Qualität der tierärztlichen Versorgung von Kleinsäugern in deutschen Tierarztpraxen

Auch wenn Kaninchen, Meerschweinchen und Co. oftmals noch den Ruf von „Taschengeld-“ oder „Kinderzimmertieren“ haben, gibt es immer mehr Halter:innen, die eine enge Beziehung zu ihren Tieren haben, eine gute tiermedizinische Versorgung im Krankheitsfall erwarten und für diese auch bezahlen. Aber können die deutschen Tierarztpraxen diese Erwartungen erfüllen? Liest man in Communities von Kaninchen- bzw. Meerschweinchenhalter:innen nach, dann scheint dies nicht der Fall zu sein. In vielen Fällen wird geschildert, dass kleine Heimtiere als Patienten in der Tierarztpraxis nicht ernstgenommen werden und dass keine adäquate bzw. sogar eine falsche Behandlung stattfand.

Ich habe in einer großen Facebookgruppe von Kaninchenhalter:innen („Kaninchen, Zwergkaninchen und Hasen“) eine kleine, nicht repräsentative Umfrage durchgeführt und Gruppenmitglieder, die neben Kaninchen auch noch Hunde und/oder Katzen besitzen, gebeten, folgende Frage zu beantworten:

„Wie ist Eure Erfahrung mit der tiermedizinischen Versorgung von Kaninchen in Deutschland im Vergleich zu Hund und Katze?“

172 Mitglieder haben geantwortet. Kein einziger der Teilnehmer:innen empfand die Versorgung von Kaninchen im Vergleich zu Hund bzw. Katze „etwas besser“ oder „deutlich besser“. Die Kaninchen von 7,6 % der Halter:innnen haben eine „genauso gute“ tierärztliche Versorgung wie bei Hund bzw. Katze erhalten, 26,2 % der Halter:innen fanden die Versorgung ihrer Kaninchen „etwas schlechter“ und 66,3 % „deutlich schlechter“ als die ihrer Hunde bzw. Katzen.

Eine ähnliche Frage habe ich, wiederum nicht repräsentativ, in der tierärztlichen Facebookgruppe „Tierärzte“ gestellt:

„Wie gut kennen Sie sich mit Kaninchenmedizin aus im Vergleich zu Hunde- und Katzenmedizin?“

Hier haben 63 Kolleg:innen geantwortet. 6,3 % gaben an, sich „besser“ oder „viel besser“ mit Kaninchenmedizin als mit Hunde- bzw. Katzenmedizin auszukennen, 20,3 % sagten, sie kennen sich in beiden Gebieten „gleich gut“ aus, 50,0 % erklärten, sich mit Kaninchen „schlechter“ auszukennen als mit Hund und Katze und 23,4 % sogar „viel schlechter“. Insgesamt gaben also fast dreiviertel aller an der Umfrage teilgenommenen Kolleg:innen an, weniger Sachkunde in Kaninchenmedizin als im Bereich Hunde-/Katzenmedizin zu haben. Damit decken sich die Erfahrungen der befragten Tierhalter:nnen relativ gut mit der Selbsteinschätzung der Tierärzt:innen.

Die Ursachen dafür, dass die Fachkunde in deutschen Tierarztpraxen in Sachen Kaninchen - letztlich allen Kleinsäugern - hinter dem Niveau der Hunde- und Katzenfachkunde zurückbleibt, sind vielfältig. Ein gewichtiger Grund ist, dass in der studentischen Ausbildung die Kleinsäugermedizin aufgrund der tierärztlichen Approbationsordnung an den deutschen Universitäten nahezu nicht berücksichtigt wird. Andererseits sind wir Tierärzt:innen gewohnt, uns neue Tätigkeitsfelder und neue Erkenntnisse auch postgraduell per Fort- und Weiterbildung zu erarbeiten. Niemand der Praktiker:innen kann sich auf dem Wissen ausruhen, das an der Uni gelehrt wurde. Die „Schuld“ für die fehlende Fachkunde in Sachen Kleinsäugermedizin kann daher nicht allein den Unis, bzw. der Approbationsordnung "in die Schuhe geschoben" werden.

Was hindert Praktiker:innen daran, sich in Kleinsäugermedizin fortzubilden?

Auch das habe ich in der Facebookgruppe „Tierärzte“ abgefragt. 45 Kolleg:innen haben sich an der Befragung beteiligt - Mehrfachnennungen waren möglich. Mit 28,9 % gab fast ein Drittel der Befragten an, dass es seitens der Besitzer:innen gar kein Interesse an weitergehender medizinischer Versorgung von Kaninchen gebe. 17,8 % erklärten, dass zu wenige Kaninchen als Patienten in der Praxis vorgestellt werden. Beides sind für die Kolleg:innen Gründe dafür, dass sich Fortbildung im Bereich der kleinen Heimtiere nicht lohne.

Jeweils drei Kolleg:innen (6,7 %) gaben an, dass Kaninchenmedizin zu kompliziert sei, bzw. bestünde kein Interesse an der Kleinsäugermedizin. 15,6 % der Tierärzt:innen haben für Fortbildungen in diesem Bereich kein Geld, 15,6 % gaben an, ihre Fachkenntnis reiche aus, um Kaninchen zu behandeln und 13,3 % wollen eigentlich gar keine Kaninchen behandeln.

Billige, unkomplizierte Haustiere ...

Jahrzehntelang wurden Kaninchen, Meerschweinchen und Co. als billige, unkomplizierte Haustiere in erster Linie für Kinder gehalten. Wenn eines dieser Tiere starb, konnte für wenig Geld ein neues Tier gekauft werden. Daher gab es keine Notwendigkeit, abseits der Versuchstierkunde, Wissen über die fachgerechte veterinärmedizinische Versorgung dieser Spezies zu erarbeiten und zu lehren.

Das Basiswissen rund um Kaninchen und Co. in deutschen Kleintierpraxen muss unbedingt besser werden, denn dass viele Kleinsäugerhalter:innen in Internetforen und auf Webseiten bessere medizinische Informationen bekommen als in ihrer Tierarztpraxis, ist mehr als peinlich für unseren Berufsstand und eine Katastrophe für die Gesundheit vieler Kleinsäuger."

Dr. Diana Ruf, Bichl

Seit geraumer Zeit ändern sich die Ansprüche vieler Halter:innen besonders von Kaninchen und Meerschweinchen, aber auch der Halter:innen anderer Kleinsäugerspezies. Man entscheidet sich bewusst für diese Tierarzten, man wird immer mehr den großen Ansprüchen an Haltung und Fütterung gerecht. Viele Tierhalter:innen haben zu Kaninchen und Co. eine enge persönliche Bindung und erwarten eine gute veterinärmedizinische Versorgung.

Auf der anderen Seite ist immer noch ein großer Teil der Kleinsäugerhalter:innen der Meinung, ein billiges, austauschbares Tier zu halten. Es besteht kaum eine Bindung. Diese Tierhalter:innen kommen entweder gar nicht in die Tierarztpraxis oder sind kaum bereit, Geld für Diagnostik und Therapie auszugeben.

In diesem Spannungsfeld stehen die deutschen Kleintierpraxen: Einerseits Tierhalter:innen, die kein Interesse an ernstzunehmender tiermedizinischer Versorgung ihrer Kleinsäuger haben, andererseits Tierhalter:innen, die den vollen Umfang der modernen Tiermedizin für ihre Kleinsäuger nutzen wollen jedoch oftmals keine Praxis finden, in der die Tiere fachlich korrekt behandelt werden.

Da Kleinsäuger nur einen kleinen Anteil am Patientenaufkommen in den durchschnittlichen Kleintierpraxen ausmachen, ist es hier allein schon aus wirtschaftlichen Gründen kaum realisierbar, für diese kleine Patientengruppe den gleichen Umfang an Fort- und Weiterbildung zu betreiben. Ein möglicher Lösungsansatz ist daher die Behandlung von Kleinsäugern, ähnlich wie in anderen Ländern, in spezialisierte Praxen zu verlagern. Und genau diese Entwicklung ist in Deutschland in den letzten Jahren deutlich sichtbar geworden. Es gibt immer mehr Praxen, die ausschließlich Kleinsäuger behandeln, einen Kleinsäugerschwerpunkt haben, bzw. in denen entsprechende Spezialist:innen arbeiten. Von diesen gibt es noch viel zu wenige, um die Nachfrage zu decken und vor allem um flächendeckend eine hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen. Aber die Entwicklung geht in die richtige Richtung.

Bei akuten Erkrankungen ist es aber oft nicht möglich, weite Strecken zur nächst gelegenen Spezialist:in zu fahren. Auch im Notdienst sind Tierhalter:innen von Kleinsäugern auf die „normalen“ Kleintierpraxen angewiesen. Und hier gibt es meiner Meinung nach massiven Verbesserungsbedarf. Denn eine fachlich gute Grundversorgung der üblichen Krankheiten und vor allem der häufigsten Notfälle muss in jeder Praxis möglich sein. Sonst besteht hier in meinen Augen wie bei jeder anderen Spezies auch ein Übernahmeverschulden.

Was wären mögliche Lösungsansätze?

Mittlerweile gibt es bei allen großen Tierärztekongressen Vorträge und Seminare zu Kleinsäugern, es gibt eine Vielzahl an Seminaren und Kursen der üblichen Anbieter. Auch an Webinaren und Fachartikeln in den Kleintierfachzeitschriften zu verschiedenen Themen der Kleinsäugermedizin mangelt es nicht. Vielleicht müssen viele dieser Angebote noch niederschwelliger an die Tierärzt:innen gebracht werden?

Kleinsäuger sind keine kleine Katzen oder Hunde!

Das Bewusstsein, dass sich Diagnostik und Therapie bei Kaninchen, Meerschweinchen und Co. oft bedeutend von Hunden und Katzen unterscheiden, muss sich noch deutlich besser durchsetzen. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, dass ein gewisser Anteil der Pflichtfortbildungsstunden zwingend in den Bereichen aller Spezies belegt werden muss, die man in der Praxis behandelt. Auch eine Aufwertung der Kleinsäugermedizin in der universitären Ausbildung ist meiner Meinung nach dringend nötig.

Take Home Message

Das Basiswissen rund um Kaninchen und Co. in deutschen Kleintierpraxen muss unbedingt besser werden, denn dass viele Kleinsäugerhalter:innen in Internetforen und auf Webseiten bessere medizinische Informationen bekommen als in ihrer Tierarztpraxis, ist mehr als peinlich für unseren Berufsstand und eine Katastrophe für die Gesundheit vieler Kleinsäuger.