Wie beeinflusst die Genetik das Verhalten des Hundes?

Das Thema Genetik und Verhalten gehört zu den spannendsten und gleichzeitig schwierigsten Themen, die die Biologie im Bereich Genetik kennt. Im Zusammenhang zwischen komplexem Verhalten und den dazu genetisch erfassbaren Grundlagen ist bisher wenig wissenschaftlich belegbar oder gar über einen Test zu erfassen. Erst Forschungsergebnisse der letzten Jahre liefern Ansätze, die einige Prinzipien der genetischen Verankerung von Verhaltensweisen bei Hunden in ein neues Licht rücken.

Wie beeinflusst die Genetik das Verhalten?

Rassehunde, wie wir sie heute kennen, sind entwicklungsgeschichtlich gesehen sehr jung. Die Aufspaltung in das moderne Rassensystem mit seinen strikten Standards ist erst ca. 250 Jahre alt. Der Mensch ist schon lange maßgeblich an der Entwicklung des Hundes beteiligt, indem eine enge Bindung zwischen Mensch und Hund etabliert wurde und dann bestimmte Tiere, welche besonders für bestimmte Aufgaben geeignet waren, gezielt miteinander verpaart wurden. Die Weiterentwicklung der Rassen hängt heute ausschließlich vom Mensch ab. War der Rassebegriff früher direkt an eine spezische Aufgabe gebunden, so geben die heutigen Standards vor allem Körperbau und äußere Merkmale im Detail vor. Verhalten spielt hier jedoch auch eine große Rolle. Eine grundlegende Frage die sich die Wissenschaft schon seit Konrad Lorenz, der als einer der Begründer der modernen Verhaltensforschung gilt, stellt ist, welcher Anteil des Verhaltens vererbt wird.

Das Verhalten in konkreten Situationen, das Erlernte und die genetische Disposition für komplexe Verhaltensweisen sind voneinander zu trennen.

In konkreten Situationen kann auch eine Erkrankung eines Hundes sein Verhalten beeinflussen. Hat ein Hund zum Beispiel Schmerzen kann es zu sonst nicht gezeigten Kurzschlussreaktionen kommen.  Als genetische Komponente kommen vererbte Varianten vor,  die verhaltensverändernde Symptome hervorrufen. Zum Beispiel sind für die Speicherererkrankung „Neuronale Ceroid Lipofuszinose“, rassepezifisch verschiedene Genorte durch einen Gentest im Labor überprüfbar. Die Auswirkungen dieser neurodegenerativen Erkrankung sind sehr vielfältig und beinhalten auch Verhaltensauffälligkeiten von Lethargie, Unruhe bis zu erhöhter Agressivität (1).

Ein weiteres Beispiel ist die degenerative Myelopathie (DM)(2). Bei dieser Erkrankung werden die Schutzzellen um die Nervenzellen abgebaut. Nervensignale werden somit zunächst verlangsamt und schließlich unterbrochen. Je länger ein Nerv ist, desto eher wird die Reizleitung gestört. Typischerweise äußert sich die Erkrankung ab einem Alter von ca. acht Jahren. Im Verlauf breiten sich Lähmungserscheinungen von den Hinterläufen über den Hund aus. Da auch die Schmerzwahrnehmung über Nerven erfolgt, sind die betroffenen Tiere in den beobachteten Fällen typischerweise schmerzfrei und weiterhin lebensfroh. Für das Verhalten bedeutet das, dass die Hunde weiterhin „normales“ Verhalten zeigen wollen, aufgrund der Lähmung dies aber nicht mehr können. Das zu beobachtende Verhalten ist somit klar geändert.

Genetische Tests ermöglichen es, frühzeitig Risiken für solche gravierenden Krankheiten zu erkennen und züchterisch zu vermeiden, dass betroffene Tiere aufreten. Auch bevor man eine aufwendige und teure Ausbildung eines Hundes beginnt, könnte man die rassespezischen genetischen Prädispositionen ausschließen, die einen Einsatz des Tieres ab einem bestimmten Alter beeinflussen oder verhindern.

Die Wissenschaft hat darüber hinaus eingehend sowohl die Botenstoffe des Nervensystems als auch die Rezeptoren der Erregungsweiterleitung untersucht. Genetische Faktoren die Veränderungen in deren Struktur bewirken, lassen auf übersteigertes Agressionspotential bei entsprechenden Veränderungen in der Rasse Malinois vermuten (3/4).

Interessant für die Zucht ist vor allem das rassespezifische Verhalten. Neben einer klaren körperlichen und mentalen Grundvoraussetzung, welche über den Rassestandard und die verfügbaren Tiere einer Rasse vorgegeben ist, spielen hier grundsätzliche Verhaltensweisen eine entscheidende Rolle, welche eng an den „Verwendungszweck“ einer Rasse geknüpft sind. Beispiele sind der „Arbeitswille“ der Hütehunde, aber auch der „Jagdtrieb“ oder das „Stöbern“ sowie das „Anzeigen“ von Jagdhunden. Diese Verhaltensweisen wurden über eine lange Zeit durch den Menschen stark selektioniert und sind somit in den Rassen genetisch festgelegt. Dennoch unterscheiden sie sich in der individuellen Ausprägung beim einzelnen Tier. Diese Stärke in der Ausprägung eines Verhaltens ist dadurch zu erklären, dass immer eine gewisse Anzahl von Genen als Grundlage für ein Verhalten betrachtet werden muss. Man spricht von polygenem Verhalten, welches sich aus einem Mix an Genen zusammensetzt, die sich gegenseitig in der Wirkung verstärken oder abschwächen. Dementprechend sind aktuelle Studien auf eine genomweite Analyse der Milliarden an Erbinformationen der Hunde ausgerichtet. Aus dem Vergleich unzähliger Einzelwerte ergaben sich Unterschiede zwischen Jagdhunderassen und Hütehunden in Bereichen des Erbguts, die eventuell dem Vorstehen zugeordnet werden können (5).

Auch bei der Forschung an einer humanen Erberkrankung, dem Williams-Beuren Syndrom, das mit besonders kontaktfreudigem und distanzlosem Umgang mit Fremden einhergeht, konnten analoge Regionen des Hunde- und Wolfsgenoms näher betrachtet werden. Auffällig waren die Unterschiede in der Zuwendung zu und Beschäftigung mit unbekannten Personen. Die Wissenschaftler sehen hier mögliche Gründe für genetische Verankerung der besseren Sozialisierbarkeit von Hunden gegenüber ihren wilden Ahnen (6).

Dennoch ist bei Weitem noch nicht der genetische Code entschlüsselt der komplexe Verhaltensmuster beeinflusst. Die Zunkunft bleibt also für alle Hundehalter, Züchter und Wissenschaftler spannend.

Mehr zu den Zusammenhängen zwischen Genetik und Verhalten – wie zum Beispiel  irrtümlichen Rückschlüssen ausgehend von Fellfarben oder des äußeren Erscheinungsbilds auf Verhaltensmuster eines Hundes - ist auch im Herbst auf der Züchtertagung der Firma LABOKLIN in Bad Bocklet zu hören.

Literatur:

(1) M. L. Katz, H. Shibuya, and G. S. Johnson, “Animal models for the ceroid lipofuscinoses,” Advances in Genetics, vol. 45, pp. 183–203, 2001
(2) Awano T, Johnson GS, Wade CM, et al. Genome-wide association analysis reveals a SOD1 mutation in canine degenerative myelopathy that resembles amyotrophic lateral sclerosis. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 2009;106(8):2794-2799. doi:10.1073/pnas.0812297106.
(3) Cao X, Irwin DM, Liu Y-H, et al. Balancing Selection on CDH2 May Be Related to the Behavioral Features of the Belgian Malinois. Yao Y-G, ed. PLoS ONE. 2014;9(10):e110075. doi:10.1371/journal.pone.0110075.
(4) Lit L, Belanger JM, Boehm D, et al. Characterization of a dopamine transporter polymorphism and behavior in Belgian Malinois. BMC Genetics. 2013;14:45. doi:10.1186/1471-2156-14-45.
(5) Akkad DA, Gerding WM, Gasser RB, Epplen JT. Homozygosity mapping and sequencing identify two genes that might contribute to pointing behavior in hunting dogs. Canine Genetics and Epidemiology. 2015;2:5. doi:10.1186/s40575-015-0018-5.
(6)vonHoldt BM, Shuldiner E, Koch IJ, et al. Structural variants in genes associated with human Williams-Beuren syndrome underlie stereotypical hypersociability in domestic dogs. Science Advances. 2017;3(7):e1700398. doi:10.1126/sciadv.1700398.