Labrador Retriever Lucky: "Glück im Unglück"
Als mir Lucky das erste Mal vorgestellt wurde, hatte er sehr große Probleme. Dem Retriever wurden bei seiner Haustierärztin vor etwa einem Jahr zwei Schneidezähne gezogen. Danach war eine Wundheilungsstörung aufgetreten. Trotz regelmäßiger Behandlung und mehrfachen Nachoperationen heilten die Extraktionswunden nicht zu, und auch die Wundinfektion kam nicht zum Stillstand. Im Gegenteil, die Entzündungen breiteten sich immer weiter aus. Das Ergebnis war ein großer Gewebedefekt, mittlerweile war auch ein Teil des vorderen Kieferknochens zerstört, sodass eine dazu noch recht großflächige Verbindung zur Nase, eine sog. oronasale Fistel, entstanden war. Diese war jetzt Anlass, dass Lucky an unsere Fachpraxis überwiesen wurde.
Oronasale Fisteln können als Komplikationen nach Zahnextraktionen auftreten und betreffen meistens die großen Eckzähne (Canini) im Oberkiefer. Im Bereich der Eckzahnwurzeln ist beim Hund zur Nase hin von Natur aus nur eine millimeterdünne Knochenwand vorhanden, die bei der Zahnextraktion leicht beschädigt werden kann. Für den Wundverschluss nach der Extraktion eines solchen großen Eckzahns mit seiner langen, kräftigen Zahnwurzel muss eine spezielle Technik angewendet werden. Dennoch kommt es manchmal zum Ausreißen der Naht, und damit entsteht zwischen Maulhöhle und Nase eine Verbindung. In einem solchen Fall gelangen Bakterien und Futterpartikel aus der Maulhöhle in die Nase und verursachen dort eine chronische, eitrige Entzündung. In einigen Fällen kommt es zusätzlich noch zu einer Pilzinfektion. Die häufigsten Folgen einer solchen oronasalen Fistel sind permanente Schmerzen und ein chronischer, eitriger „Schnupfen“, manchmal tritt auch Nasenbluten auf. Der Hund muss häufig niesen. Aufgrund der chronisch-eitrigen Entzündung ist oft auch das Allgemeinbefinden des Hundes beeinträchtigt. Die Bakterien und/oder Pilze können sich über die gesamte Nase ausbreiten und auch in andere Organe streuen. Daher müssen solche Fisteln unbedingt saniert werden.
Bei Lucky waren jedoch nicht die Eckzähne, sondern zwei Schneidezähne Ausgangspunkt für die oronasale Fistel. Das war ungewöhnlich. Lucky hatte dazu nicht nur einen schlimmen eitrigen Schnupfen, sondern er hatte sehr häufig starkes Nasenbluten, vor allem nachts. Er weckte dann immer seine Besitzer, infolgedessen war die Lebensqualität von Lucky und seiner Familie mittlerweile sehr stark beeinträchtigt. Auch Luckys Allgemeinbefinden wurde immer schlechter. So saß Lucky denn auch vor uns wie ein Häufchen Elend. Er wollte uns auf gar keinen Fall einfach so schauen lassen, dafür mussten wir ihn in Narkose legen. Es zeigte sich ein großer Gewebedefekt von ca. 5 cm Durchmesser. Um den Defekt herum befand sich stark vernarbtes Gewebe.
Wir führten zusätzlich eine Nasenspiegelung durch und es wurden verschiedene Proben genommen, u.a. Gewebeproben von Zahnfleisch und Nasenschleimhaut, um eine Krebserkrankung sicher auszuschließen. Die Untersuchungen ergaben eine Infektion mit verschiedenen Bakterien, und eine Pilzinfektion. Glücklicherweise konnte eine tumoröse Veränderung ausgeschlossen werden.
Zur Vorbereitung auf eine mögliche Operation wurden zunächst die Infektionen mit Bakterien und die Pilzinfektion behandelt. Nachdem die Infektionen ausgeheilt waren, und auch das Nasenbluten aufgehört hatte, ging es Lucky schon viel besser. Eine erneute genaue Inspektion des Gewebedefektes zeigte, dass ein chirurgischer Verschluss wegen der Größe und Lage des Defekts und auch wegen des umliegenden Narbengewebes eine schlechte Prognose haben würde, zumal bereits mehrfach ein Wundverschluss versucht worden war. Das Risiko, dass der Defekt entweder nicht gänzlich verschlossen werden konnte, oder aber dass es erneut zu einer Nahtdehiszenz kam wie zuvor, mit weiteren Gewebsverlusten, wurde als hoch eingeschätzt.
Irgendwie musste der Defekt ja aber verschlossen werden, damit es nicht immer wieder zu neuen Infektionen kommen konnte, mit den entsprechenden Folgen für den armen Lucky und seine Familie. Wir zogen per Telemedizin einen amerikanischen Spezialisten hinzu, der in ähnlichen inoperablen Fällen erfolgreich eine kleine Prothese zum Verschluss benutzt, allerdings nicht an dieser Stelle vorn am Oberkiefer. Nach diversen Fernkonferenzen wurde beschlossen, einen Versuch zu wagen. Ein Abdruck des Defekts wurde angefertigt und an ein spezialisiertes Zahntechniklabor geschickt, das mit der Anfertigung solcher Prothesen für Säuglinge Erfahrung hat.
Die erste Anfertigung eines kleinen Obturators ergab, dass dieser zwar passte, aber nicht genug Halt hatte. Es wurde zusätzlich für den zweiten Versuch ein weicheres, flexibleres Material gewählt. Nach Einsetzen des neuen weichen Verschlusses hatte Lucky jedoch nach kurzer Zeit Beschwerden, sodass der Verschluss nochmals speziell angepasst werden musste. Wie sich zeigte, kam Lucky danach spontan sehr gut zurecht. Er spielt aktuell sogar wieder mit seinem Ball, den er über ein Jahr überhaupt nicht mehr angeschaut hatte, und ist wieder viel munterer und fröhlich. Lucky und Familie können jetzt endlich auch nachts wieder ruhig schlafen.
Ein kleiner Nachteil ist, dass die kleine Prothese etwa alle 5-6 Monate herausgenommen, gereinigt, und wieder eingesetzt werden muss. Aber der Gewinn an Lebensqualität gleicht diesen kleinen Nachteil wieder aus. Ab und an hat Lucky etwas Nasenausfluss, aber ansonsten zeigt er überhaupt keine Anzeichen dafür, dass er eine kleine Prothese trägt, die nun dafür sorgt, dass der Defekt gut verschlossen bleibt, sodass Lucky wieder ein ganz normales Hundeleben führen kann. Bemerkenswert ist, dass Lucky uns trotz der vielen Eingriffe und Narkosen jedes Mal sehr freundlich schwanzwedelnd begrüßt und sogar freiwillig in unsere Praxis kommt.
Unser – und Luckys – Glück war, dass wir eine so gute Unterstützung durch unseren amerikanischen Kollegen bekommen haben, und dass wir ein Zahntechniklabor gefunden haben, das nicht nur mit der Anfertigung solcher kleiner Verschluss-Prothesen Erfahrung hat, sondern sich mit ganz viel Herz, Tierliebe und großer Fachkompetenz für die Lösung von Luckys Problem engagiert hat.