Qualzucht - Wer schön sein soll, muss leiden?

Qualzucht. Heutzutage ist der Begriff in vieler Munde. Doch was genau bedeutet er eigentlich und woher kommt er? Dieser Begriff ist nicht einfach nur eine reißerische Erfindung der Medien, sondern fest verankert im deutschen Tierschutzgesetz. Dort wird im §11b genau beschrieben, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit eine Zucht als Qualzucht eingestuft wird und damit verboten ist. Dies ist dann der Fall, wenn "erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten", einschließlich erblich bedingter Verhaltensstörungen und die Einschränkung des artgemäßen Kontaktes zu Artgenossen. Damit ist die Definition sehr präzise und weit weg von einer schwammigen Ausdrucksweise.

Fehlende Körperteile und Organe und die Folgen

Durch das Fehlen verschiedener Körperteile, die für die korrekte Körpersprache wichtig sind (eingekringelte und unbewegliche oder gar fehlende Rute, geknickte Ohren, Falten im Gesicht), kommt es zu einer falschen Aussprache und damit zu falschen Signalen und Missverständnissen unter Artgenossen. So entstehen Konflikte und ein entspanntes Miteinander ist nur schwer möglich.

Fehlende Organe können jedoch darüber hinaus noch zu weiteren Einschränkungen führen. Fehlt der gelenkigen Kletterkünstlerin das Gleichgewichtsorgan „Schwanz“, fehlt ihr auch die Balancierstange. Die Folge sind unsichere Bewegungen und Stürze, nicht zuletzt auch, weil sich die Katze nicht mehr in der Luft drehen kann. Noch drastischer wird es, wenn das Fell weggezüchtet wird. Das Haarkleid soll vor äußeren Einflüssen wie Kälte, Nässe aber auch Sonnenstrahlung schützen. Fällt dieser Schutz weg, sind häufigere Hautinfektionen, Akne oder Sonnenbrand die Folge. Oft reagieren auch die beiden flächenmäßig größten Organe, Haut und Darm, gegenseitig aufeinander, sodass Durchfall und Erbrechen ebenfalls eine Folge sein können. Darüber hinaus fehlen den Nackttieren oft auch die Vibrissen und damit ein wichtiges Sinnesorgan!

Bleiben Sie stark! Bleiben Sie rebellisch gegen das Schweigen! „Bashen“ Sie weiter!"

Jana Wendt, Tierarztpraxis in Aschersleben

Organe müssen jedoch nicht gänzlich fehlen, um Probleme zu bereiten. Auch deren Umgestaltung kann schlimme Folgen haben. Zum Beispiel entsteht die hübsche Ringelrute durch verformte Wirbelkörper. Diese beschränken sich jedoch nicht nur auf die Schwanzwirbelsäule sondern sorgen im gesamten Rücken für Instabilität, eingeschränkte Beweglichkeit und Schmerzen und erhöhen das Risiko für eine Discopathie. Oder nehmen wir das runde Köpfchen des Chihuahua. Hierdurch werden natürlich auch die Platzverhältnisse für das Gehirn verändert, was zu schweren neurologischen Störungen wie Ataxie, epileptiformen Anfällen oder einer Schädigung des Sehnervs führen kann. Von den kurzen Nasen mit ihrer erschwerten Atmung, dem gestörten Wärmeausgleich und den ganzen Folgeerscheinungen des erhöhten intrathorakalen Drucks ganz zu schweigen. Ein wichtiges Thema sind jedoch auch die Verhaltensstörungen, die durch falsche genetische Auslese entstehen. Denken Sie zum Beispiel an das „Fliegenschnappen“ der Spaniel oder auch einfach nur an all die Sachen, die die schmerzhafte Scottish Fold nicht mehr macht.

Doch was ist zu tun, wenn der Mops oder die Nacktkatze in der Praxis erscheinen?

Das alles wissen Sie als Tierärzt:in natürlich schon. Doch was ist zu tun, wenn der Mops oder die Nacktkatze in der Praxis erscheinen? Lange Zeit wurden unsere Versuche, auf die Missstände hinzuweisen als Nörgeln wahrgenommen. Die bösen Tierärzt:innen mögen keine Bulldoggen und betreiben deswegen „Bullybashing“. Und doch gehört es zu unseren Aufgaben als advocatus animales für diejenigen zu sprechen, die es eben nicht können. Neben der ausführlichen Beratung und der Sicherstellung einer optimalen Therapie erblich bedingter Erkrankungen und Schäden (dazu gehören auch eine dauerhafte, multimodale Schmerztherapie der Scottish Fold und eine medikamentöse und chirurgische Versorgung der Brachycephalie), ist also auch eine immer wiederkehrende Beratung und Aufklärung der Besitzer:innen wichtig. Und das nicht nur um die bereits geschädigten Tiere optimal zu behandeln, sondern eben vor allen Dingen um das Konsumverhalten der Besitzer:innen zu verändern. Denn nur die Nachfrage regelt die Produktion (in diesem Falle die Zuchtstandards). Aufgeklärte Besitzer:innen sind der wichtigste Grundstein neben den rechtlichen Regelungen im Kampf gegen iatrogenes Tierleid.

Auch wenn es oft an Ihre emotionalen Grenzen gehen wird, Sie oft auf taube Ohren stoßen werden und sich regelmäßig in Diskussionen wiederfinden, die wenig zielführend scheinen, ist stete Aufklärung immens wichtig. In meiner Praxis sehe ich bereits die ersten Erfolge. Es sehe immer mehr Tierbesitzer:innen, die ihren Möpsen durch chirurgische Eingriffe helfen, die anderen Tierhalter:innen von der Anschaffung einer Französichen Bulldoggen abraten oder sogar aktiv in den sozialen Medien das Leid ihres Tieres offen kommunizieren.

„Aber er ist doch so süß, wenn er schnarcht!“

Frisch vom Studium kam ich mit einer vollkommen idealisierten Ansicht in die Sprechstunde und fand kein Verständnis für diese und ähnliche Aussagen. Doch der Umgang mit Mensch und Tier hat mich schnell gelehrt: Tiere sind für deren Besitzer:innen keine Themen, die man ausschließlich sachlich und rational betrachten kann. Medizinische Argumente allein reichen nicht aus. Wir müssen genauso auch auf der emotionalen Ebene einen Zugang zu den Besitzer:innen finden, damit diese unsere Ansicht verstehen, dies eben nicht als „Bullybashing“ ansehen und deswegen vielleicht sogar die Praxis wechseln.

Versuchen Sie es doch einmal damit, dass die Frohnatur des Mopses, die kuschelige BKH und der entspannte Partner Perser ebenso wie der liebenswert durchgeknallte Bulli genau so bleiben, wie sie sind, auch wenn die Köpfchen etwas kantiger und die Nase länger sind. Der Charakter bleibt doch erhalten, wenn das Tier ohne Schmerzen laufen und spielen kann und wenn es frei atmen kann.

Der Mensch hat nicht das Recht, ein Lebewesen so zu gestalten, dass es unter Schmerzen und Leiden leben muss, nur damit es optisch gefällt oder Klischees erfüllt! Und wenn auch das noch nicht genügen sollte, kann man auch gern darauf verweisen, dass es ein großes, deutschlandweites, gesellschaftliches und politisches Engagement gegen Qualzuchten gibt. Inzwischen haben viele der Landestierärztekammern gleich auf der Startseite ihrer Internetpräsenz ein Statement zum Thema Qualzuchten veröffentlicht. Und auch die Bundestierärztekammer hält umfangreiches Flyermaterial und Informationen für die Besitzer:innen zur Verfügung.

Mein Appell an alle Tierärzt:innen lautet: Bleiben Sie stark! Bleiben Sie rebellisch gegen das Schweigen! „Bashen“ Sie weiter!