Bring your own case: Hüftgelenksluxation bei einer Hündin
„Bring your own case“ ist ein besonderes Angebot der
FRONTIER Kleintierspezialisten. Die beiden Gründer des
Überweisungszentrums, Dr. Anna Adrian und Pieter Nelissen, bieten
Kolleg:innen an, Spezialfälle aus der Praxis einzusenden,
die dann mit den FRONTIER-Oberärzt:innen diskutiert werden. Besonders
interessante Fälle werden dann jeden Monat in den Tierarztmagazinen
KATZENMEDIZIN & HUNDERUNDEN veröffentlicht.
Liebes FRONTIER-Team!
Anbei die Röntgenbilder der Hündin Gina. Gina ist eine weiblich kastrierte 1-jährige Mischlingshündin und wurde bei uns aufgrund einer Lahmheit nach Trauma vorstellig. Welche Pathologien erkennen Sie und welches weitere Vorgehen empfehlen Sie?
Dr. Anna Adrian, MS, DACVR, antwortet:
Vielen Dank für die Zusendung der Röntgenbilder. Uns liegt eine links laterale Aufnahme des Thorax vor. Hierbei ist die Herzschattenkontur, die Lungengefäße, das Lungenparenchym, die mediastinalen Strukturen, der Pleural Raum und die sichtbaren kranialen abdominalen Strukturen ohne besondere Befunde. Das Zwerchfell ist intakt und der abgebildete Bewegungsapparat ist normal, ohne Hinweis auf Frakturen.
Auf der lateralen und ventrodorsalen Aufnahme des Beckens ist eine segmentale Fraktur des rechten Os pubis erkennbar. Es sind drei Frakturstellen identifizierbar (blaue Pfeile), eine zwischen Corpus ossis pubis und Ramus cranialis, die möglicherweise unvollständig ist. Eine weitere Fraktur im Ramus cranialis ossis pubis und die letzte zwischen Ramus cranialis und Ramus caudalis ossis pubis. Aus dieser Fraktur entstehen zwei Fragmente, von denen eines nahe dem Corpus ossis pubis liegt und geringgradig nach kranial verschoben ist, während das andere frei in den Weichteilen liegt und zwischen den beiden Frakturen zentriert ist. Die Konturen der Frakturen sind alle scharf abgegrenzt, was auf ein akutes Trauma hinweist. Die Symphisis pubis scheint leicht nach links lateral verschoben zu sein. Um eine Verschiebung des Beckens zu ermöglichen, sind drei orthogonale Frakturen erforderlich, die auf diesen Röntgenbildern nicht erkennbar sind.
Der rechte Femurkopf ist vollständig aus dem Acetabulum luxiert und nach kranial und dorsal verschoben (blaue Kreise). Die Weichteile des linken Femurs sind geringgradig verdickt. Im linken lateralen Aspekt der abdominalen Wand ist eine minimale Luftansammlung erkennbar. Beidseits sind die Coxofemoralgelenke geringgradig nach außen rotiert, welches eine laterale Positionierung der Patellae verursacht. Im rechten Kniegelenk befindet sich die Patella jedoch in medialer Position (blauer Pfeilkopf). Es ist unklar, ob ob diese traumatisch oder rasse-bedingt entstanden ist und welcher Grad der Patellaluxation vorliegt. Die sichtbaren caudalen abdominalen Organe sind ohne besonderen Befund.
Zusammenfassung
Es handelt sich um eine akute, geschlossene, monostotische, segmentale Fraktur des rechten Os pubis, eine kraniodorsale Luxation des linken Femurs, eine mediale Luxation der rechten Patella und eine geringgradige Weichteilschwellung des linken Oberschenkels.
Es handelt sich um eine akute, geschlossene, monostotische, segmentale Fraktur des rechten Os pubis, eine kraniodorsale Luxation des linken Femurs, eine mediale Luxation der rechten Patella und eine geringgradige Weichteilschwellung des linken Oberschenkels."
Pieter Nelissen ergänzt:
Zu den häufigsten Ursachen einer Hüftgelenksluxation zählen Traumata und eine starke Hüftgelenksdysplasie. Etwa 50 % der Tiere mit einer Hüftgelenkluxation haben ein zusätzliches Trauma des Thoraxes, Abdomens oder/und des Skeletts, worauf diagnostisch präoperativ geachtet werden muss. Die Luxation ist entweder nach dorsokranial (95 %) oder ventrokaudal.
Bei der Versorgung kann sowohl eine geschlossene konservative Therapie als auch eine operative Versorgung versucht werden. Bei der konservativen Methode besteht die Möglichkeit einer gedeckten Reposition, wobei es in 15-71 % der Fälle zu Reluxationen kommt. Die Patienten müssen in den Folgewochen zur Stabilisierung einen Verband (Ehmerschlinge) bzw. ein Vergrittungsgeschirr tragen. Bei massivem Trauma der Weichteile, Resten des Ligamentums rundum oder der Gelenkkapsel im Gelenk, bei dysplastischen Hüftgelenken und Verletzungen, die das Anlegen einer Schlinge unmöglich machen oder Reluxation nach Repositionierung, muss eine offene Reposition des Gelenks durchgeführt werden.
Operativ ist eine Kapselraffung möglich. Da diese Methode aber bei vielen Traumapatienten nicht ausreicht, um eine vollständige Stabilisierung des Gelenks zu erreichen, bzw. häufig nicht genug Kapselmaterial zu Stabilisierung vorhanden ist, wird sie mit anderen Methoden oftmals kombiniert.
Die von Slocum beschriebene „extrakapsuläre Fadenprothese“ (iliofemoraler Faden), welche vom Oberschenkelhals zum Darmbein verläuft, stellt eine mögliche Methode dar. Diese Methode funktioniert ähnlich wie die Ehmerschlinge - fixiert das Gelenk (mit Innenrotation von Oberschenkel) bis es zur periartikulären Fibrosierung der Weichteile und Kapsel kommt. Bei der „Toggle-Pin Stabilisierung“ wird das Oberschenkelkopfband durch eine Kunstfaser ersetzt. Hierzu wird ein Bohrkanal im Femurkopfhals und in der Gelenkspfanne eingebracht und mit einem synthetischen Faden verbunden.
Bei Vorliegen einer hochgradig ausgeprägten Hüftgelenksdysplasie (HD) oder komplizierten, nicht rekonstruierbaren Femurkopf- oder Azetabulumfrakturen, besteht die Möglichkeit einer Totalendoprothese, bei der ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt wird. Auch eine Versorgung mittels Femurkopfhalsresektion ist möglich. Durch Absetzen des Oberschenkelkopfes wird eine Schmerzfreiheit des Patienten erzielt, jedoch bleibt eine mechanische Lahmheit zurück.