Tierarzt Dr. Ralf Unna - "Das Tier kommt zuerst"

Portrait Sabrina Burbach
von Sabrina Burbach – 10.02.2016

2014 waren 335.000 Menschen in Deutschland obdachlos – Tendenz steigend, so eine aktuelle Prognose der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. 

Für viele Obdachlose ist ihr Hund der letzte treue Begleiter. Für sie ist es daher keine Frage, dass sie sich um ihn besonders gut kümmern – mit Erfolg. Obwohl ihre Halter Tag und Nacht mit ihnen draußen leben und sich Futter oder tierärztliche Behandlungen kaum leisten können, ist die Mehrheit der Obdachlosenhunde gesund. Im Beitrag in der Kölner Obdachlosen-Zeitschrift "DRAUSSENSEITER" verrät der Kölner Tierarzt Dr. Ralf Unna, wieso das so ist und wie die Hunde im Gegenzug ihren Besitzern das Leben auf der Straße erleichtern. Das Gespräch führte Sabrina Burbach.

Welche drei Krankheiten kommen bei Hunden, die auf der Straße leben, am häufigsten vor?
Dr. Ralf Unna: Nummer eins, mit weitem Abstand, sind parasitäre Hauterkrankungen. Dazu gehören zum einen Flöhe und die damit einhergehende Juckdermatitis – die Entzündung der Haut durch Flohspeichel. Wo Flöhe sind, sind in der Regel auch Darmwürmer. Und dann gibt es noch das Thema Räude. Das sind Grabmilben, die in der Haut leben und ebenfalls einen wahnsinnigen Juckreiz auslösen. Das erkennt man vor allem daran, dass sich die Tiere dauernd mit den Hinterläufen kratzen, sich selbst beißen und schlechte, rötlich entzündete Haut haben. Einige Hunde kriegen auch gelegentlich Durchfälle oder haben Bissverletzungen. Das sind die drei großen Gruppen.

Also sind die meisten Tiere grundsätzlich gesund?
Dr. Ralf Unna: Wenn die Parasitosen erst mal behandelt sind, sind das kerngesunde Hunde. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Es gibt ja auch sehr alte Tiere auf der Straße. Die haben die typischen Probleme von alten Hunden, also kaputte Knochen, kaputte Gelenke. Für die ist es auf der Straße sehr hart – gerade im Winter. Aber in der Regel sind die Hunde gut sozialisiert und in guter Verfassung. Kann man gar nicht anders sagen. Oft habe ich das Gefühl – ohne Humanmediziner zu sein –, dass zumindest einige von ihnen in besserer körperlicher Verfassung sind als ihre Halter.

Wie kommt es zu den Flöhen und was kann man vorbeugend gegen die Ursache Nummer eins machen, gegen die Parasiten?
Dr. Ralf Unna: Die Achillesferse dieser Tiere ist, dass sie aufgrund ihrer Haltungsbedingungen oft eng mit anderen Hunden zusammenleben – viel enger als zum Beispiel der gemeine Familienhund in Köln-Lindenthal auf 80 qm, der gerade zweimal am Tag beim Spazierengehen kurz mit anderen Hunden in Kontakt kommt. Die Hunde haben oft 24 Stunden Kontakt mit ihren Artgenossen – was an sich super für ihr Sozialverhalten ist. Aber dann muss praktisch nur einer Flöhe haben oder Räudemilben, und schon ist die Gefahr extrem groß, dass sich das ausbreitet. Hinzu kommt, dass es unter ihren Haltern eine rege Reisetätigkeit gibt. Einige sind an einem Tag in Berlin und dann in Köln oder ganz woanders. Deswegen sind wir dazu übergegangen, alle Tiere, die wir sehen, immer wieder routinemäßig zu entflohen und zu entwurmen. Man müsste sie im Prinzip dauerhaft unter Flohschutz stellen. Vor allem in der Saison von Frühjahr bis Herbst, weil man davon ausgehen muss, dass diese Tiere regelmäßigen Kontakt zu verflohten Tieren haben.

Unter Flohschutz stellen, indem man was tut?
Dr. Ralf Unna: Indem man die Tiere entsprechend behandelt. Man kann zum Beispiel so ein Spot On aufbringen, ein Präparat, das einmal im Monat zwischen die Schultern getropft wird. Das bietet schon einen relativ wirksamen Schutz.

Sowas ist ja meistens eine Kostenfrage. Gerade, wenn die Halter und ihre Hunde auf der Straße leben. Können da Versicherungen helfen?
Dr. Ralf Unna: Sie können, würde ich aber nicht zu raten. Auch anderen Besitzern nicht, die vielleicht mehr Geld zur Verfügung haben. Ein Flohschutz für einen mittelgroßen Hund kostet zehn Euro im Monat, die Versicherung wahrscheinlich 15. Wenn überhaupt, würde man denen, die das Geld übrig haben, raten, eine OP-Versicherung abzuschließen, für die größten Risiken. Aber die normale monatliche Abdeckung würde ich einfach versuchen aufzubringen, und mein Eindruck ist, dass die meisten das können.

Wie kann man obdachlose Hunde sonst noch unterstützen? Gibt es irgendwelche Aktionen, Sparschweine oder Ähnliches?
Dr. Ralf Unna: Eine Halterin hat zum Beispiel eine eigene Facebook-Seite, über die sie Gelder einsammelt, um ihren Hund behandeln zu lassen. Eine virtuelle Sparbüchse sozusagen. Da sagen dann die Leute, dass sie bis zu einer bestimmten Summe die Kosten der Behandlung übernehmen. Der Arzt darf ihnen dann die Rechnung schicken und sie bezahlen sie. Das funktioniert ganz gut. Irgendwie scheint es leichter zu sein, so etwas für einen Hund einzurichten als für einen Menschen. Wie immer man das werten will, aber es ist so.

Was bedeuten den Haltern ihre Hunde, mit denen sie Platte machen?
Dr. Ralf Unna: Ich habe das Gefühl, dass viele Leute auf Grund ihrer Hunde in der Lage sind, ihr Leben besser in den Griff zu kriegen, weil ihnen die Verantwortung für sie mehr Stabilität verleiht. Und durch sie haben sie eine Struktur in ihrem Alltag. Sie wissen also genau, mein Hund muss morgen wieder versorgt werden. Andererseits glaube ich, dass wenn man auf Platte ist, ein Hund durchaus noch andere Vorteile mit sich bringen kann. Weil die Ansprechbarkeit deutlich höher mit Hund ist als ohne. Natürlich bedeutet er auch einen höheren Aufwand. Trotzdem bringt es den Leuten eher einen Vorteil, denke ich – und auch den Tieren. Es gibt natürlich immer auch welche, bei denen man das Gefühl hat, die Leute sind eigentlich nicht in der Lage, ein Tier zu führen. Aber das ist die absolute Ausnahme. Bei der überwiegenden Anzahl der Leute, die ich kenne, habe ich das Gefühl, dass sie sich sehr stark um ihre Tiere kümmern. Es gibt aus meiner Sicht aber auch Sachen, die gar nicht gehen. Jemand macht zum Beispiel mit einem Schwein Platte. Das funktioniert einfach nicht. Aber mit einem handelsüblichen mittelgroßen Hund, der mit den Leuten lebt, geht das gut.

Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 2/2016 des "Draussenseiter". Mehr Informationen unter www.draussenseiter-koeln.de. Die Fotos sind auf einem Spaziergang für das im Bachem Verlag erschienene Buch "Hunde Runden in und um Köln" entstanden.