Silvesterangst - Katze und Hund leiden unter dem Lärm der Kracher

Alle Jahre wieder kommt der Silvesterkrach. Und mit ihm bei vielen Tieren die Angst. Dr. Brigitta Nahrgang beleuchtet die Entstehung der Angst, insbesondere der Geräuschphobie. Anschließend erfolgt eine Erläuterung zur Wirkungsweise der anwendbaren Psychopharmaka und Futtermittel mit ihren Vor- und Nachteilen. Außerdem werden Grundzüge einer möglichen Verhaltenstherapie erläutert.

Wie entsteht Angstverhalten?

Angst vor Geräuschen (Geräuschphobie) kann entstehen, wenn sich das Tier vor einem Geräusch wie z.B. Feuerwerk, aber auch Autohupen oder Gewitter erschrickt. Dies kann auch ein lange bekanntes Geräusch sein, auf das das Tier plötzlich ängstlich reagiert. Die Geräuschtoleranz kann sich individuell also im Laufe der Zeit ändern. Ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Angst liegt in frühen Lebensphase, der sogenannten Sozialisation des Tieres. Dabei spielen beim Hund die ersten vierzehn, bei der Katze die ersten sieben Lebenswochen eine entscheidende Rolle. In dieser Zeit erlernen die Welpen die grundlegenden Regeln für den Umgang mit anderen Lebewesen (Sozialisation) und gewöhnen sich an die Reize der Umwelt (Habituation). Mangelt es in dieser Phase an Kontakten zu anderen Tieren, Menschen oder Umwelteinflüssen wie z.B. Lärm im Haushalt oder Straßenverkehr, lernt der Welpe in seinem weiteren Leben nur schwer, mit neuen Situationen umzugehen. Früh bildet sich ein Muster heraus, mit dem dann verglichen wird: Bekanntes erzeugt keine Angst, Unbekanntes wird mit Vorsicht betrachtet und erzeugt Unbehagen bzw. Angst. Reizarme oder isolierte Aufzucht erschwert also den Umgang mit Stress auslösenden Umweltfaktoren.

Außer der Aufzuchtsituation kann auch eine genetische Veranlagung zur Entwicklung einer Geräuschangst führen. Einige Hütehunderassen, wie der Border Collie und Bearded Collie, sind prädisponiert dafür. In der Regel potenziert sich die Geräuschphobie von Mal zu Mal. Hierbei spielt auch die Lernerfahrung (die Angst vor der Angst) und das Verhalten der Besitzer eine große Rolle, denn gut gemeinter Trost sorgt für Aufmerksamkeit und positive Verstärkung und wirkt somit kontraproduktiv. Vermutlich sind es an Silvester nicht nur die Geräusche, die Angst auslösen. Auch schussfeste Hunde oder solche, die sich nicht bei Gewitter ängstigen, können an Silvester Panik haben. Der Grund liegt darin, dass an Silvester optische Reize (Lichtreflexe), olfaktorische Reize (Rauch- bzw. Qualmgeruch) und akustische Reize zusammenkommen und somit eine Reizüberflutung verursachen.

Neurophysiologie der Angst

Das Regelzentrum für die emotionale Verarbeitung der Reize aus der Umwelt befindet sich bei den Säugetieren im limbischen System. Hier findet über Neurotransmitter (Botenstoffe im Gehirn) und deren Rezeptoren die Bildung von Emotionen wie Angst und die daraus resultierenden körperlichen Reaktionen und Verhalten statt. Für die medikamentöse Therapie von Verhaltens- bzw. Angststörungen spielen die Neurotransmitter gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Serotonin eine große Rolle. Serotonin werden angstlösende und stimmungsaufhellende Eigenschaften zugeschrieben, gamma-Aminobuttersäure wirkt erregungsinhibitorisch.

Jedes Jahr stellt Silvester auch für den Tierarzt eine Herausforderung dar. Der Praxisalltag lässt nicht immer ausführliche verhaltenstherapeutische Beratungen zu. Als verhaltenstherapeutische Last Minute-Unterstützung empfehle ich die unten genannten Tipps für den Umgang mit Haustieren zu Silvester."

Dr. Birgitta Nahrgang, Tierärztin in Köln

Besitzerverhalten

Das Verhalten des Besitzers sollte in den Behandlungsplan einbezogen werden. Nach Möglichkeit sollte er Entspannung signalisieren und seine Alltagsrituale beibehalten. Durch übertriebene Zuwendung verstärkt sich die Angst des Hundes bzw. der Katze. Jedes Beruhigen wird vom Hund als Lob verstanden und verstärkt sein Angstverhalten. Dem Tier sollen Rückzugsmöglichkeiten angeboten werden. Hunde- bzw. Katzenboxen mit Dach eignen sich wegen des Höhlencharakters gut. Bei starken Lichtreizen werden Rollläden heruntergezogen, vorhandene Gardinen geschlossen. Spaziergänge am Silvesterabend sollen kurz und bis spätestens 20 Uhr stattfinden. Beim Hund ist ein guter Sitz des Halsbandes zu überprüfen, damit er sich in einer Panikreaktion nicht daraus befreien und kopflos davonrennen kann. Das Anschalten eines Radios bzw. Fernsehgerätes stellt ggf. einen gewohnten Gegenreiz dar. Das Wichtigste aber ist und bleibt ein souveräner Tierhalter, der sich unbekümmert verhält und seinen Alltagsverrichtungen nachgeht, anstatt seine Aufmerksamkeit der Angst des Tieres zu widmen.

Medikamentöse Maßnahmen

Trizyklische Antidepressiva: Clomipramin zeichnet sich durch seine Serotonin verstärkende Eigenschaft aus. Es wird bei Angstproblemen erfolgreich eingesetzt. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Appetitreduktion und Lethargie. Es sollte vier Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden.

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer: Sie zeichnen sich durch eine Serotonin verstärkende Wirkung aus, haben aber weniger Nebenwirkungen als trizyklische Antidepressiva, da sie selektiv an Serotonintransportern arbeiten und andere Neurotransmitter weitgehend unbeeinflusst bleiben. Bis zu ihrem vollen Wirkungseintritt vergehen drei Wochen.

Benzodiazepine: Sie verstärken die Wirksamkeit des hemmenden Neurotransmitters gamma-Aminobuttersäure (GABA) und verhindern dadurch eine Übererregung im ZNS. Die wichtigsten Benzodiazepine in der Tiermedizin sind Diazepam. Der Vorteil dieser Medikamente ist die stark angstlösende und nur gering sedierende Wirkung. Die Wirkung tritt schnell ein, es braucht keinen wochenlangen Vorlauf. Von Nachteil ist, dass Benzodiazepine sehr individuell dosiert werden müssen. Werden sie einem bereits erregten Tier gegeben, kann sich die Wirkung ins Gegenteil verkehren und zu Panikattacken führen. Wegen seiner enthemmenden Wirkung ist der Einsatz von Alprazolam bei aggressiven Hunden kontraindiziert.

Caseinhydrolysat: Das seit Längerem in Form von Kapseln oder als Futterbestandteil erhältliche Alpha-Casozepin gehört zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Es arbeitet wie ein Benzodiazepin, hat aber den großen Vorteil, nebenwirkungsfrei zu sein. Es empfiehlt sich, Zylkene mindestens zwei Tage vor einer gewünschten beruhigenden Wirkung zu verabreichen.

Monoaminooxidase-Hemmer: MAO-Hemmer wirken auf das Serotoninsystem und haben eine Serotonin-verstärkende Eigenschaft. Seine anxiolytische Wirkung ist unter Umständen nicht ausreichend, Nebenwirkungen sind sehr selten. Tryptophan: In einigen Fällen kann auch der Einsatz von Neurotransmittervorläufern ausreichend sein. Tryptophan als essenzielle Aminosäure wird im Körper zu Serotonin umgewandelt. In Pulver- oder Tablettenform ist es in der Tiermedizin zugelassen. Auch das Trockenfutter Calm enthält Tryptophan. Es sollte vier Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden.

Pheromone: Canine bzw. feline synthetische Beruhigungspheromone (ADAPTIL, bzw. Feliway) sind den natürlicherweise in den Talgdrüsen des Gesäuges produzierten Pheromonen nachempfunden. In der Verhaltenstherapie eignet sich ihr Einsatz unterstützend bei Unsicherheit und Angst. Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Sie sollten zwei bis drei Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden. Verabreichung erfolgt als Zerstäuber, Spray oder Halsband

Wirkstoffkombination aus Pflanzenextrakten (Melisse, Baldrian, Passionsblume, grüner Hafer), L- Theanin,L-Tryptophan, Vitamin B: Das Präparat entfaltet eine entspannende Wirkung, die innerhalb von wenigen Stunden zu mehr Gelassenheit führt. Die Bildung beruhigender Botenstoffe im Gehirn wird gefördert. Das Präparat ist indiziert bei Tieren, die nicht massive Angst haben, sondern unsicher sind. Für Patienten mit Panik reicht es nicht aus.

Phenothiazinderivate: Von dem Einsatz von Azepromazin ist abzuraten. Als Phenothiazinderivat hat es nur eine sedative Wirkung auf das zentrale Nervensystem, erhält jedoch die Reaktion auf Stimuli. Dies führt dazu, dass die Tiere zwar äußerlich ruhig erscheinen, jedoch alle Formen der Reize wahrnehmen. Durch die starke Sedation sind sie in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und können somit nicht angemessen reagieren, z.B. mit Flucht- oder Rückzugsverhalten. Dieser Umstand hat zur Folge, dass sich die Angst nach jeder Behandlung verschlimmert.

Dexmedetomidin: Hierbei handelt es sich um das einzige bei Geräusch- bzw. Silvesterangst zugelassene Präparat in der Tiermedizin. Ein großer Vorteil dieses Präparates ist, dass es auch dann noch wirkt, wenn der Hund bereits Angst hat. Bei der Verabreichung ist zu berücksichtigen, dass das Medikament auf die Mundschleimhaut zwischen Lefze und Zahnfleisch aufgetragen werden muss und nicht geschluckt werden darf. Daher darf der Hund auch frühestens 15 Minuten nach Verabreichung des Wirkstoffes gefüttert werden. Eine Nachdosierung nach zwei Stunden ist je nach Bedarf bis zu fünfmal möglich.

Kaktusfeige: Genau genommen handelt es sich hierbei um eine Wirkstoffkombination aus Kaktusfeige, Ginseng, Beta-Glucanen und den Vitaminen E und B12. Es soll dem Körper helfen, sich besser auf Stresssituationen einzustellen und die Immunabwehr bei belastenden Situationen zu stärken. Mit der Vorbereitung auf den Silvesterstress kann der Besitzer schon 1 bis 3 Wochen vorher starten.

Tipps für den Umgang mit ängstlichen Tieren an Silvester

Kurze Spaziergänge bis spätestens 20 Uhr
Kein beruhigendes Einreden, dadurch verschlimmert sich die Angst
Rückzugsmöglichkeiten für das Tier schaffen
Hunde- bzw. Katzenbox
Rollläden herunterlassen und Gardinen zuziehen
• Radio bzw. Fernsehen anmachen
• Wichtig: Bleiben sie als Tierhalter souverän!