Des Hundes neue Kleider

Portrait Dr. Dominique M. Tordy
von Dr. Dominique M. Tordy – 19.08.2020

Wenn es um Bekleidung für Tiere geht, spaltet sich die Gesellschaft der Hundehalter in zwei Lager. Im ersten Lager herrscht die feste Meinung, dass Kleidung für Hunde eine Art der Vermenschlichung darstellt, die an Tierquälerei grenzt. Das zweite Lager tritt genauso entschieden dafür ein, dass es Mensch und Tier Spaß macht, sich ein wenig zu verkleiden.

Mäntelchen, Pulswärmer oder Schleifchen

Es gibt nur wenige Grauzonen und ein Wechsel von einem Lager in das andere ist selten. Tierärzte sind im Allgemeinen auf der Seite der Bekleidungsgegner zu finden. Ich bilde nicht nur diesbezüglich eine Ausnahme, sondern gehöre auch zu den wenigen Menschen, die das Lager gewechselt haben. Früher war ich auch gegen jede Vermenschlichung von Hunden. Und ein Mäntelchen, Pulswärmer oder Schleifchen waren mir ein Graus. Dann wurde ich langsam weich. Das erste Kleidungsstück, das sich in mein Herz schlich, war das Regenmäntelchen. Meine alte Schäferhündin hatte Spondylose, also eine Versteifung der Wirbelsäule. Wurde ihr Rücken bei Regen nass und kühlte aus, dann verspannten sich ihre Rückenmuskeln und sie hatte anschließend Schmerzen. Abhilfe brachte ein Regenmantel. So wurden unsere Spaziergänge wieder zur uneingeschränkten Freude - auch bei Regen. Punkt für das Mäntelchen! Da ich selbst schnell friere, empfinde ich auch höchste Empathie mit dünnen Kurzhaarhunden, die bei Kälte anfangen zu zittern, die Augen aufreißen und gestresst die Lefzen anspannen. Noch ein Punkt für das Mäntelchen.

Als Tierärztin schaue ich mir bei jeder Untersuchung auch die Augen der Hunde an. Bei Hunden mit vielen oder langen Haaren um die Augen fällt dabei immer wieder auf, dass Haare direkt auf den Augen kleben. Jeder, der mal ein Häärchen ins Auge bekommen hat, weiß, wie sehr das stört und belastet. Wäre ich also ein Wuschelhund, dann hätte ich lieber ein Schleifchen und gute Sicht als Haare in den Augen. Allerdings mit einer kleinen Einschränkung. Da „nackte“ Gummis beim Anbringen ziepen und beim Herausnehmen meist noch ein paar Haare mitnehmen, bin ich inzwischen ein großer Befürworter von Qualitäts-Schleifchen und stoffüberzogenen Haargummis. Soviel zu offizieller Funktionskleidung.

Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass Hunde, die ein bisschen sinnlosen Quatsch gewöhnt sind, es nicht so schlimm finden, wenn ihre Pfoten angefasst, ihre Ohren manipuliert oder die Rute berührt wird."

Dr. Dominique M. Tordy, Tierärztin

Bis hierhin konnten mir vielleicht auch noch einige Mitglieder der
Bekleidungsgegner-Fraktion folgen. Aber dann lief ich vollends zum Lager der Kleidungs-Befürworter über. Denn selbst, wenn das Anziehen von Mäntelchen, Pulswärmern, einem Hut oder einem Schal keinen direkten Nutzen für den Hund zu haben scheint, hat es meist überraschend positive Folgen!

Schauen wir uns beispielhaft an, wie ein Hundepullover angezogen wird. Was passiert aus Sicht des Hundes? Er wird schon mit höchster Freude von Frauchen oder Herrchen gerufen. Es scheint also etwas Gutes zu passieren. Dann wird das gute Stück erst einmal präsentiert. Vielleicht wird mit dem weichen Stoff über das Fell gestreichelt oder der Pullover testweise von außen angelegt. Anschließend werden verschiedene Arten des Anziehens getestet. Der Pulli wird über den Kopf gezogen, eventuell wieder ausgezogen, weil dann doch erst die Pfoten in die Ärmel gesteckt werden. Dann zieht der Mensch vielleicht doch noch einmal alles aus, um die Weite der Öffnungen zu
kontrollieren.

Schließlich, nach einigen Versuchen, die oft noch mit vielen Leckerchen belohnt werden, ist der Pullover dann angezogen. Frauchen oder Herrchen platzt vor Stolz und Freude und es folgt erst einmal ein kleines Tobespiel in der neuen Kluft. Da kein Zeitdruck besteht, kann der Prozess jederzeit unterbrochen werden. Was passiert hingegen, wenn ein Hund eine Verletzung hat und einen Kratz- oder Leckschutz braucht? Diese Szene beginnt für den Hund leider mit Schmerzen, denn irgendwo ist eine Wunde. Auch die Stimmung ist beängstigend. Frauchen und Herrchen machen sich Sorgen, der Tierarzt starrt konzentriert auf die betroffene Stelle. Das kann auch bei einem Menschen mulmige Gefühle verursachen. Ein Hund, dem die Situation nicht erklärt werden kann, fühlt in dieser Situation wahrscheinlich vor allem Angst. Dann wird ihm ein Kragen übergestreift oder ein Body angezogen, der natürlich genau auf der schmerzenden Stelle liegt. Es muss schnell gehen und auch die Bewegung ist wegen der Schmerzen und der beängstigenden Stimmung zunächst unangenehm und nicht mit dem vorher beschriebenen Tobespiel im Pullover zu vergleichen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass der Hund den Body oder den Kragen so als etwas Unwichtiges oder gar Angenehmes wahrnimmt. Ist ein Hund allerdings bereits daran gewöhnt, einen Pullover oder einen Mantel zu tragen, dann ist zumindest dieser Teil leichter zu ertragen. Genauso helfen Socken dabei, dass ein Pfotenverband besser akzeptiert wird. Ein Schal hilft bei einem Kragen oder Verband um den Hals. Und ein Hut, der mal aus einer albernen Laune heraus aufgesetzt wurde, macht den Kopfverband
leichter erträglich.

PRO KLEIDUNG

Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass Hunde, die ein bisschen sinnlosen Quatsch gewöhnt sind, es nicht so schlimm finden, wenn ihre Pfoten angefasst, ihre Ohren manipuliert oder
die Rute berührt wird. Hunde dagegen, die noch nie erfahren haben, dass Menschen zwar seltsame Dinge machen, diese aber nicht gefährlich sind, geraten oft in kopflose Panik, wenn sie körperlich manipuliert werden.

Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, dass ein Hundemantel bei hohen sommerlichen Temperaturen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Auch eine dicke Kapuze, die dann auf dem Hundenacken liegt und Verspannungen verursacht, gehört in den Müll. Denn selbstverständlich steht das Wohlbefinden unserer Hunde auf der Prioritätenliste ganz oben. Aber Bekleidung hat viele verschiedene - manchmal völlig ungeahnte - Funktionen. Es muss ein Spiel bleiben. Und kein Spiel funktioniert ohne Regeln. Die Regeln lauten: Der Hund darf zu keinem Zeitpunkt Angst oder Schmerzen haben. Und wenn ihn die Übungen anstrengen, muss in kleinen, angenehmen Einheiten geübt werden. Wenn diese Regeln eingehalten werden, bin ich inzwischen klar PRO KLEIDUNG.