Tierarztpraxis Alte Feuerwache: "Schweizer Uhrwerk im Ruhrpott"
"Wir haben eigentlich schon immer cat-friendly gearbeitet und das
vollkommen intuitiv umgesetzt, ohne zu wissen, dass es eine offizielle
Bezeichnung dafür gab", erklärt Praxischefin Dr. Andrea Heckler. Der
Impuls, sich als katzenfreundliche Tierarztpraxis zertifizieren zu
lassen, kam durch eine Kundin an der Supermarktkasse. Es folgten Improve-Fortbildungen,
der ISFM-Beitritt, schließlich die Umsetzung und Zertifizierung als
katzenfreundliche Tierarztpraxis. "Wir haben ein eigenes Wartezimmer für
die Katzenpatienten eingerichtet, natürlich gibt es eine separate
Katzenstation und wir nutzen die Feliway-Decken vor jeder Behandlung",
erklärt Dr. Andrea Heckler. "Die Besitzer bestätigen uns tagtäglich,
dass ihre Tiere in der Praxis deutlich entspannter sind, für uns
gestalten sich Handling und Behandlung der Katzen sehr viel einfacher
und das macht einfach Spaß", so die 55-jährige Tierärztin. "Auch wenn
für mich persönlich der Kontakt mit den Menschen teilweise sehr
anstrengend ist, finde ich es umso schöner, dass sich die Katzen hier
bei uns so wohl fühlen." Neben der Mund-zu-Mund-Propaganda hat
sicherlich das Zertifikat "Catfriendly Clinic" geholfen, dass sich der Anteil der Katzenpatienten in den letzten zehn Jahren von 25 auf gut 40 Prozent gesteigert hat.
"Wir haben hier ein Händchen für Katzen!"
Dr. Andrea Heckler ist sich sicher, dass viele ihrer KollegInnen gar nicht wissen, wie diese Tiere ticken, diese nicht genügend respektieren und entsprechend mit ihren umgehen. "In vielen Praxen ist es so laut und unruhig, dass die Katzen mit Aggressionen reagieren können", weiß die Tierärztin zu berichten. "Die Folge sind Zwangsmaßnahmen, so dass ein entspanntes Arbeiten gar nicht möglich ist!" Nicht wenige TFA, die von ihr eingarbeitet werden, wissen gar nicht, wie sie mit Katzen umgehen müssen, haben Angst vor den Tieren, die sich erst nach zwei, drei Monaten Praxiserfahrung legt. "Ich wünsche mir sehr, dass die nächste Tierarztgeneration sensibler mit der Katze als Patient in der Tierarztpraxis umgeht", so Heckler.
Praxisgründung in der Heimatstadt
Nach dem Abitur hat Heckler erst einmal eine Ausbildung zur
Biologisch-Technischen Assistentin gemacht und in Amerika in einer
Tierarztpraxis gearbeitet, bevor sie ihr Studium in Hannover antrat.
Hals über Kopf hat sie sich dort in ihren jetzigen Ehemann verliebt, der
zu diesem Zeitpunkt sein Studium gerade erfolgreich abgeschlossen
hatte. Dr. Thomas Scholz hat dann als Assistent in Bingen und Essen
gearbeitet, während seine Partnerin nach ihrer Promotion in einer
englischen Tierarztpraxis eine Anstellung fand. 1996 dann gründeten die
beiden gerade mal 100 Meter von dem heutigen Standort ihre erste
gemeinsame Praxis und starteten dort auf knapp 120 Quadratmetern mit
zwei Helferinnen in die Selbstständigkeit. Obwohl die Gegend nicht als
die beste in Mülheim gilt, lief die an einer gut frequentierten Straße
gelegene Praxis von Beginn an. "Es war der ideale Zeitpunkt, wenn damals
gab es gerade einmal vier Praxen in der Stadt", erinnert sich die
Tierärztin. Heute sind es übrigens elf Praxen.
Seit gut fünf Jahren arbeitet das Tierärztepaar Heckler-Scholz mit sieben weiblichen und einem männlichen TFA am jetzigen Standort der Praxis. Die Arbeitsabläufe funktionieren in Tierarztpraxis, die seit Jahren schon als reine Terminpraxis angelegt ist, wie ein Schweizer Uhrwerk. Und das täglich von 8:30 bis 19:00 Uhr. Auf 230 Quadratmeter gibt es neben einem großzügigen Empfangsraum, ein Hunde- und ein Katzenwartezimmer, drei Behandlungsräume, einen Röntgenraum, Labor, Apotheke, OP-Vorbereitung, je eine Hunde- und Katzenstation, sowie ein Raum, der zur Euthanasie- und Abschiedsraum dient.
Unter dem Motto "Tierische Hilfe mit Herz" versorgen wir seit über 25 Jahren unsere tierischen Patienten."
"Hau' rein!"
Pausen im Tagesablauf gibt es nur wenige, denn der Tag ist sehr gut durchstrukturiert. "Wir sehen durchschnittlich zwischen 40-60 Patienten am Tag", so Scholz. Er geht davon aus, dass er in Nordrhein-Westfalen die meisten Frettchen behandelt, deren Besitzer bis zu 250 Kilometer Anfahrt auf sich nehmen. Gefühlt sind gut die Hälfte der Patienten Hunde, stattliche 40 Prozent Katzen, der Rest setzt sich aus Heimtieren und eben Frettchen zusammen. "Wir müssen mal das Team von VETERA fragen, ob das auch wirklich stimmt", erklärt Scholz, der parallel ein männliches Frettchen untersucht, dessen Hoden im Leistenkanal stecken geblieben ist. Während der Praxischef die Frettchenszene noch näher eingeht, wird er von seiner Frau liebevoll und bestimmt ermahnt, da bereits der nächste Patient wartet und dieser Behandlungsraum gelüftet und desinfiziert werden muss.
In Behandlungsraum II warten ein junger Hund nebst extrem aufgeregter Besitzerin auf Dr. Andrea Heckler. Neben der medizinischen Arbeit wird sie die Tierbesitzerin auf jeden Fall auf das Thema "Tierkrankenversicherung" ansprechen. Die Tierbesitzer wünschen für ihre Lieblinge die bestmögliche medizinische Versorgung, die jedoch auch bezahlt werden muss. "Es tut sich unheimlich viel auf dem Markt", erklärt Heckler, die auch dieses Mal umfassendes Infomaterial weitergibt mit der dringenden Bitte, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
TFA Nadine ist das Aushängeschild der Praxis und hat jüngst ihre 20-jährige Praxiszugehörigkeit gefeiert."
"Selbstständiges Arbeiten ist absolut erwünscht!"
Es fällt auf, dass die Tierärztlichen Fachangestellten sehr viele Aufgaben im Praxisablauf selbstständig ausführen. TFA Nadine beispielsweise hat jüngst ihre 20-jährige Praxiszugehörigkeit gefeiert. Auf die Frage, was die Aufgaben der leitenden Angestellten sind, antwortet sie kurz und prägnant: "Alles!" Ihre Chefin ergänzt und beschreibt sie als "Aushängeschild der Praxis", die von der OP-Vorbereitung und -assistenz, über Ernährungsberatungen, Zahnbehandlungen, Ausarbeitung der Dienstpläne alles macht und zudem noch als "starke Schulter, an der sich die Kolleginnen ausweinen können" ganze Arbeit leistet. Ihr Kollege Felix, einer der wenigen Männer der Branche, hat sich zu einer Ausbildung zum TFA entschieden, vor allem auch, weil Abidurchschnitt und der erforderliche NC zu sehr divegierten. Nach seinem erfolgreichen Abschluss wartet er nun auf einen Studienplatz.
Neue Zeiten im Verbund
Seit dem 1. Februar 2021 gehört die Praxis "Tierarzt Plus Partner" an und ist somit die 17. des Tierärzte-Netzwerkes. "Der Druck der Praxisnachfolge lastet nun nicht mehr auf uns", erklärt Thomas Scholz, der, genau wie seine Frau, glücklich ist, dass er auch weiterhin unabhängig seine Arbeit in der Praxis machen kann. Für ihn ist es wichtig, dass absehbar mehr Zeit für die Tiermedizin bleibt und Verwaltungsaufgaben zentral übernommen werden. "Wir waren in den letzten Jahres auch mit den Themen Marketing und Werbung überfordert", erklärt Scholz. Zudem könnten in der Praxis noch zwei weitere TierärztInnen arbeiten, doch die Suche nach den passenden Kräften scheint als ein fast unüberbrückbares Hindernis. "Wir arbeiten in den kommenden fünf Jahren noch Vollzeit 40 Stunden die Woche in der Hofnung, dass die Nachfolger dann eingearbeitet sind und die Arbeit in der Praxis schultern können", fügt Heckler hinzu, die sich künftig sehr auf den fachlichen Austausch innerhalb des Netzwerkes freut. "Danach können frei entscheiden, inwieweit wir uns noch einbringen möchten und können."
Doch bis dahin wird sicherlich noch viel Wasser die Ruhr hinabfließen - und noch viele Katzen, Hunde und Frettchen werden in der Mülheimer Tierarztpraxis versorgt werden. Dr. Andrea Heckler und Dr. Thomas Scholz sind sehr gespannt auf das, was die Zukunft bringt und freuen sich auf alles, was auf sie und ihr Team zukommt.