Youtube-Star Crusoe - "The Celebrity Dachshund"

Portrait Marc Hillesheim
von Marc Hillesheim – 09.11.2017

Ich bin aufgeregt, als ich frühmorgens durch den nebligen Park zu unserem Treffpunkt in der Nähe von Brenners Parkhotel gehe, schließlich werde ich in wenigen Minuten einem leibhaftigen Star begegnen. Mehr als eine Milliarde mal wurden seine Filme auf Youtube oder Facebook angeschaut. Wo er auftritt, drängeln sich die Fans, um ein Foto mit ihm zu bekommen. Bei seinem Besuch im Land seiner Vorfahren residiert er statusgemäß im noblen Baden-Baden. Ich bin etwas zu früh, und während ich warte, beobachte ich die Damen in Pelzmänteln, die ihre Hunde spazieren führen - vorzugsweise in der Handtasche.

Besitzer, Stylisten, Manager oder Mum and Dad“

Da kommt er. Klein ist er, viel zierlicher als ich dachte. Und scheu ist er, wie viele Stars. Er betrachtet kurz einen gewaltigen Mammutbaum und markiert ihn dann lässig, während ich Ryan Beauchesne und Laurence Dionne begrüße. Die beiden Kanadier sind Crusoes Besitzer, seine Stylisten, Manager oder - wie sie selber es sehen - „Mum and Dad“.

Meine Bemerkung, es sei etwas surreal, Crusoe wie einen x-beliebigen Dackel an der Leine durch den Park spazieren zu sehen, bringt die beiden zum lachen. „Was sonst?“, meint Ryan, schließlich sei Crusoe ein ganz normaler Hund. „Alles andere ist nur Spaß“. Ein Spaß immerhin, der Ryan inzwischen einen Fulltime-Job eingebracht hat und Crusoe unzählige Fans auf der ganzen Welt, die täglich auf Fotos und Videos seiner neuesten Abenteuer warten. Oder manchmal einfach nur einer Live-Übertragung aus Crusoes Badewanne zuschauen.


Das sei alles natürlich so nicht geplant gewesen, erzählt Ryan, während wir eine Allee mit herrlichen alten Bäumen entlang spazieren. Er habe schon immer die Fotos von William Wegman bewundert, der mit den Bildern seiner Weimaraner in oft absurden menschlichen Posen berühmt wurde, und habe dann aus einer Laune heraus begonnen, den damals einjährigen Crusoe in lustigen Situationen zu fotografieren. Es stellte sich heraus, dass der Zwergdackel ein komödiantisches Naturtalent ist. „Er hatte ein gutes obedience training und ist wirklich sehr gehorsam und gelehrig“, berichtet Ryan. „Er kann aber auch fürchterlich stur sein, ein richtiger Dackel eben“, lacht Laurence, und ich denke mir, dass Crusoe wohl eher ein „Daddy-Hund“ ist . Die Foto- und Videoaufnahmen dauern in der Regel nicht länger als fünfzehn oder zwanzig Minuten und sind für Crusoe eine willkommene Abwechslung. „Er ist ständig auf der Suche nach etwas Neuem, und wir gehen dreimal täglich mit ihm spazieren“, erzählt Laurence. Und das, obwohl die beiden extra in ein Haus mit großem Garten außerhalb von Ottawa gezogen sind, wo Crusoe sich nach Herzenslust austoben kann.

"Baden Baden is posh"

In Baden-Baden gefällt es den beiden Kanadiern gut, obschon sie es ein wenig „posh“ finden. Immerhin bekamen sie so die Gelegenheit, Crusoe auf der Rennbahn und im Casino echte Upper-Class-Geschichten erleben zu lassen. Sie selber sind eher entspannt und führen ein ruhiges und zurückgenommenes Leben, was sich auch im Stil der Videos niederschlägt und ein Hauptgrund für deren Erfolg ist. Es sind der hintergründige Humor und die Liebe zum Detail, die die Fans mögen. Auch findet Ryan stets jenen richtigen Grad an Imperfektion, der die Geschichten so authentisch bleiben lässt.

"In Kanada ist es undenkbar, mit dem Hund Taxi zu fahren oder ins Restaurant zu gehen!"

Was ihnen an Deutschland auffällt, möchte ich gerne wissen. Wie hundefreundlich es hier zugehe, sei bemerkenswert, meint Laurence. Und Ryan ergänzt, „in Kanada wäre es undenkbar, mit dem Hund Taxi zu fahren oder ins Restaurant zu gehen“. Wir sind inzwischen ein Stück durch den Park gewandert, da bleibt Crusoe, der brav neben uns her läuft, plötzlich stehen und interessiert sich auffällig lange für ein Stück Weg, wo es eigentlich nichts zu sehen gibt. „Er hat Angst vor dem kleinen Wasserfall dort vorne“, erklärt Laurence und nimmt Crusoe auf den Arm. „Was ist das für ein Kanadier, der Schiss vor Wasserfällen hat?“ schimpft sie lachend, während wir an der künstlichen Kaskade vorbeilaufen, die leise neben dem Weg dahinplätschert. Auch Feuerwerk, Donner und brutzelnde Pfannen sind dem sonst so tapferen Dackel nicht geheuer. Bei diesen Gelegenheiten wird aus ihm dann doch eher ein „Mommie-Hund“. „Das ist doch ganz schön, bei den Fotos bin ich ja eher diejenige, die immer nur Crusoes Hinterteil festhalten darf“, kommentiert Laurence trocken, und man spürt, wie viel Spaß die drei miteinander haben. Es gibt aber auch ernste Themen, auf die sie aufmerksam machen wollen.

Crusoe erkrankte an IVDD

Obwohl Ryan ihre Wohnung mit Rampen und Treppengittern ausgestattet hatte, erkrankte Crusoe wie etwa ein Viertel aller Dackel an IVDD, der Dackellähme, und musste sich im Alter von sechs Jahren einer Bandscheibenoperation unterziehen. Während der Leidenszeit mit Operation und Physiotherapie fielen die Videos weniger witzig aus, verloren aber nie ihren Humor und Optimismus. „Ich denke, es ist wichtig, dass die Besitzer eines Dackels rechtzeitig auf die ersten Symptome achten, die eine Erkrankung anzeigen könnten, und darauf vorbereitet sind, im Ernstfall schnell zu handeln“, meint Ryan. Deshalb hat er eine spezielle Internetseite zu Prävention und Behandlung von IVDD aufgesetzt. Zur Beschäftigung mit anderen Hunden gehören auch regelmäßige Besuche im Tierheim, wo die vielen Kuscheltiere, die Crusoes Fans aus aller Welt nach Ottawa schicken, dankbare Abnehmer finden. Der Gegensatz zwischen deren Schicksal und der Aufmerksamkeit, die Crusoe bekomme, verursache ihr schon manchmal ein mulmiges Gefühl, meint Laurence. Andererseits gäbe es aber so viele Zuschriften von Menschen, denen die Abenteuer des kleinen Hundes jeden Tag ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Wie die des Mädchens mit einer schweren chronischen Erkrankung, dessen Lehrerin für bestimmte Momente immer ein Foto oder ein Video mit Crusoe zum Mut-machen bereit hält. Man merkt, dass es den beiden viel bedeutet, etwas Gutes bewirken zu können.

Ein ganz normaler Hund - fast jedenfalls. 

Crusoe selber lässt das alles relativ kalt. Während ich mich von Laurence und Ryan verabschiede, schnüffelt er interessiert an einem Abfalleimer und macht dann dezente Andeutungen, dass es mal wieder Zeit für einen Ortswechsel sei. Ich schaue den dreien nach, wie sie gemütlich den Weg zurücklaufen. Ein ganz normales Pärchen mit einem ganz normalen Hund. Naja, fast.