Angst vor Silvester - akutes Stressmanagement beim Hund

In unserer Praxis wurde die Hundedame „Mini“ vorgestellt, die im Vorjahr Angstverhalten während der Silvesterfeierlichkeiten gezeigt hat. Wie so oft war es leider zu kurzfristig, um noch entsprechende Gegen-Trainingsmaßnahmen erfolgreich ergreifen zu können. Daher mussten schnelle Möglichkeiten her, um Mini die Feierlichkeiten erträglich zu machen.

Mini ist eine ca. drei Jahre alte Podenco-Mischlingshündin aus dem Tierschutz und war seit ca. zwei Jahren bei ihren neuen Besitzern. Sie wurde regelmäßig geimpft, entwurmt und erfreute sich ansonsten auch bester Gesundheit. Die Besitzer berichteten, dass Mini generell etwas schreckhaft ist und dass sie während der letzten Feierlichkeiten zu Silvester große Angst gezeigt habe. Sie versteckte sich im Badezimmer, lief unruhig hin und her, speichelte, nahm kein Futter zu sich und zitterte stundenlang. Auch noch, als die Knallerei bereits vorbei war. Dies fing bereits an, als die ersten Feuerwerksköper tagsüber gezündet wurden und erreichte um 0:00 Uhr zum Feuerwerk den Höhepunkt. Es hat Stunden gedauert, bis Mini sich wieder beruhigte und keimte am nächsten Tag auch immer wieder auf, wenn noch „Blindgänger“ gezündet wurden. Um Mini dieses Jahr Silvester zu erleichtern, wollten die Besitzer Verhaltenstipps, was sie tun könnten. Beruhigungsmittel lehnten die Besitzer strikt ab. 

Zunächt wurde Mini allgemeinklinisch untersucht, um eventuell organische Erkrankungen auszuschließen, die beim Hund zu verstärktem Angstverhalten führen könnten. Da Mini aus dem Ausland kam, wurde bereits in der Vergangenheit ein großes Blutbild mit Organwerten angefertigt, wo auch die Reisekrankheiten getestet wurden. Sämtliche Blutwerte waren ohne besonderen Befund. Daher beschränkten wir uns nur auf noch auf die Untersuchungen, die bei Ängstlichkeit besonderes Augenmerk verdienen und nicht routinemäßig getestet werden (z. B. Toxoplasmose). Aber auch diese Ergebnisse verliefen alle negativ. Somit konnten wir eine organische Ursache für Minis Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit weitgehend ausschließen. Da es zum Zeitpunkt der Vorstellung in unserer Praxis bereits schon kurz vor Silvester war, blieben uns nur noch wenige Empfehlungs-Maßnahmen, die uns zur Verfügung standen:

1. Spaziergang

Der Spaziergang sollte früh genug erfolgen, wo noch keine Feuerwerkskörper gezündet werden. Zusätzlich sollte Mini unbedingt an der Leine bleiben, damit sie nicht weglaufen kann, falls unvorhergesehen doch irgendwo ein Böller hochgeht. Damit sie sich nicht doch unvorhergesehen losreißen konnte, wurde zu einem Geschirr statt nur ein Hundehalsband geraten.

2. Strafe vermeiden!

Auch wenn dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sind leider viele Besitzer so frustriert vom Verhalten ihres Hundes, dass es auch beim Angstverhalten zur Bestrafung der Tiere kommt. Gerade wenn Besitzer ihre Hunde versuchen zu beruhigen, der Hund aber in solcher Panik ist, dass er keinen Menschenkontakt möchte, könnte dies als „Ungehorsamkeit“ fehlinterpretiert werden und zur Bestrafung führen. Dies sollte jedoch auf keinen Fall geschehen! Durch Bestrafung werden Angst, hohe Erregungslagen, Konfliktverhalten und Frustrationen verstärkt und damit das negative Verhalten eher begünstigt statt verbessert. Zudem kann dies auch zu einer Störung der Tier-Halter-Beziehung führen, was die Prognose verschlechtert. Darüber wurden die Besitzer aufgeklärt. Da (laut Besitzer) eine Bestrafung zwar kein Thema war, wurde dennoch an ein hohes Maß an Geduld, welche in solchen Fällen erforderlich ist, appelliert.

3. Beruhigung - ja oder nein?

Ignorieren des ängstlichen Verhaltens ist oftmals das Erste, was Besitzern von Jedermann geraten wird. Das Ignorieren ist jedoch nur bei kurzen Schreckmomenten empfehlenswert, z. B. wenn ein Gegenstand runtergefallen ist und sich das Tier kurz erschreckt hat. Bei länger andauernden Angstperioden (wie ein Feuerwerk) ist Ignorieren sicherlich nicht der Ratschlag der ersten Wahl. Dafür sollte eine Desensibilisierung bzw. Gegenkonditionierung mit den Besitzern erarbeitet werden. Dies war aber aufgrund von Zeitmangel in ausreichender Form nicht mehr möglich. Da Mini sich im letzten Jahr nicht von den Besitzern beruhigen ließ, sondern eher die Flucht ergriff, wurde angeraten Mini lieber selbst entscheiden zu lassen, ob sie Kontakt  oder lieber in Ruhe gelassen werden möchte. Dennoch sollten die Besitzer Mini aber auch keinesfalls alleine lassen, sondern selbst in entspannter bzw. fröhlicher Haltung jederzeit für Mini da sein, ohne sich ihr aufzudrängen. Ruhiges und entspanntes Verhalten seitens Mini durfte auch belohnt werden.

4. Ruhezone einrichten

Im Idealfall richten sich Besitzer betroffener Hunde darauf ein, die Feiertage nicht in einer „Hochburg“ von Silvester-Feierlichkeiten zu verbringen, sondern lieber ruhigere Gebiete auf dem Land aufzusuchen. Dies kam aber für die Besitzer von Mini nicht in Frage. Da Mini bereits eigenmächtig im letzten Jahr das Badezimmer aufgesucht hatte, wurde den Besitzern empfohlen, den Raum lärmdämpfend zu präparieren. Dazu sollten die Rolläden herunter gelassen und beruhigende Musik gespielt werden. Bei der Musik sollten langsame Tempi, tiefe Töne und nicht mehr als zwei Musikinstrumente  Verwendung finden. Zusätzlich sollte bereits die Tage zuvor ein Stecker von Adaptil®  eingesetzt werden. Dies ist ein duftneutrales Pheromon, welches durch einen Stecker im Raum verteilt wird und für den Hund beruhigende Eigenschaften aufweist.   

5. Spieltherapie

Da Mini vor lauter Angst das Futter verweigerte, war der Versuch mit Ablenken durch Leckerlis oder Futterbällen erfolglos. Somit wurde bereits im Vorfeld zum Beginn einer Spieltherapie geraten. Dazu sollten sich die Besitzer Feuerwerksgeräusche aus dem Internet herunterladen oder sich eine Geräusch-CD besorgen (z. B. Sound Scary®). Dabei sollte das Tier bereits im Spiel mit dem Besitzer vertieft sein, bevor der Stressor (Feuerwerksgeräusche) in einer sehr abgeschwächten Form (!) präsentiert wird. Bleibt Mini ruhig bzw. weiter ins Spiel vertieft, wird sie weiter belohnt. Zeigt sie Stress-Symptome war der Stimulus evtl. schon zu stark gewählt (z. B. zu laut) und sollte dann erneut in einer noch abgeschwächteren Form versucht werden. Hierbei sollte die Intensität, Dauer und das Spektrum des auslösenden Reizes nur sehr vorsichtig und sukzessive erweitert bzw. angepasst werden. Wichtig ist auch, eine unterschiedliche Reihenfolge der Knall-Geräusche im Zufallsmodus laufen zu lassen und die Spieltherapie zu unterschiedlichen Uhrzeiten sowie an unterschiedlichen Orten durchzuführen. Das Spiel sollte immer erfolgreich und positiv für das Tier beendet werden (z. B. Überlassen der „Beute“) und nicht zu lange dauern, damit Mini nicht vorher die Lust verliert. Dabei sind häufigere kurze Spielsessions pro Tag erfolgsversprechender als eine lange.

6. Kein Flooding (Reizüberflutung)!!!

Der Spieltherapie gegenüber steht das sogenannte Flooding (Reizüberflutung). Hierbei wird das Tier so lange dem stressauslösenden Reiz (in diesem Fall dem Feuerwerk) ausgesetzt, bis das unerwünschte Verhalten zurückgegangen ist. Es wird in seltenen Fällen bei zuvor fehlkonditionierten Ängsten oder schlechter Sozialisation eingesetzt. Dies ist jedoch nicht als unproblematisch anzusehen, da es häufig im Widerspruch zu §1 des Tierschutzgesetzes angesehen wird. Daher sollte es (wenn überhaupt) nur unter professioneller Aufsicht durchgeführt werden, da traumatische Erfahrungen gegenteilige Effekte bewirken können, indem es z. B. eine posttraumatische Belastungsstörung hervorrufen kann. Zum Glück kam diese Methode den Besitzern gar nicht erst in den Sinn und es wurde auch dringend davon abgeraten.

7. Ergänzende Therapien und Hilfsmittel

Bei besonders schwerwiegenden Ängsten kommen auch Psychopharmaka zum Einsatz, welche jedoch gute Kenntnisse der Wirkungsweise und Erfahrung bei dessen Einsatz erfordern. Dies kam aber für die Besitzer von Mini nicht in Frage. Alternativ wurde daher zur Unterstützung der Verhaltensmaßnahmen zu Zylkene® (Vetoquinol) geraten. Dies ist ein Nahrungsergänzungsmittel auf Basis von Milchproteinen, welches nachweislich eine beruhigende Wirkung erzielt und auch langfristig eingesetzt werden kann, ohne die Nebenwirkungen von Psychopharmaka aufzuweisen. Damit sollte sofort begonnen werden, sodass sich der Wirkstoff im Blut anreichern konnte. Am Silvestertag selbst sollte die doppelte Dosierung der empfohlenen Menge zweimal im Abstand von 12 Stunden ca. 2 Stunden vor Silvester verabreicht werden (also doppelte Dosis jeweils morgens um 10:00 und abends um 22:00 Uhr). Weiterführend sollte es auch in der normalen empfohlenen Dosierung noch einige Tage nach Silvester weiter gegeben werden, um die Wirkung auch für „Nachzügler“ aufrecht zu erhalten.

Zur Lärmdämpfung könnte ein sogenannter Hundegehörschutz (z. B. Mutt Muffs®) versucht werden. Dies sind Ohrenschützer für Hunde, um die Lautstärke der Feuerwerkskörper weiter zu reduzieren. Dies hielten die Besitzer von Mini aber für impraktikabel. Weiterhin wurde ein Body auf Akkupressurbasis, welcher angstlösende Wirkung erzielen soll (z. B. Anxiety Wrap®) empfohlen. Dieser könnte generell in Situationen eingesetzt werden, die stressig für Mini sind.

8. Langfristige Maßnahmen

Langfristig wurde den Besitzern dringend zu einer Verhaltenstherapie geraten, welche Mini auch bei der Schreckhaftigkeit weiterhelfen sollte. Gegen die Lärmphobie an Silvester stehen auch weitere Trainingsmaßnahmen zur Verfügung, welche gemeinsam mit einem Verhaltenstherapeuten konditioniert werden sollten. Hierzu gehört die u. a. die Desensibilisierung und Gegenkonditionierung von Feuerwerk, das Aufkonditionieren eines Entspannungssignals und eine Stärkung der Impulskontrolle von Mini. Aufgrund der Hektik vor den Feiertagen sahen sich die Besitzer zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht in der Lage, diese Maßnahmen durchzuführen, vereinbarten aber für das neue Jahr einen Termin zur Verhaltenstherapie.

Kurzfristig kann einem unter Geräuschangst leidendem Hund an Silvester durch ein Medikament oder gezielte Verhaltensmodifikationen geholfen werden, welche ihn dabei unterstützen, sich zu entspannen."

Dr. Patricia Solms, Tierärztin in Mainz

Der weitere Verlauf ...

Im neuen Jahr kamen die Besitzer von Mini zur Verhaltenstherapie und berichteten vom vergangenen Silvester. Sie hatten fast alle besprochenen Maßnahmen ausgeführt, und tatsächlich ging es Mini damit besser! Die Spieltherapie konnte nicht, wie gewünscht, ausgeführt werden, da sie die CD zu spät bekommen hätten und Mini generell nicht gerne spielt. Zylkene® und Adaptil® wollten sie gerne fortführen, so lange, bis die Verhaltenstherapie greift. Auch den Anxiety Wrap® hatte Mini gut angenommen. Mini zeigte zu Silvester zwar noch ängstliches Verhalten, indem sie sich in den Ruheraum zurückzog, hatte aber bei weitem nicht mehr diese ausgeprägten Symptome, wie vorher. Sie fraß ganz normal, speichelte nicht mehr und  lief auch nicht mehr rastlos hin und her. Als die ersten Knaller am frühen Abend gezündet wurden, zog sie sich zwar in den Ruheraum zurück und deckte sich zu, schlief aber bald ein, ohne zu zittern oder zu speicheln. Erst als es um 0:00 Uhr zum Feuerwerk kam, schreckte sie auf, blieb aber im Bad liegen. Sie hielt den Kopf unter der Decke und zitterte nur wenig und hörte auch bald auf, nachdem das Feuerwerk vorbei war. Die Besitzer blieben in ihrer Nähe und versuchten sie durch Spiel abzulenken, was aber nicht funktionierte. Erst als das Hauptfeuerwerk einige Minuten später vorbei war, ließ sie sich zum spielen animieren, was für Mini jedoch auch schon ein enormer Erfolg war. Im vergangenen Jahr brauchte sie noch Stunden, um sich wieder zu beruhigen. Für das kommende Silvester hoffen wir, Mini noch weiter helfen zu können, da sie sich noch in der Verhaltenstherapie befindet und hierbei weiterhin gute Fortschritte macht.

FAZIT

Nach Silvester ist vor Silvester! Wenn Sie einen betroffenen Hund haben, der unter Silvesterangst leidet, warten Sie nicht zu lange! Eine Therapie der Silvesterangst sollte idealerweise mehrere Monate vor Jahresende begonnen werden. Doch auch kurzfristig kann Ihrem Hund an Silvester durch ein Medikament oder gezielte Verhaltensmodifikationen geholfen werden, welche ihn dabei unterstützen, sich zu entspannen. Nicht bei jedem Hund ist sofort eine Beruhigungstablette notwendig und manchmal auch gar nicht möglich. Dafür gibt es mittlerweile auch gute Alternativen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, ohne dass Nebenwirkungen oder gar Paradoxreaktionen zu befürchten sind. Wenden sich dafür bitte frühzeitig an Ihren Haustierarzt oder an einen Tierverhaltenstherapeuten.

Tierverhaltenstherapeuten in Ihrer Nähe finden Sie im Internet z. B. unter GTVMT / Verhaltenstierärzte.

Conflict of interest:
Hiermit erklärt die Autorin, dass sie keine finanziellen, beruflichen oder anderen persönlichen Interessen hat, welche die im Fallbericht dargestellten Inhalte oder Meinungen beeinflussen können.