Narkoseüberwachung rettet Leben: Ein Plädoyer für mehr Aufklärung und klare Standards

Eine typische Situation im Praxisalltag: Der Jack Russel Charly soll „nur“ kastriert werden. Während des Eingriffs fällt plötzlich sein Blutdruck ab. Die Tiermedizinische Angestellte bemerkt die Veränderung durch die konstante Überwachung mit moderner Technik sofort, die Tierärzt:in kann rechtzeitig gegensteuern. Charly wacht nach seiner Narkose auf und hatte keine Folgeschäden. Er geht noch am selben Abend munter nach Hause. Nicht für alle Tiere geht es so gut aus. Ein anderes Beispiel ist der vier Jahre alte Terrier Anton, der ebenfalls für einen vermeintlich harmlosen Eingriff in die Praxis gebracht wird. Eine Zahnsanierung steht an. Seine Besitzer:innen entscheiden sich gegen die empfohlene Narkoseüberwachung.
"Anton ist ja gesund und es ging bis jetzt ja immer gut.“ Auch diese Situation kennt jeder von uns und häufig lassen wir uns darauf ein. In den meisten Fällen handeln wir entgegen unserer ärztlichen Überzeugung. Anton wachte aus der Narkose nicht wieder auf. Sein Herz versagte während der Operation, durch fehlende technische Überwachung fiel es zu spät auf. Antons Tod hätte vermutlich mit einer guten Überwachung verhindert werden können. Häufig geht alles gut, aber doch so ein Fall beschäftigt uns lange. Was hätten wir anders machen können? Warum haben wir uns doch darauf eingelassen?
Diese beiden Fälle zeigen exemplarisch, vor welchem Dilemma Tierärzt:innen täglich stehen. Schauen wir in die aktuellen Statistiken, dann liegt das Narkoserisiko für gesunde Hunde bei etwa 0,05 Prozent. Das klingt zunächst wenig, aber es beutetet doch, dass einer von 2.000 gesunden Hunden während oder nach der Narkose verstirbt. Bei vorerkrankten Tieren steigt das Risiko auf über ein Prozent. Durch professionelles Monitoring lassen sich diese Zahlen deutlich senken. So liegt das Narkoserisiko aktuell in der Humanmedizin bei 0,001 Prozent auf Grund der sehr guten Überwachung. Die Zahlen, welche wir heute in der Veterinärmedizin erreichen, hat die Humanmedizin schon 1940 erreicht. Wir sollten danach streben uns auf dem Gebiet weiterzuentwickeln und unsere Zahlen weiterhin zu verbessern.
Die Narkoseüberwachung
Ein kurzer Einblick in die Möglichkeiten der Narkoseüberwachung soll genügen, denn es gibt genug ausführliche Artikel und Fortbildungen für das Thema. In den “Leitlinien für Anästhesiologische Versorgung bei Hund und Katze” sind wissenschaftliche und praxisorientierte Handlungsempfehlungen niedergeschrieben. Natürlich sind diese nicht rechtsverbindlich, aber jeder sollte sich im Sinne einer guten Versorgung seiner Patienten daran halten wollen. Je nach Zustand des Patienten kann die Überwachung angepasst werden.
Mit einem modernen Überwachungsmonitor kann die Pulsoximetrie, die Kapnographie, das EKG, der Blutdruck und die Körpertemperatur überwacht werden. Natürlich ist das nicht für jede Praxis möglich, aber ein gutes Gerät für die Pulsoximetrie sollte heute Standard sein. Für die Pulsoximetrie konnte bei kranken Hunden eine positive Tendenz des Narkoserisikos berechnet werden. Noch ist die positive Tendenz nicht statistisch gesichert, aber auch in der Humanmedizin wird der Pulsoximetrie ein sehr hoher Stellenwert zur Vermeidung von Narkosezwischenfällen zu geschrieben. Schaut man sich die Statistiken in der Veterinärmedizin an, haben 74 Prozent aller narkosebedingter Todesfälle respiratorische oder kardiovaskuläre Ursachen. Durch ein intensives Monitoring kann hier rechtzeitig eingegriffen werden.
DIE WICHTIGSTEN MONITORING-PARAMETER IM ÜBERBLICK
Pulsoximetrie (SpO2)
- Normwert: > 95Prozent
- Misst die Sauerstoffsättigung im Blut
- Warnt frühzeitig vor Sauerstoffmangel
Kapnographie (etCO2)
- Normwert: 35-45 mmHg
- Zeigt CO2-Gehalt in der Ausatemluft
- Wichtiger Indikator für die Atemfunktion
Blutdruck
- Systolisch: 110-160 mmHg
- Mittlerer arterieller Druck: > 60 mmHg
- Regelmäßige Messung alle 5-10 Minuten
EKG
- Herzfrequenz Hund: 60-120/min
- Herzfrequenz Katze: 120-180/min
- Erkennt Rhythmusstörungen sofort
Temperatur
- Normbereich: 37,5-38,5°C
- Wärmemanagement essenziell

Die Zukunft der Tiermedizin liegt in der Standardisierung der Narkoseüberwachung. Bis dahin ist jede Praxis gefordert, verantwortungsvoll zu entscheiden und aufzuklären."
Die schwierige Entscheidung
Täglich stehen Tierärzt:innen vor der Entscheidung: Operation mit eingeschränkter Überwachung oder Ablehnung des Eingriffs? Eine komplexe ethische Frage. Denn am Ende tragen sie die Verantwortung - auch wenn Tierhalter:innen auf die kostengünstigere Variante bestehen und man alles gut dokumentiert. Bei Komplikationen sind es fast immer die behandelnden Tieräzt:innen, denen die Schuld gegeben wird.
Besonders heikel wird es bei Risikopatienten: Brachyzephale Rassen wie Möpse oder Französische Bulldoggen haben aufgrund ihrer Anatomie ein bis zu dreifach erhöhtes Narkoserisiko. Auch ältere Tiere, sehr kleine Rassen und Patienten mit Vorerkrankungen benötigen besondere Aufmerksamkeit. Eine Operation ohne Monitoring durchzuführen, sollte in diesen Fällen absolut vermieden werden. Sollten Tierärzt:innen nicht die nötigen Voraussetzungen für eine gute Überwachung gewährleisten können, sollte man diese Tiere überweisen. Auch das ist eine gute medizinische Versorgung, seine eigenen Grenzen und Möglichkeiten zu kennen.
Die präoperative Risikoeinschätzung ist dabei von entscheidender Bedeutung. Ein standardisiertes Vorgehen hilft, keine wichtigen Aspekte zu übersehen. Neben Alter, Rasse und bekannten Vorerkrankungen spielen auch Parameter wie ein Blutbild, die Blutchemie und der aktuelle Allgemeinzustand eine wichtige Rolle. Diese umfassende Evaluation ermöglicht eine individuelle Anpassung der Narkose und des Monitorings.
Verantwortung gemeinsam tragen
Das deutsche Tierschutzgesetz verpflichtet zur bestmöglichen Versorgung. Gleichzeitig fehlen rechtsverbindliche Standards für die Narkoseüberwachung. Diese Lücke können Tierärzt:innen durch konsequente Aufklärung und eindeutige Empfehlungen, entsprechend den “Leitlinien für Anästhesiologische Versorgung bei Hund und Katze”, versuchen zu schließen. Wer einen Eingriff ohne adäquate Überwachung durchführt, riskiert nicht nur das Leben des Tieres, sondern auch seinen eigenen Ruf und seine berufliche Integrität. Selbst bei ordentlicher Aufklärung der Besitzer:innen und ausreichender Dokumentation, wird es im Falle eines Todesfalls für die Besitzer:innen sehr emotional. In Zeiten von Social Media kann dann schnell der eigene Ruf leiden.
Die Rechtsprechung zeigt: Im Schadensfall wird besonders kritisch geprüft, ob die Aufklärung ausreichend war und alle verfügbaren Überwachungsmöglichkeiten angeboten wurden oder ob gegeben falls auch ein Übernahmeverschulden vorliegt. Eine lückenlose Dokumentation ist daher unverzichtbar.
Jede Praxis sollte daher klare Leitlinien entwickeln: Welche Eingriffe sind ohne umfassendes Monitoring vertretbar? Bei welchen Patienten muss eine Operation ohne ausreichende Überwachung kategorisch abgelehnt werden? Diese Entscheidungen müssen gut dokumentiert und kommuniziert werden - zum Schutz der Tiere und vor allem auch der behandelnden Tierärzt:innen.
Technischer Fortschritt als Chance
Die Zukunft der Tiermedizin liegt in der Standardisierung der Narkoseüberwachung. Bis dahin ist jede Praxis gefordert, verantwortungsvoll zu entscheiden und aufzuklären. Ohne ausreichende Aufklärung und klare Standards tragen am Ende alle Beteiligten die schmerzlichen Konsequenzen. Es liegt an uns als Tierärzteschaft, gemeinsam Standards zu entwickeln und durchzusetzen - zum Wohle unserer Patienten und zum Schutz unseres Berufsstandes.