monaten bei der 8-jährigen Mischlingsdame die Zuckerkrankheit (Diabetes) diagnostiziert worden. Trotz Behandlung waren ihre Blutzuckerwerte in der ersten Zeit noch zu hoch. Sie wird zur Augenuntersuchung in unsere Tierärztliche Praxis für Augenheilkunde überwiesen. Bei der Untersuchung fällt auf, dass „Lena“ bei Bewegungen vor ihrem Auge kein Blinzeln zeigt. Beide Linsen sind so stark getrübt, dass der hintere Augenbereich mit Glaskörper und Netzhaut nicht mehr einsehbar ist (mature Katarakt, s. Foto 1).

Das Wort Katarakt kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „herabstürzen“, womit „Wasserfall“ gemeint ist. Die weiße Farbe aufgewirbelten Wassers ähnelt der Trübung einer kataraktösen Linse, und so entstand der medizinische Begriff. Der deutsche Begriff „grauer Star“ kommt von „starren“ oder „stieren“ getrübter, blinder Augen. Wie wir Menschen können auch unsere Haustiere aus verschiedenen Gründen einen grauen Star ausbilden. Ausmaß und das Fortschreiten der Trübungen sind unterschiedlich. Im Allgemeinen sind sie nicht rückgängig zu machen. Es gibt angeborene, erbliche sowie altersbedingte Formen der Katarakt, aber auch Verletzungen am Auge können langfristig zu Linsentrübungen führen. Beim Diabetes des Hundes kann es stoffwechselbedingt zu einer Linsentrübung kommen. Sofern der Diabetes nicht erkannt wird oder schlecht eingestellt ist, kann die Trübung schnell voranschreiten und innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen zu einer Erblindung führt. Diese diabetische Katarakt geht mit einer Linsenschwellung einher, die sogar dazu führen kann, dass die Kapsel der Linse reißt, was zu einer starken Entzündung im Auge und bei Nichtbehandlung zum Verlust des Sehvermögens führt. Bei älteren Hunden fällt häufig eine homogen-bläuliche, symmetrische Trübung der Linsen auf. Hierbei handelt es sich um eine altersbedingte Verdichtung des Linsenkerns (senile Nukleosklerose) und sie gilt es in der Augenuntersuchung von der Katarakt abzugrenzen. Diese Alterstrübung entsteht beim Hund teilweise schon ab dem sechsten Lebensjahr - bei Katzen meist erst später - und schreitet langsam voran. Sie führt allerdings nur äußerst selten zu Seheinschränkungen und ist daher nicht operationswürdig (Foto 2).

Die weitere Augenuntersuchung bei „Lena“ ergibt außerdem einen Augeninnendruck, der niedriger als normal ist, was für ein Entzündung des Augeninneren durch freigesetzte Linseneiweiße spricht (linseninduzierte Uveitis). In der anschließend durchgeführten Ultraschalluntersuchung des Auges werden außer einer geschwollenen und eingetrübten Linse keine weiteren krankhaften Befunde erhoben. Zur Sicherheit wird zusätzlich ein sogenanntes Elektro-Retinogramm (ERG) angefertigt. Ähnlich wie beim EKG wird hierbei die Aktivität der Netzhaut überprüft. Nur wenn diese normal arbeitet, kann ein operativer Eingriff die Sehfähigkeit wieder herstellen. Da das ERG bei „Lena“ eine normale Kurvenform aufweist (Foto 3), spricht nichts gegen den Eingriff.

Zum Glück ist es bei den meisten unserer Haustiere heutzutage möglich, ähnlich wie bei uns Menschen, die getrübte Linse operativ zu entfernen. Der apparative Aufwand und die intensive Nachsorge sind bei dieser Operation erheblich. Die Erfolgsaussichten für eine Wiederherstellung und langfristigen Erhalt der Sehfähigkeit hängen von zahlreichen Faktoren, unter anderen einer konsequenten Gabe von Augenmedikamenten nach der Operation ab. Im Vorfeld einer Kataraktoperation sollten in Rücksprache mit dem Haustierarzt verschiedene Voruntersuchungen gemacht werden (z.B. Blutbild, Röntgen, Herzultraschall) um die allgemeine Narkosefähigkeit des Tieres beurteilen zu können. Bei „Lena“ kann dieser Eingriff unter dem Operationsmikroskop erfolgreich durchgeführt werden. Hierfür werden am Auge an einer oder zwei Stellen kleine Zugänge geschaffen und das Kammerwasser durch ein Gel ersetzt. Anschließend wird die Kapsel der Linse ähnlich wie eine Dose mit einer sehr feinen Pinzette eröffnet. Nun werden die getrübten Linsen mittels Ultraschall entfernt und anschließend künstliche Linsen implantiert, wie im Foto 4 zu sehen ist. Diese Linsen werden speziell für Hundeaugen hergestellt. Zum Schluss werden die Zugänge mit Fäden vernäht, die feiner als ein menschliches Haar sind. 

Nun muss noch für zehn Tage ein Halskragen getragen werden, um zu verhindern, dass die Mischlingshündin durch Kratzen am Auge Schaden anrichtet, bis die Wunden verheilt sind. Schon bald zeigt sich, dass sich der Aufwand gelohnt hat. „Lena“ hat wieder deutlich mehr an Lebensqualität gewonnen, fordert die Besitzerin wieder zum Spielen auf und stößt auch nicht mehr an. Trotzdem ist Vorsicht geboten, da es beim Hund eine ganze Weile dauert, bis sich das Auge nach der Operation wieder beruhigt hat. Wir empfehlen vor allem beim Diabetiker eine lebenslange Gabe von entzündungshemmenden Augentropfen, um spät auftretende Komplikationen zu vermeiden.