Patient Katze: Dr. Jekyll und Mr. Hide in einem Tier?

Tierärzt:innen wird im Praxisalltag regelmäßig die eine Katze vorgestellt, die absolut keine Veterinärmedizinier:innen mag. Die Katze, die unberechenbar und aggressiv ist. Dabei sind Katzen eigentlich meistens ganz vorhersehbar, wenn man denn ihre Sprache spricht, bzw. versteht. Und Katzen kommunizieren sogar recht ausgiebig mit Mimik und Gestik.
 Um eine Katze sicher und ohne Missverständnisse esen zu können, muss man allerdings die einzelnen Komponenten der Kommunikation kombinieren. Ähnlich wie beim Zusammensetzen einzelner Buchstaben zu Wörtern. Doch widmen wir uns vorerst dem Arsenal an „Buchstaben“, die die Samtpfoten die Tierärzt:innen auf den Behandlungstisch legen.

Körpersprache

Schnelle und offensichtliche Anzeiger der momentanen Gemütsverfassung einer Katze sind die Haltung des Schwanzes, des Kopfes und der Ohren, sowie die Form des Rückens. Diese Signale sind sehr deutlich, da es sich um große oder zumindest prominente Organe und Gliedmaßen handelt, die man bereits in der Transportbox sieht und beurteilen kann.
 So deutet eine aufgekrümmte Rückenlinie im Liegen auf Stress oder Angst hin. Die Katze macht sich so klein es geht, schiebt die Beine ganz nah aneinander und an den Bauch, wodurch sich der Rücken aufwölbt. Eine gerade Rückenlinie oder gar eine Seitenlage weist eher auf eine entspannte Katze hin. Bei einer stehenden Katze bedeutet ein aufgekrümmter und seitlich präsentierter Rücken, dass die Katze Angst hat oder sich erschreckt hat, jedoch eher bereit zur Verteidigung als zur Flucht ist.

Auch die Kopfhaltung ist ein schnelles Indiz für kätzische Emotionen. Eine entspannte Katze trägt ihren Kopf in der Regel auf Rückenhöhe oder darüber. Zieht sie den Kopf ein und senkt ihn, ist sie misstrauisch oder ängstlich, wirft sie ihn zurück und hebt den Kopf angestrengt über Schulterhöhe - dann ist sie kampfbereit.

Der Schwanz der Katze ist ein wahres Barometer der Stimmungslage, der oft schon vor der restlichen Katze reagiert und kommuniziert. Vielleicht sagt man ihm auch deswegen ein Eigenleben nach. Dabei ist die Kommunikation über den Schwanz sehr vielschichtig und sollte immer im Zusammenhang mit dem Gesamtbild bewertet werden. Grundlegend kann man sich hier aber als Faustregel merken: Ein erhobener Schwanz ist wie eine gehisste Fahne der Freundlichkeit und als Einladung oder Gruß zu verstehen, während der gesenkte oder im Bogen gehaltene Schwanz Stress, Angst oder Agressionen suggeriert.

Eine Piloerektion (das Aufstellen der Haare) spricht hier ebenso wie an der restlichen Katze im Grunde genommen erst einmal für Erregung. Missachtet man aber diese Anzeichen von Stress und entschärft nicht die Situation hat die Katze oft keinen langen Geduldsfaden.
Auch die Bewegungen des Schwanzes sind aufschlussreich. Langsame, schlangenförmige Bewegungen sprechen für gute Laune, ruckartige, schnelle und peitschende Bewegungen hingegen deuten Spannungen an. Diese können sowohl aus dem Jagdverhalten (zum Beispiel auch beim Spielen gezeigt) aber auch aus einer Verteidigungs- oder Angriffshaltung heraus gezeigt werden.

Die Ohren der Katze sind zwar meist nicht besonders groß aber dafür durch ihre Lage oben seitlich auf dem Kopf ziemlich prominent. Und die Katze nutzt diese auch wie der Fluglotse seine Kellen. Die entspannte Grundstellung sind nach vorn gerichtete Ohren ohne Falten auf der Stirn. Ist die Katze besorgt oder alarmiert, zieht sie die Ohren zusammen und richtet sie mehr auf, sodass auf der Stirn oft deutliche Falten erkennbar sind. Bei Angst, Stress und Unwohlsein werden die Ohren seitlich nach unten und hinten gezogen. Währenddessen zeigt eine Katze, die es ernst meint und aggressiv droht ihre Ohren nach hinten flach an den Kopf oder eher wieder ein Stück weit nach oben (der typische Batman-look).

Respekt und Geduld im Umgang mit angespannten Katzen ermöglicht oft eine stressarme Behandlung!"

Jana Wendt, Aschersleben

Mimik

Katzen haben aber auch eine ausgeprägte Mimik. Sie bewegen Lippen, Augen, Nase, Stirn und Kinn und generieren so ganz verschiedene Gesichtsausdrücke, die man mit etwas Übung auch sehr gut deuten kann.

Denken Sie zum Beispiel an folgendes Bild: Die Augen sind riesig groß, weit aufgerissen und die Pupillen maximal erweitert, die Stirn ist ganz glatt und flach und in die Breite gezogen, die Ohren seitlich abgestellt und die Lippen spitz und rund zusammengepresst, dadurch stehen die Tasthaare breit aufgefächert weit nach vorne. Dies ist ein ängstliches Gesicht. Wahlweise kneift die Katze auch hektisch die Augen zu. Manchmal zeigt aber auch nur ein Anspannen der Oberlippen oder ein subtiles Zusammenziehen der Schnute und Aufrichten der Tasthaare eine unwillige oder genervte Katze an. Hier ist eine gute Beobachtungsgabe gefragt.

Katzen nutzen aber auch einige Kommunikationswege ziemlich exhibitionistisch. Beispiele hierfür sind „das Köpfchen“, „das Blinzeln“ oder „der Haken“. Bei ersterem streicht (oder rammt- je nach Charakter der Katze) der Stubentiger sein Köpfchen an Gegenstände wie dem Behandlungstisch, dem Stethoskop oder dem Tierarzt. Zum Einen um ihr Revier zu markieren, zum anderen aber auch um eine gewisse Zuneigung und Sympathie zur Schau zu stellen.
Das Blinzeln einer Katze umschreibt das langsame und bewusste schließen der Augen während die Katze ihren Gegenüber direkt ansieht. Dieses Verhalten hat oft mehrere Bedeutungen. Es kann Beschwichtigung, Begrüßung, Einladung und freundlicher Gruß sein. Eine neue Studie legt jedoch nahe, dass das Blinzeln von Katzen als Einladung und freundliche Geste gewertet wird (4).

Setzt man nun alles Gelernte zusammen und beobachtet seine kätzischen Patienten aufmerksam, kann man sie (in den meisten Fällen) auch gut lesen. Dies ist jedoch nicht nur wichtig für die Prävention von Arbeitsunfällen sondern auch ein wesentlicher Baustein für eine katzenfreundliche Praxis.
Wenn man die Katze richtig liest und ihre momentanen Bedürfnisse versteht, kann man diese auch respektieren und somit maßgeblich den Stress bei der Behandlung senken und zum Wohlbefinden seiner Patienten beitragen, denn eine Genesung ist auch abhängig von der psychischen Verfassung.

Anwendungen im Praxisalltag

Im Praxisalltag hat es sich als vorteilhaft erwiesen, wenn man Katzen bei kleineren Anzeichen von Genervtheit und Stress ein wenig mehr Raum gibt. Zum Beispiel mit einer kurzen Behandlungspause, dem Ablegen von Instrumenten in kurzer Entfernung (so kann beispielsweise die böse Schlange namens Stethoskop schnell als langweiliger Wurm deklassiert werden) oder besser noch dem kurzen Freilauf im Behandlungszimmer.

Ängstlichen Katzen sollte man immer ein Versteck anbieten. Natürlich soll sich das Tigerchen nicht in einer Plüschhöhle verkriechen und einigeln. Bieten Sie Ihre Armbeuge am Tischrand, einen weiten Ärmel oder eine aufgeklappte Jacke an. Oft reicht es schon, wenn das Kätzchen so mit dem Kopf einparken kann. Ein leicht zusammengerolltes und aufgetürmtes Handtuch stellt auch eine gute Alternative dar, die gern genutzt wird. So kann sich die Katze verstecken und der Tierarzt dennoch untersuchen. Aber die Mimik von Katzen hat auch klinische Relevanz. So ist zum Beispiel das Erkennen eines Schmerzgesichtes bei der Katze oft der erste Schritt zur weiteren Diagnostik und beschleunigt die Diagnose von chronisch schmerzhaften Erkrankungen wie der CNI oder Arthrosen. Hierzu gibt es ein sehr schönes Paper zur Untersuchung der Mimik im Zusammenhand mit dem Stadium der Erkrankung (1,2,3)

In unserer Praxis haben wir jedoch festgestellt, dass zusätzlich zum Verständnis der Katzensprache und der dementsprechenden respektvollen Reaktion auch eine proaktive Mimikry von den Katzen als durchaus positiv aufgefasst wird. Auch verschiedene Studien legen nahe, dass das Imitieren von Verhaltensweisen von den Katzen verstanden und auch beantwortet wird.
Nehmen wir zum Beispiel das Blinzeln. Meine erste Amtshandlung bei jeder Katzenkonsultation ist ein ausgiebiges Blinzeln in den Katzenkorb. Die meisten Katzen antworten darauf ihrerseits mit einem geblinzelten Lächeln und nähern sich mir schneller und aufgeschlossener.(4)


Wussten Sie, dass Katzen die Lautgebung des „MIAUens“ fast ausschließlich für die Kommunikation mit dem Menschen entwickelt haben? Ich finde, man sollte diese Mühe ruhig damit belohnen, ihnen zu antworten. Mit einem „Brrrp“ oder „Miuu“ kann man eigentlich nichts falsch sagen. Viele Katzen freuen sich über dieses ulkig anmutende Verhalten ihrer Tierärzzt:innen und plappern fröhlich mit.

 Trauen Sie sich also ruhig, etwas unkonventionell erscheinende Techniken anzuwenden. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Katzen es Ihnen danken werden. Und auch die Besitzer:innen sind oft begeistert, selbst Skeptiker:innen reagieren nach ausführlicher Erklärung des "Warum" interessiert und offen.

Take home Messages

· „Haken“, „Köpfeln“ und „Blinzeln“ sind freundliche Gesten der Begrüßung oder Einladung.

· Peitschende, hektische Bewegungen des Schwanzes deuten Spannungen an.

· Eine gute und ausführliche Beobachtung der Katze bereits in der Transportbox ermöglicht meist eine sehr gute Einschätzung der Gemütsverfassung.

· Respekt und Geduld im Umgang mit angespannten Katzen ermöglicht oft eine stressarme Behandlung.

· Proaktive Mimikry bewegt skeptische Katzen oft zur Kooperation und löst Spannungen.

· Das Erkennen eines Schmerzgesichtes hilft bei der klinischen Untersuchung und Diagnostik.

Literatur

1. Facial expressions of pain in cats: the development and validation of a Feline Grimace Scale

2. https://www.felinegrimacescale...

3. Clinical applicability of the Feline Grimace Scale: Real-time versus image scoring and the influence of sedation and surgery

4. The role of cat eye narrowing movements in cat–human communication

5. The cry embedded within the purr