Akupunktur bei Hinterhandschwäche

„Henry“ ein neunjähriger Labrador-Flat Coated Retriever-Mischling wurde aufgrund  einer Erkankung, die als Cauda-Equina-Syndrom oder Degernerative-Lumbo-Sacral-Stenose (DLSS) bezeichnet wird, vorgestellt. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um eine Verengung des Wirbelkanals durch Arthrosen im Bereich des Überganges von der Lendenwirbelsäule (lumbal) zum Kreuzbein (sacral) und eine damit verbundene Kompression der in diesem Bereich austretenden Nerven (Abb. 1). Das Rückenmark ist auf dieser Höhe der Wirbelsäule bereits in einzelne Nervenstränge „auf gefiedert“, weshalb es auch als cauda equina (Pferdeschwanz) bezeichnet wird. Oft ist dieser Prozess schleichend, wird von einigen Besitzern nicht selten einfach dem Alter des Tieres zugeordnet und darum auch leider oft gar nicht, oder erst spät behandelt. 

Je nach Ihrer Lokalisationen, führt diese Erkrankung zu Schmerzen im hinteren Rücken, den Hinterbeinen und ggf. auch zu hochgradigen Funktionsausfällen der Hintergliedmaßen. So wie im Fall von „Henry“ sind die Hunde lahm, schleifen sich die Zehen der Hintergliedmaße ab, stolpern häufiger und kommen hinten oft schlecht hoch. In schweren Fällen können Störungen von Urin- und/oder Kotabsatz auftreten, die bis zur Inkontinenz führen können.

Zur Diagnose wird eine klinisch-orthopädische und eine neurologische Untersuchung durchgeführt. Es werden die Gelenke abgetastet, gebeugt und gestreckt, um Schmerzhaftigkeit zu lokalisieren. Bei der neurologischen Untersuchung werden Reflexe geprüft, um Auskunft darüber zu erlangen, ob die Informationsleitung im Nervensystem gestört ist. Mögliche bildgebende Verfahren sind die (Kontrast-) Röntgenuntersuchung, die Computertomographie (CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT), wobei nur CT und MRT eine exakte dreidimensionale Darstellung erlauben. Wichtig ist, dass die Bildgebung eine Unterstützung der erhobenen klinischen Befunde ist und nicht umgekehrt!

Bei „Henry“ wurde nach der klinischen Verdachts-Diagnose zunächst eine CT-Untersuchung und aufgrund seiner ausgeprägten Schmerzhaftigkeit eine Operation durchgeführt, bei der die Kompression auf den Nervenwurzel beseitigt wurde. Wichtig zu wissen: Der operative Eingriff an einem Gelenk ist in der Regel nicht als „Heilung“ zu verstehen, denn es werden sich im Laufe der Zeit neue Arthrosen bilden, die wieder zu Einschränkungen führen können.

Drei Wochen nach dem Eingriff wurde „Henry“ von dem Besitzer zur Akupunktur vorgestellt. Bei der Akupunktur kommt es unter anderem zur Ausschüttung schmerzlindernder und stimmungsaufhellender Substanzen (Serotonin, körpereigene Morphine wie Endorphin, Enkephaline). Sie eine von vier (Kräutertherapie, Ernährungstherapie, Tuina) in der Traditionellen-Chinesischen-Veterinär-Medizin (TVCM) genutzten Behandlungsmethoden. Bei „Henry“ wurde in der ersten Konsultation zunächst eine dry-needle Akupunktur durchgeführt, bei der einfache Akupunktur Nadeln gesetzt werden. In der Regel beruhigen sich die Hunde wenige Minuten nachdem die Nadeln (meist zwischen 8-15) platziert wurden und entspannen sich meist gut, bis die Nadeln dann nach ca 15 - 20 Minuten gezogen werden.

Ab der zweiten Behandlung wurde bei „Herny“ eine Elektro-Akupunktur (Abb. 2) durchgeführt. Bei diesem Verfahren wird zwischen den gesetzten Nadeln ein Strom geleitet, der erstens die Wirkung der Akupunktur Nadeln selbst verstärkt und zweitens durch die Aktivierung  der Muskulatur die betroffenen Nerven und Faszien zur Wiederherstellung Ihrer Funktion anregt.

Faszien sind ein Teil des Bindegewebes, welches den gesamten Körper durchzieht. Sie sind ein wichtiges Organ der Selbstwahrnehmung (Propriozeption), denn sie enthalten viele Nervenendigungen und sind somit auch an der Bewegungskoordination und an der Entstehung von Schmerz beteiligt. Verkleben diese Faszien, z.B. durch die Folge von Entzündungen, ändert sich ihre Struktur, und sie büßen ihre Geschmeidigkeit ein - so wie ein Wollpullover, der im heißen Trockner gewesen ist. Durch bestimmte Griff- und Massagetechniken lassen sich Verklebungen lösen (Myofascial Release) und die Funktionalität deutlich verbessern.

„Henry“ trainiert auf einem Unterwasserlaufband

„Henry“ wurde zusätzlich in einem Unterwasserlaufband trainiert (Abb. 4). Durch den Auftrieb des Wassers werden die Gelenke bei der Bewegung entlastet, der hydrostatische Druck des Wassers aktiviert die Muskulatur, das Lymph- und das Nervensystem. Der Wasserwiderstand führt zu einem optimalen Training von Koordination und zum Muskelaufbau.

Steter Tropfen höhlt den Stein!“ Eben darum ist es wichtig, dass auch der Hundehalter durch einfache angeleitete Massagen und Bewegungsübungen (Abb. 3) einen Anteil an der Therapie leistet, denn nur der Besitzer kann eine wirklich hohe Behandlungsrate gewährleisten! Für „Henry“ war zudem das tägliche Training des Gleichgewichts mit seinem Besitzer eine sehr wichtiger Anteil der Therapie, denn in den Pfoten sind viele kleine Gelenke und somit viele Nervenendigungen. Werden diese auf dem „Wackelbrett“ aktiviert, führt auch das zu einer Verbesserung der Nervenleitung. Die Hunde werden dazu einfach ein bis zwei Minuten auf eine wackelige Unterlage gestellt (Abb. 5) und durch sanfte Impulse des Besitzers dazu gebracht, sich im Stand auszugleichen.

Bei „Henry“ konnte das Schmerzmittel im wöchentlichen Abstand reduziert und nach der dritten Behandlung ganz abgesetzt werden. Nach drei Monaten war Henry nahezu lahmfrei bei geringgradig eingeschränkter Koordination. Die Behandlungsintervalle wurden auf zunächst monatlich, dann auf ein drei Monats Intervall ausgeweitet und die Therapie durch den Besitzer beibehalten.

TIP 1: Wichtig ist es, dem Hund zuhause einen möglichst griffigen Untergrund zu bieten, damit er nicht ausrutscht, sowie gehen und aufstehen erleichtert wird. Bei Fliesen und Parkett heißt es, Teppich auszulegen oder dem Hund rutschfeste im Handel erhältliche „Anti-Rutsch-Schuhe“ anzuziehen. Auch ein Handtuch zur Unterstützung unter dem Bauch durchgezogen, kann gute Dienste leisten, dem Hund mehr Sicherheit zu geben.

TIP 2: Training muss nicht teuer sein. Mit einer Wärmflasche, einem luftgefüllten Sitzkissen für Menschen, oder auch einem kleinen selbstgebauten „Wackelbrett“ (ein Brett und eine kleine Leiste oder ein Tennisball) sind für diesen Zweck vollkommen ausreichend. Auch ein handelsübliches Trampolin kann für solche Zwecke gut genutzt werden.

TIP 3: Gewichtskontrolle - Bei Bewegungsstörungen aufgrund von Arthrosen muss unbedingt das Körpergewicht optimiert werden, da überflüssiges Gewicht eine 24-Stunden Belastung für den Hund darstellt. Die meisten unserer Hunde sind zu dick: im Alter braucht ein Hund bis zu 40% weniger Energie und darum ist es wichtig, das Gewicht regelmäßig (mindestens alle zwei Monate) zu kontrollieren und die Ernährung dem Bedarf anzupassen.