Scruffen bei Katzen
Katzen gelten in der Tierarztpraxis oft als unkooperative und schwierige Patienten. Nicht selten heißt es „heute kommt die Cave-Katze von Frau Müller“, oder „Achtung, der Charly ist aggressiv, den musst man gut festhalten“. Schnell wird dann der Nackengriff (Scruffen) angewendet, mit dem auch mäßig aggressive Katzen noch gut gebändigt werden können. Während das auf den ersten Blick zielführend ist, denn so kann man die Katze wenigstens untersuchen und behandeln, so sind Zwangsmaßnahmen leider auch ursächlich für das große Konfliktpotential zwischen Katzen und Tierärzt:innen.
Als Argument für das Scruffen wird oft genannt, dass dies natürlich in der Katzenwelt zwischen Muttertieren und ihren Welpen vorkommt. Ein Muttertier hat jedoch eine besondere Bindung zu ihren Welpen - von ihr geht keine Bedrohung aus. Sie nutzt dieses Greifen im Genick ausschließlich, um die Welpen zu transportieren, niemals jedoch um sie zu maßregeln oder in unangenehmen Situationen ruhig zu stellen. Auch zeigt das Muttertier dieses Verhalten nur bis ca. zur 8. Lebenswoche der Jungtiere. Bei adulten Tieren gibt es nur eine Situation in der ein Nackenbiss gezeigt wird: während der Paarung. Ist die Kätzin noch nicht paarungsbereit, so muss der Kater dabei jedoch mit starker Abwehr rechnen.
Wieso erstarrt eine Katze beim Nachengriff?
Wieso erstarrt eine adulte Katze trotzdem, wenn wir sie im Nacken greifen? Katzen sind nicht nur Jäger sondern auch Beutetiere, und ein größeres Tier, welches die Katze im Genick packt, wird von ihr instinktiv als Bedrohung gesehen. Ein Erstarren oder Tot-Stellen wird bei einer Vielzahl von Beutetieren beobachtet, wenn sie sich in einer Gefahrensituation befinden. Nach dem Motto: „Wenn der Angreifer denkt, ich wäre schon tot, dann lockert er vielleicht seinen Griff und ich bekomme eine Fluchtchance“.
Äußerlich sieht es eventuell zielführend aus: wir haben eine ruhiggestellte Katze und können unsere Arbeit machen. Die Katze befindet sich dabei jedoch in einem extremen Angstzustand, und beim nächsten Besuch ruft bereits der Anblick des Behandlungszimmers Angst hervor. Oft fangen Katzen an bereits „präventiv“ zu eskalieren, um sich die gefährlichen Menschen vom Hals zu halten, und so haben wir anfangs z.B. eine unsichere, ängstliche Katze auf dem Behandlungstisch, und durch Scruffen „erziehen“ wir uns diese mit der Zeit oftmals selbst zur Cave-Katze.
Viele Katzenbesitzer:innen scheuen den Gang in die Tierarztpraxis und zögern diesen möglichst lang hinaus, da sie ihren Katzen den Stress ersparen wollen. Oftmals werden Krankheiten dadurch erst (zu) spät entdeckt."
Bei der in Tierarztpraxen gezeigten Aggression handelt es sich fast ausschließlich um defensive Aggression: die Katze sieht sich in einer, aus ihrer Sicht, äußerst bedrohlichen, eventuell sogar lebensgefährlichen Situation und sieht den Angriff als einzige Möglichkeit, sich zu schützen. Das bedeutet für uns, dass das Aggressionspotential stark zurückgeht, wenn wir die Situation so gestalten, dass sie für die Katze weniger bedrohlich wirkt. Bedrohlich wirkt vor allem der extreme Kontrollverlust beim Einsatz von Zwangsmaßnahmen, und je mehr Handlungsspielraum eine Katze bekommt, desto sicherer fühlt sie sich. So weit wie möglich sollte der Katze erlaubt werden, sich die Körperhaltung auszusuchen (stehen, sitzen, liegen) - Kopf- und Körperbewegung sollte ermöglicht werden. Die Fixierung sollte möglichst locker gestaltet werden und eher einen Rahmen vorgeben, anstatt in eine Position zu zwängen (Abb. 1). Oftmals kann auf eine Fixierung großteils oder sogar gänzlich verzichtet werden, wenn Futter genutzt wird, um die Katze in der gewünschten Position zu halten, bzw. wenn Decken als Versteckmöglichkeit angeboten werden (Abb. 2).
Stressoren für die Katze im Rahmen eines Praxisbesuches
Neben der Art des Handlings spielt auch das sog. „Trigger
Stacking“ eine große Rolle. Folgen viele Stressoren innerhalb kurzer
Zeit aufeinander, so staut sich dieser Stress auf, bis das Tier ein so
hohes Stresslevel erreicht hat, dass es „kippt“. Oftmals sind diese
Katzen eine gewisse Zeit lang „brav“, um dann von einem Moment auf den
anderen äußerst aggressiv zu werden. Ein Praxisbesuch beinhaltet
extrem viele Stressoren für eine Katze:
- Transportbox, Autofahrt
- fremde Umgebung, Menschen & Tiere
- Gerüche und Geräusche
- berührt und/oder fixiert werden
- unangenehme oder schmerzhafte Reize
Glücklicherweise lassen sich diese Stressoren deutlich reduzieren, z.B. durch
- Abdecken der Transportbox
- Futterbeschäftigung während der Fahrt
- Medikamentöse Unterstützung (Anxiolyse, Antiemese)
- entspannende Musik
- Wahl einer geeigneten Transportbox.
Diagnostische Werte sind aussagekräftiger und Schmerzanzeichen sind besser erkennbar, je weniger sie durch Stress verfälscht werden."
Wartezimmer in der Praxis
Auch die Gestaltung des Wartezimmers ist von großer Bedeutung: Raumteiler und erhöhte Stellplätze helfen den Stress im Wartezimmer zu reduzieren (Abb. 3). Es können Decken bereit gehalten werden und an die Besitzer:innen ausgehändigt werden, falls diese die Transportbox nicht bereits abgedeckt haben. Auch ein Warten im Auto anstatt im vollen Wartezimmer hilft, das Stresslevel niedrig zu halten. Je mehr auf eine stressarme Anreise und Wartezeit geachtet wird, desto besser sind die Chancen, dass die Katze während der Behandlung ruhiger und kooperativer ist.
Kommt ein Patient in die Praxis oder Klinik, so sollte zuerst sein Stresslevel eingeschätzt werden. Bei Patienten, die bereits mit sehr hohem Stresslevel ankommen (fauchen, knurren, Abwehrverhalten), sollte abgewogen werden, ob, bzw. welche Behandlungen durchgeführt werden müssen, oder ob der Patient zu einem erneuten Termin vorgestellt werden soll. Vorbereitend auf den neuen Termin sollte die Gabe von Gabapentin als Anxiolytikum in Erwägung gezogen werden, ebenfalls sollten die Besitzer:innen über Möglichkeiten der Stressreduzierung bei Transport und Wartezeit aufgeklärt werden. So vorbereitet sind solche Patienten beim nächsten Termin in der Regel schon deutlich umgänglicher. Ist eine Verschiebung nicht möglich, so empfiehlt es sich, solche Katzen mit Hilfe von Decken zu sichern und zu fixieren, bzw. nur den Körperteil freizulegen, der gerade für die jeweilige Behandlung benötigt wird (Abb. 4).
Bei Katzen mit einem mittleren Stresslevel (kein Abwehrverhalten, aber auch keine Futteraufnahme), sind Handtuch-Wickel-Techniken gut geeignet um sicher zu fixieren ohne auf Zwangsmaßnahmen zurückgreifen zu müssen. Viele Katzen empfinden die Handtuch-Wickel als beruhigend, manche beginnen daraufhin auch mit der Futteraufnahme (Abb. 5).
Zeigt eine Katze ein niedriges Stresslevel (Erkundungsverhalten,
Futteraufnahme), so kann man mit minimaler Fixierung und Futterablenkung
den Tierarztbesuch so gestalten, dass er der Katze positiv in
Erinnerung bleibt (Abb. 1). Katzen, die bereits Erfahrungen mit Medical
Training gemacht haben sind oft äußerst willige und kooperative
Patienten, die keine Fixierung benötigen (Abb. 6). Macht man sich dabei
Sorgen um den Arbeitsschutz, so kann man z.B. mit Hilfe einer Halskrause
analog zum Maulkorb beim Hund einen Beißschutz schaffen. Bestenfalls
wird die Halskrause vorher von den Besitzer:innen auftrainiert, oftmals
akzeptieren die Katzen einen Soft-Kragen aber auch ohne vorheriges
Training gut. Hat die Katze noch keine Erfahrungen mit Medical Training
gemacht, so ist auch Medical Training auf dem Behandlungstisch möglich:
durch geschickte Abfolge von Untersuchungsreizen und Futter kann durch
das Tierarztteam ein kooperatives Verhalten geformt werden, ohne dass
dadurch ein nennenswerter zeitlicher Mehraufwand entsteht.
Take Home Messages
Und warum eigentlich so viel Aufwand für entspanntere Katzen, wenn es
bisher auch immer anders ging? Weil zufriedenere Katzen und zufriedene
Besitzer:innen eine bessere Besitzercompliance bedeuten. Viele Katzenbesitzer:innen
scheuen den Gang in die Tierarztpraxis und zögern diesen möglichst lang hinaus, da
sie ihren Katzen den Stress ersparen wollen. Oftmals
werden Krankheiten dadurch erst (zu) spät entdeckt, was wiederum eine
schlechtere Prognose bedeutet. Entspanntere Katzen bedeuten auch
einen besseren Arbeitsschutz und weniger Verletzungsgefahr, zudem geht die
Behandlung oft schneller. Diagnostische Werte sind aussagekräftiger und Schmerzanzeichen sind besser
erkennbar, je
weniger sie durch Stress verfälscht werden. Das Handling und die
Tierarztpraxis so zu gestalten, dass die Patienten weniger stark
gestresst sind, hat nicht nur Vorteile für die Patienten sondern auch
für den gesamten Praxisablauf.