Beziehung zwischen Geräuschempfindlichkeit und Schmerzen im Bewegungsapparat beim Hund

Eine Studie an der University of Lincoln (UK) untersuchte die Korrelation von Schmerz und einer gesteigerten Geräuschempfindlichkeit an Hunden (Lopes Fagundes AL, Hewison L, McPeake KJ, Zulch H, Mills DS (2018): Noise Sensitivities in Dogs: An Exploration of Signs in Dogs with and without Musculoskeletal Pain Using Qualitative Content Analysis. Front Vet. Sci. 5: 17). Hierbei konnte bei den Hunden mit allgemeiner Geräuschempfindlichkeit ein Zusammenhang zwischen Schmerzen im Bewegungsapparat, vermehrter Angst vor lauten Geräuschen und einer Generalisierung der Angst auf die Umgebung festgestellt werden. Auch wenn die Ergebnisse dieser Untersuchung aufgrund der zu geringen Stichprobenzahl nur als vorläufig angesehen werden können, kann ein Zusammenhang zwischen Schmerzen im Bewegungsapparat und Geräuschempfindlichkeit aus meiner Sicht an dem folgendem Fallbeispiel bestätigt werden.

Der Patient: Leo, Collie, zehn Jahre

Leo, ein zehnjähriger Collie, wurde aufgrund von immer schlimmer werdender Angst vor Gewittern in der Praxis vorgestellt. Er war zwar immer schon gegenüber bestimmten Geräuschen empfindlich, an Silvester zeigte er z.B. Angstsymptome aufgrund des Feuerwerks, doch die Ängste in Bezug auf die Gewitter nahmen nun innerhalb kürzester Zeit erheblich zu. Er zeigte starke Unruhe, lief ständig hin und her, hechelte und speichelte stark. Zudem versuchte er, sich zwischen einem Schrank und der Hauswand im Wohnzimmer zu verkriechen, was er zuvor noch nie getan hatte.

Ganzheitliche Untersuchung: Verhalten und Bewegung

Das Erstgespräch fand als Hausbesuch statt. Leo zeigte sich als freundlicher, aufgeschlossener Hund, der die Nähe zu seinen Menschen suchte. Schon während des Gesprächs fiel auf, dass sich der Hund sehr wenig bewegte, vermehrt auf dem Boden lag und ihm das Aufstehen sichtlich schwerfiel. Zusätzlich zu dem oben beschriebenen Verhalten zeigte Leo in der letzten Zeit vermehrt Angstsymptome, wenn er auf dem nahegelegenen Fußballplatz die Pfeife des Trainers hörte. Er verweigerte dann den Spaziergang oder das Weitergehen, machte sich steif, knickte in den Gliedmaßen ein und fing an zu hecheln.

Eine kurze Allgemeinuntersuchung inklusive des Bewegungsapparates gab Hinweise auf Veränderungen im Hüft- und Beckenbereich des Hundes. Das Allgemeinbefinden des Rüden war ungestört. Vor Ort wurde eine Geräusch-CD mit sehr geringer Lautstärke abgespielt. Hier zeigte Leo bei „zischenden/pfeifenden“ Geräuschen ein leichtes Ohrspiel und bekam geweitete Pupillen.

Der nächste Termin fand in der „Praxis für Hunde - Verhaltensmedizin & Physiotherapie“ statt. Es wurden eine Gangbildanalyse und eine ganzheitliche Untersuchung des Bewegungsapparates bei Leo durchgeführt. Hierbei wurde eine Hautfaltenpalpation nach Kiebler und die Druckpalpation nach Kothbauer angewendet. Beide Palpationstechniken können Hinweise auf Beschwerden und Schmerzquellen im und am Körper geben. Im weiteren Untersuchungsgang wurde das Hauptaugenmerk auf die Lendenwirbelsäule, Becken und Hüfte sowie die Hintergliedmaßen gelegt. Es wurden die Gelenke abgetastet, gebeugt und gestreckt, um Schmerzhaftigkeiten zu ermitteln. Zudem wurde die Muskulatur begutachtet, um vorliegende Verspannungen, Verhärtungen oder einen Abbau der Muskulatur zu lokalisieren. Sowohl die Ergebnisse der Gangbildanalyse als auch die Untersuchung des Bewegungsapparates ergaben deutliche Hinweise auf Schmerzen im Bereich der Hüftgelenke, der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins. Zudem zeigte Leo typische neurologische Ausfallerscheinungen, was die Verdachtsdiagnose eines Cauda-Equina-Syndroms hervorbrachte.

Weiterführende Untersuchungen: Blutuntersuchung und Röntgen

Um anderweitige organische Ursachen abzuklären, wurde in Zusammenarbeit mit dem Haustierarzt ein geriatrisches Blutbild inklusive Schilddrüsenwerten in Auftrag gegeben. Hierbei zeigten sich keine Veränderungen. Röntgenbilder wurden auf Wunsch der Hundehalter nicht angefertigt.

Die Kombination aus tierärztlicher Verhaltenstherapie und Physiotherapie kann das Wohlbefinden eines Hundes ganzheitlich verbessern."

Dr. Alexandra Knipf, Praxis für Hunde

Diagnose Verhaltensmedizin und Verdachtsdiagnose Bewegungsapparat

Da keine Röntgenbilder angefertigt wurden, kann im Bereich des Bewegungsapparates nur die Verdachtsdiagnose eines Cauda-Equina-Syndroms und beidseitiger Hüftgelenksarthrose gestellt werden. Beim Cauda-Equina-Syndrom handelt es sich um eine Verengung des Wirbelkanals im Bereich des Übergangs von Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein und eine damit verbundene Kompression der Nerven, welche die neurologischen Ausfälle an den Hintergliedmaßen bedingt. Arthrose tritt in Folge eines übermäßigen Gelenkverschleißes auf. Diesem Verschleiß liegt meist eine Grunderkrankung wie angeborene Fehlstellungen im Bereich der Hüfte oder des Ellenbogens zu Grunde. Der Gelenkknorpel wird zerstört, der Gelenkspalt verengt sich, sodass die Gelenkflächen mitunter aneinander reiben. Die Erkrankung führt zu Schmerzen und eingeschränkter Beweglichkeit. Im vorliegenden Fall wird von einer angeborenen Fehlstellung der Hüfte, einer sogenannten Hüftgelenksdysplasie ausgegangen. Diese Fehlstellung hat höchstwahrscheinlich zu Arthrose in beiden Hüftgelenken geführt. Diese äußerte sich bei Leo durch ein verändertes Gangbild, Abbau der Muskulatur an den Hintergliedmaßen, eingeschränkter Beweglichkeit und Schmerzen.

Die Diagnose einer Geräuschphobie kann anhand der Symptome als gesichert angesehen werden. Bei einer Phobie hat der Hund Angst vor einem oder mehreren spezifischen und eindeutig identifizierbaren Stimuli. Die Symptomatik ist zeitlich begrenzt und z.B. durch Flucht und/oder Vermeidung gekennzeichnet. Die Geräuschempfindlichkeit kommt vor allem bei Hunden vor, die generell zur Ängstlichkeit neigen. In der Praxis vorgestellt werden meist Hütehunde der Rassen Collie, Border Collie, Bearded Collie, Australien Shepherd. Es findet keine Gewöhnung (Habituation), sondern eine Sensibilisierung statt. Die Gewitter-, Geräuschphobie verstärkt sich, wie im vorliegenden Fallbeispiel, im Laufe der Zeit sichtlich. Allgemein können gesundheitliche Probleme Ängste deutlich verstärken. Schmerzhafte Erkrankungen sind häufig (mit-) ursächlich für Angst.

Ganzheitliche Therapie: Verhalten und Bewegungsapparat (Übersicht in Tabelle 1):

  • Hunde brauchen bei Gewitter- und/oder Silvesterangst einen gemütlichen Liegeplatz, an den sie sich zurückziehen können. Im vorliegenden Fall wurde hierfür ein „Hundeiglu“ gewählt, das mittels instrumenteller Konditionierung als Liegeplatz trainiert wurde.
  • Sollten während der Trainingsphase Gewitter auftreten, sollte Leo an seinen Rückzugsort gebracht werden, TV oder Musik angeschaltet und der Raum abgedunkelt werden.
  • Eine Desensibilisierung und klassische Gegenkonditionierung gegen Gewittergeräusche und Feuerwerksgeräusche wurden mittels einer Geräusch-CD durchgeführt.
  • Bei schweren Phobien und Ängsten kommt auch der Einsatz von Psychopharmaka zum Tragen. Dies kam jedoch für die Besitzer von Leo nicht in Frage. Daher wurde zur Unterstützung des verhaltenstherapeutischen Trainings zu Ergänzungsfuttermittel geraten, welche nachweislich eine beruhigende Wirkung erzielen und auch langfristig eingesetzt werden können, ohne die möglichen Nebenwirkungen von Psychopharmaka aufzuweisen.
  • In der Physiotherapie wurden manuelle Massage- und Mobilisationstechniken angewendet. Zudem wurde die Koordination mittels Cavaletti-Übungen geschult.
  • Die Interferenzstrom-Regulationstherapie (IFR) diente der Aktivierung und Stimulierung der Nervenbahnen und Reizleitung sowie der Schmerzlinderung.
  • Als Hausaufgaben wurden Übungen zum Muskelaufbau, wie beispielsweise langsames Bergauflaufen und Sitz-Steh-Übungen, gegeben.
  • Unterstützend zur konventionellen Schmerztherapie wurden auch hier Ergänzungsfuttermittel eingesetzt.

Verlauf und Ergebnis - multimodale Therapie zum Abbau von Angst vor Gewitter und Feuerwerk

Leo erhielt gleich zu Beginn der Therapie ein Tierarzneimittel, das den caninen monoklonalen Antikörper Bedinvetmab enthält, das bei Hunden zur Linderung von Schmerzen im Zusammenhang mit Arthrose angewendet wird. Zeitgleich wurde mit der Physiotherapie begonnen. Schon bei den nächsten Gewittern zeigte Leo nicht mehr die Verhaltenssymptome in seiner bisher ausgeprägten Form. Auch die Probleme in Verbindung mit der Pfeife des Trainers auf dem Fußballplatz nahmen ab. Im Verlauf der physiotherapeutischen Behandlungen normalisierte sich Leos Gangbild, er stand besser auf und zeigte insgesamt mehr Bewegungsfreude. Die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen wurden konsequent durchgeführt und zeigten zudem Erfolge. Die Kombination aus Verhaltenstherapie und Physiotherapie führten schließlich zu einem relativ entspannten Silvesterabend für Hund und seinen Besitzer:innen.

Aktuell bekommt Leo regelmäßig das Schmerztherapeutikum gespritzt, erhält zusätzlich seine Ergänzungsfuttermittel und kommt zweimal im Jahr zur Auffrischung der Physiotherapie in die Praxis für Hunde. Er ist zu einem schmerzfreien, lebensfrohen Hundesenior geworden, der mit einer ganzheitlichen Therapie auch seine Geräuschphobien in den Griff bekommen hat.

Fazit

Die Kombination aus tierärztlicher Verhaltenstherapie und Physiotherapie kann das Wohlbefinden eines Hundes ganzheitlich verbessern. Aus meiner Sicht liegt es nahe, dass sich eine Geräuschempfindlichkeit durch Schmerzen im Bewegungsapparat verschlimmern kann. Die durch die Angst entstandene erhöhte Anspannung im ganzen Körper führt zu vermehrten Muskelanspannungen und damit Muskelverspannungen. Diese Muskelverspannungen führen zu Schmerzen im Bewegungsapparat und können zu einer Verschlechterung von bereits vorliegenden orthopädischen Problemen führen.