Neonatologie bei Katzenwelpen

Eine Geburt ist ein wunderschönes Ereignis, jedoch ist die neonatale Sterblichkeitsrate bei Katzen hoch und liegt je nach Studie zwischen 9 und 16 % innerhalb der ersten 12 Lebenswochen. Die meisten Verluste entstehen jedoch während der Geburt und innerhalb der ersten 48 Stunden. In diesem Zeitraum, der sog. neonatalen Adaptation, findet der komplexe Prozess der Umstellung auf ein Leben außerhalb des Mutterleibes statt.
Aufgrund von Dystokien, verlängerten Geburten und Narkosedepression während Kaiserschnitten können Neugeborene unter Asphyxie, schwerer Hypoxie, Atemnotsyndrom und Bradykardie leiden, was das Sterberisiko während der ersten Lebenstage noch erhöht. Aber auch genetische Faktoren, Missbildungen, Management- und Umweltbedingungen sowie infektiöse und nichtinfektiöse Erkrankungen spielen eine entscheidende Rolle. Dies alles stellt uns Kliniker:innen immer wieder vor Herausforderungen, denn im Vergleich zur Neonatologie bei Menschen sind Wissen und auch technische Möglichkeiten in der felinen Neonatologie äußerst eingeschränkt. In den letzten Jahren wurde jedoch die Forschung in diesem Bereich stark intensiviert, neue Erkenntnisse wurden gewonnen und Hilfsmittel zur standardisierten Beurteilung der neugeborenen Kätzchen wurden angepasst bzw. entwickelt. So stellt zum Beispiel der für Katzen adaptierte Apgar-Score eine praktikable Methode zur frühzeitigen Erkennung von Neugeborenen dar, die unmittelbar nach der Geburt besondere Hilfe benötigen.
Facts
Eine im Jahr 2024 veröffentlichte Studie untersuchte die Häufigkeit von Dystokien und die Kittenverluste innerhalb der ersten 12 Lebenswochen bei Rassenkatzen und kam zu folgenden Ergebnissen:
- Die Anzahl der Geburtsprobleme, die einen tierärztlichen Eingriff erforderten betrug 14,9 % und variierte je nach Rasse (Bereich 0–22,2 %).
- Bei 10,7 % der Würfe war ein Kaiserschnitt erforderlich, am häufigsten bei Cornish Rex-Katzen.
- Katzen über 5 Jahre und Würfe mit mehr als sechs Kätzchen waren mit einem geringeren Risiko einer Dystokie verbunden, während eine längere Trächtigkeit das Risiko erhöhte.
- Bengalkatzen hatten bis zum Alter von 12 Wochen die höchste kumulative Kittensterblichkeit (23,4 %).
- Die Sterblichkeit wurde durch die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts, das Vorhandensein von Geburtsfehlern und die Rasse beeinflusst, wobei Ragdoll- und Norwegische Waldkatzen eine geringere Wurfsterblichkeit aufwiesen als Bengalkatzen und Britisch Kurzhaar/Langhaarkatzen.
Geburtshilfe - Erstversorgung
Ähnlich wie beim Hund sollte die Geburtshilfe bei neugeborenen Katzen nach der A-B-C-D Regel erfolgen. Der erste Schritt, (A - Airways), ist die Entfernung von Flüssigkeiten aus den Atemwegen durch sanftes Absaugen von Mund und Nasenlöchern mit einem geeigneten Sauger (Ballonspritze, Mucus Trap...). Dies muss immer der Stimulation der Atmung (B - Breathing) vorausgehen. Die Stimulation der Atmung kann auf unterschiedliche Weise erfolgen etwa über eine kleine Sauerstoffmaske, Flow-by oder durch direkte Beatmung. Man muss jedoch beachten, dass das Lungenvolumen eines ca 100 g schweren Kätzchens sehr klein ist und eine Aufblähung durch den Menschen das Risiko birgt, schwere und möglicherweise tödliche Schäden am empfindlichen Gewebe der Atemwege des Neugeborenen zu verursachen. Auch die Stimulation des Akupunkturpunkt GV-26 in der Mitte der Basis des Nasenphiltrums kann versucht werden. Dabei wird eine Nadel soweit eingeführt bis Kontakt mit dem Knochen besteht und dann einige Sekunden lang sanft gedreht. Die Herzfunktion (C - Circulation) und -leistung bei der Geburt hängen von der Sauerstoffverfügbarkeit ab, daher muss die Stimulation des Herzens und des Kreislaufs immer nach den beiden vorherigen Schritte (A und B) erfolgen. Eine sanfte digitale transthorakale Herzmassage ist möglich, wobei darauf zu achten ist, eine hohe Kompressionsfrequenz (1–2 pro Sekunde mit Intervallen, um die Atmung zu ermöglichen) in Kombination mit einer geeigneten Beatmung beizubehalten. Die Verwendung von Medikamenten ist eingeschränkt, da die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik von Medikamenten bei neugeborenen Katzenbabys größtenteils unbekannt sind. Eventuell im Zuge eines Kaiserschnitts verwendete Medikamente sollten antagonisiert werden. Adrenalin (Epinephrin) könnte verabreicht werden, um die Herzfunktion im Falle eines Herzstillstands zu unterstützen. Die Verwendung von Analeptika wie Doxapram ist jedoch umstritten, humanmedizinische Studien raten eher davon ab.

Um den klinischen Zustand von neugeborenen Katzenwelpen standardisiert zu beurteilen, wurde der sog. APGAR Score aus der Humanmedizin übernommen und 2022 auch für Katzenwelpen adaptiert."
Der APGAR Score
Um den klinischen Zustand von neugeborenen Katzenwelpen standardisiert zu beurteilen, wurde der sog. APGAR Score (erstellt von der amerikanischen Anästhesistin und Chirurgin Virginia Apgar) aus der Humanmedizin übernommen und 2022 auch für Katzenwelpen adaptiert (Abbildung 1). Dieser gibt anhand eines Punkteschemas einen Hinweis auf die Lebensfähigkeit der Welpen und wird in den meisten Studien zum Zeitpunkt der Geburt, 10 Minuten danach und nochmal nach 60 Minuten bestimmt. Werte von 0 bis 3 sprechen für einen deutlich kritischen Zustand, der sofortige medizinische Hilfe benötigt. Werte zwischen 4 und 6 für einen schwachen und somit gefährdeten Welpen und Werte über 7 für einen normalen klinischen Zustand (Abbildung 2). Optimal wäre natürlich ein Wert von 10. Auch wenn es im Klinikalltag natürlich nicht immer möglich ist, diese Werte bei allen Kitten 3x innerhalb der ersten Stunde zu bestimmen, gibt uns der Apgar Score doch einen guten Anhaltspunkt bei der Bewertung der Vitalität und der Lebensfähigkeit von Neugeborenen.
Weitere Indikatoren um den klinischen Zustand der Neugeborenen zu bestimmen, sind die Reflexe der Katzenwelpen (Abbildung 3 und 4) sowie die klinischen Parameter Blutzucker (Normalwert Glu: 129.0 mg/dl [52–246]), Körpertemperatur (35.5°C [34.4–37.2]), periphere Sauerstoffsättigung (SpO2) und Gewicht (100g [75–120]).
Probleme während der ersten Lebensstunden
Hypoxie – Neonatales Atemnotsyndrom. Im Mutterleib werden die Welpen über die Plazenta mit Sauerstoff versorgt. Bei der Ablösung der Plazenta kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung, das bedeutet auch unter physiologischen Bedingungen kommt jeder Welpe mit einem leichten Sauerstoffmangel, einem CO2-Überschuss und einer daraus resultierenden respiratorisch-metabolischen Azidose zur Welt. Beides sind Auslöser für eine Stimulation des Atemzentrums und folglich der ersten Atemzüge. Schwierig wird das Ganze bei Geburtsproblemen (abgeklemmte Nabelschnur durch zu langes Verweilen im Geburtskanal oder vorzeitig abgelöste Plazenta) oder unreifer Lunge (mangelnder Surfactant). Dann kann es zu einem reflektorischen Absinken der Herzfrequenz, einer Unterversorgung lebenswichtiger Organe, bakterieller Dislokation oder auch zum Aspirieren von Fruchtwasser in die Lunge kommen.
Hypothermie/Hyperthermie. Entspricht die innere Körpertemperatur zum Zeitpunkt der Geburt noch in etwa der Körpertemperatur der Mutterkatze, fällt sie unmittelbar nach der Geburt deutlich ab. Dies ist ein physiologischer Prozess und wichtig, um die erste Phase der noch unzureichenden Sauerstoffversorgung auszugleichen und um den Stoffwechsel ein wenig zu drosseln, um Energie zu sparen. Beim gesunden Kitten steigt die Temperatur dann in der frühen postnatalen Periode langsam und kontinuierlich an. Nach ca. 24 Stunden beträgt sie etwa 35,0-36,5 Grad Celsius. Im Schnitt haben unsere Kitten jedoch bis zum Alter von ca. 4 Wochen eine niedrigere Temperatur als adulte Katzen, was sie auch anfälliger für Infektionen macht.
Ist die Umgebung also zu kalt oder wurden die Neugeborenen nicht ausreichend abgetrocknet, kommt es zur gefährlichen Hypothermie. Eine hypothalamische Kontrolle der Körpertemperatur gibt es noch nicht und Schutzmechanismen wie Zittern oder braunes Fettgewebe, welches in der Lage ist, Wärme zu produzieren, fehlen bei Welpen noch fast vollständig. Eine ungewöhnlich niedrige Temperatur bei Neugeborenen. <35°C kann zu Saugversagen, Dehydration, verminderter gastrointestinaler Motilität oder sogar zum paralytischen Ileus und einer erhöhten Anfälligkeit für bakterielle Infektionen führen.
Aber auch eine Hyperthermie aufgrund zu hoher Umgebungstemperaturen ist eine Gefahr für unsere Welpen. Diese geht aufgrund der hohen Rate an Körperoberfläche zu Körpergewicht mit einem starken Flüssigkeitsverlust und folglich Dehydratation einher. Verstärkt wird die Dehydration durch den hohen Anteil an extrazellärer Flüssigkeit, die unreife Haut durch die Flüssigkeit verloren geht und die eingeschränkte Rückresorptionsmöglichkeit der noch unreifen Nieren.
Mangelnde Kolostrumaufnahme innerhalb der ersten 24 Stunden. Aufgrund der endotheliochoroidalen Beschaffenheit der Plazenta unserer Katzen werden während der Trächtigkeit kaum Antikörper vom Muttertier auf die Welpen übertragen (nur ca. 5-10 %). Sie müssen diese also dringend innerhalb des ersten Lebenstages über das Kolostrum aufnehmen. Auf diese Art sind sie schon in den ersten Wochen gegen Infektionen geschützt.
Eine zeitnahe Aufnahme der Kolostralmilch ist wichtig, da der Antikörpergehalt im Kolostrum bereits während der Geburt zu sinken beginnt (50 % innerhalb der ersten 24 Stunden) und auch die Darmbarriere nach 16 bis 24 Stunden geschlossen ist. Die in der Milch enthaltenen IG-G und IG-A Antikörper können dann nur noch lokal im Darm schützen. Wichtig ist natürlich auch ein guter Immunstatus (Impfstatus!) der Mutter, um diesen an die Welpen weitergeben zu können.

Die Geburt und auch die ersten Lebenstage sind für alle eine Herausforderung. Für die Kätzin, die neugeborenen Kitten, die Besitzer:innen und natürlich auch für die Tierärzt:innen. Deshalb sind Kenntnisse über die Besonderheiten und die physiologischen Parameter von neugeborenen Katzen für die richtige klinische Behandlung dieser Patienten entscheidend."
Mangelnde Energieversorgung. Welpen haben einen hohen Bedarf an Glukose, sowohl zur Erhaltung ihrer Vitalfunktionen als auch für ihr Wachstum. Die unreife Leber von Neugeborenen ist jedoch noch nicht in der Lage, diese bei Fastenzuständen effizient durch Gluconeogenese zur Verfügung zu stellen. Deshalb sollten Welpen, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt mehr als 10 % ihres Geburtsgewichtes verloren haben, oder deren Geburtsgewicht mehr als 25 % unter dem Rassedurchschnitt liegt, mit einer geeigneten Ersatzmilch zugefüttert werden.
Wichtig
- Vorsicht vor Überfütterung! Als Faustregel gilt: 20% (je nach Hersteller bis zu 26%) des aktuellen Körpergewichts innerhalb von 24 Stunden über 6 - 8 kleine Mahlzeiten füttern.
- Bitte unbedingt kommerziell erhältliche Ersatzmilch verwenden, da im Magen der Welpen die für die Verdauung erforderlichen Peptitasen noch nicht vorhanden sind und nur diese für Neugeborene hochverdauliche Inhaltsstoffe enthält.
- Unterkühlte Welpen nicht zum Trinken zwingen, da bei Unterkühlung die Darmmotilität herabgesetzt ist. Wenn hypotherme Kätzchen zum Fressen gezwungen werden, können Regurgitation, Aspirationspneumonien oder Ileus auftreten. Deshalb ist es wichtig, die Welpen zuerst langsam wieder in einen für sie normalen Temperaturbereich zu bringen und sie erst danach zu füttern.
Mangelnder Harn- und Kotabsatz. Bis die Kitten eigenständig Kot und Harn absetzen können, vergehen mindestens zwei Wochen. Bis dahin muss der Absatz durch Stimulation mittels Beschlecken der Unterbauch- und Analregion durch die Mutterkatze, oder im Bedarfsfall durch Massage durch die Besitzer:innen oder Tierärzt:innen, erfolgen. Passiert dies nicht, sind Verstopfung oder Blähungen die Folge, die mit gespannter Bauchdecke, Schmerzhaftigkeit und auch Anorexie einhergehen können. Im Zuge der Stimulation lässt sich auch problemlos ein Tropfen Harn gewinnen, um das spezifische Gewicht zu messen (<1020) und dadurch den Hydrationsstatus bestimmen zu können.
Fazit
Die Geburt und auch die ersten Lebenstage sind für alle eine Herausforderung. Für die Kätzin, die neugeborenen Kitten, die Besitzer:innen und natürlich auch für die Tierärzt:innen. Deshalb sind Kenntnisse über die Besonderheiten und die physiologischen Parameter von neugeborenen Katzen für die richtige klinische Behandlung dieser Patienten entscheidend.
Referenzen
- Černá P, Pugalendhi SJ, Shaw DJ, Gunn-Moore DA. Feline dystocia and kitten mortality up to 12 weeks in pedigree cats. J Feline Med Surg. 2024 Dec;26(12):1098612X241284766. doi: 10.1177/1098612X241284766. PMID: 39656270; PMCID: PMC11632851.
- Chastant-Maillard S, Aggouni C, Albaret A, Fournier A, Mila H. Canine and feline colostrum. Reprod Domest Anim. 2017 Apr;52 Suppl 2:148-152. doi: 10.1111/rda.12830. Epub 2016 Nov 30. PMID: 27910138.
- Hibaru VY, Pereira KHNP, Fuchs KDM, Lopes MD, Alfonso A, de Souza FF, Chiacchio SB, Tsunemi MH, Machado LHA, Lourenço MLG. Topics in the routine assessment of newborn kitten vitality: Apgar score, reflexes and complementary assessments. J Feline Med Surg. 2022 Jun;24(6):e34-e42. doi: 10.1177/1098612X221081404. Epub 2022 Mar 30. PMID: 35352984.
- Münnich A. Fading kitten syndrome: Factors predisposing to 'faders' and treatment options. J Feline Med Surg. 2022 Mar;24(3):243-256. doi: 10.1177/1098612X221079710. PMID: 35209774.
- Veronesi MC, Fusi J. Feline neonatology: From birth to commencement of weaning - what to know for successful management. J Feline Med Surg. 2022 Mar;24(3):232-242. doi: 10.1177/1098612X221079709. PMID: 35209772.