KI schafft 35 % mehr Zeit für die wesentlichen Arbeiten in der Praxis

Hubertus Keimer, Julia Henning & Tobias Knopf

Der sogenannte Fachkräftemangel hat auch die Tiermedizin erreicht, da auch hier immer mehr Arbeitnehmer:innen in Teilzeit arbeiten. Immer mehr Praxen kämpfen mit Überlastung, während die Zahl der Patienten in der Vergangenheit stetig gewachsen ist. Das Resultat: weniger Zeit für die wesentliche Arbeit an Tieren und Kund:innen, steigender Druck und sinkende Zufriedenheit – sowohl bei Tierärzt:innen als auch bei ihren Teams und der Klientel.

Die Lösung? Künstliche Intelligenz (KI)! Diese Technologie ist kein Zukunftstraum mehr, sondern eine greifbare Chance, den Praxisalltag spürbar zu erleichtern. Von automatisierter Terminplanung über Unterstützung bei Labordiagnostik und Befundung bis hin zur Reduktion von Administrationsaufwand – KI kann Tierärzt:innen entlasten, ohne sie zu ersetzen. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Sie Praxisprozesse durch KI effizienter gestalten können und dadurch u.a. Ressourcen für die Arbeit am Tier schaffen.

Praxisalltag mit KI neugedacht

Der Alltag in einer Tierarztpraxis ist geprägt von einer Vielzahl an Aufgaben, die weit über das Behandeln von Tieren hinausgehen. Terminvergabe, Kommunikation mit Tierhaltern, Führen von Patientenakten, das Einpflegen von Befunden und andere Arten der Dokumentation, Personalplanung und Warenwirtschaft – all diese Tätigkeiten rauben wertvolle Zeit, die stattdessen für die eigentliche Arbeit am Tier genutzt werden könnte. Und Zeit ist die entscheidende Engstelle im Praxisbetrieb. Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern einen Stundenmangel pro Arbeitskraft in der Praxis (Tierärzte Atlas Deutschland 2024).

Produktivitätsgewinn durch KI

Die Integration von KI in den Praxisalltag bietet enorme Chancen, Zeit und Ressourcen zu sparen, in dem Arbeitsabläufe neu und dadurch auch effizienter gestaltet werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass KI-Kenntnisse zunehmend zur Grundqualifikation auf dem Arbeitsmarkt gehören (Ahmadi et al, 2024). Von über 1.100 Stellenanzeigen, die in der Studie analysiert wurden, forderten bereits 42 % allgemeine Vertrautheit mit Tools wie ChatGPT – vergleichbar mit der früheren Bedeutung von Word und Excel. Auch spezialisierte KI-Fähigkeiten wie Prompt Engineering (16,3 %) oder KI-gestützte Marketingstrategien (14 %) werden immer stärker nachgefragt. Diese Entwicklung betrifft nicht nur IT-Berufe, sondern auch Verwaltung, Sales und sogar rechtliche Berufe – ein klares Zeichen, dass KI-Kenntnisse branchenübergreifend an Bedeutung gewinnen. In der Tiermedizin könnte das bedeuten: Wer sich frühzeitig mit KI-gestützten Praxislösungen vertraut macht, steigert nicht nur die Effizienz, sondern auch seine Wettbewerbsfähigkeit.

Offene Fragen und Herausforderungen

Trotz der genannten Vorteile, die KI mit sich bringen, gibt es auch Herausforderungen, die bedacht werden müssen. Eine der zentralen Fragen ist die nach Sicherheit und Fehlertoleranz der Systeme. Ein weiteres Thema ist die Zertifizierung und Standardisierung von KI-Systemen. Tierärzt:innen müssen darauf vertrauen können, dass die eingesetzte Technologie zuverlässig und den rechtlichen Vorgaben entsprechend geprüft ist, schon allein aufgrund der Haftungsaspekte. Klare Standards helfen, Sicherheit und Qualität zu gewährleisten. Auch die Akzeptanz neuer Technologien spielt eine wichtige Rolle. Viele Tierärzt:innen und Praxisteams stehen KI skeptisch gegenüber, sei es aus Sorge vor Komplexität, Datenschutzverstößen oder wegen ethischer Bedenken. Hier sind Schulungen und praxisorientierte Einführungen entscheidend, um die Vorbehalte abzubauen und den Nutzen von KI greifbar zu machen.

Eine aktuelle Studie zeigt, dass gezielte Schulungen die Produktivität von Mitarbeitenden um 17 % steigern und durchschnittlich 6,3 Stunden pro Woche einsparen können. Trotzdem erreichen KI-Schulungen oft nicht die Bereiche mit dem größten Nutzen. Dies ist auch in der Tiermedizin ein relevanter Punkt: Ohne eine fundierte Einführung und praxisnahe Weiterbildung bleibt das Potenzial von KI ungenutzt. Die Studie macht zudem deutlich, dass ein solides Basiswissen wichtig ist, aber erst maßgeschneiderte Schulungen die größten Effizienzgewinne bringen – 31 % mehr als allgemeine Trainings. Gerade im Hinblick auf den EU AI Act (2025), der ausreichende KI-Kompetenz vorschreibt, sollten Tierarztpraxen frühzeitig in Weiterbildung investieren, um rechtliche Risiken zu minimieren und die Vorteile voll auszuschöpfen (Hasibar & Hemmerich, 2025).

Mehr Zeit für das Wesentliche: Stundenbilanzierung mit und ohne KI

Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass 58 Prozent der Arbeitnehmenden bereits jetzt bis zu fünf Stunden Zeit pro Woche einsparen durch den Einsatz von KI-Tools. Die frei gewordene Zeit nutzen sie, um mehr (41 Prozent) oder neue Aufgaben (39 Prozent) zu erledigen, mit KI zu experimentieren (39 Prozent) oder an strategischen Aufgaben zu arbeiten (38 Prozent). Der Einsatz solcher KI-Tools kann außerdem zu mehr Arbeitszufriedenheit führen, da durch passende KI-Tools ungeliebte, einfache und repetitive Aufgaben wegfallen und man sich dadurch auf anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren kann (Boston Consulting Group, 2024).

Dies ist auf den Praxisalltag übertragbar. Stellen wir uns dazu einmal typische Tätigkeiten einer durchschnittlichen Praxis mit 2 Tierärzt:innen und 2 TFAs an und betrachten zwei Beispiele. Diese Werte sind nicht auf Ihre Praxis übertragbar?

Stellen wir uns dazu einmal typische Tätigkeiten einer durchschnittlichen Praxis mit 2 Tierärzt:innen und 2 TFAs an und betrachten zwei Beispiele!"

Hubertus Keimer, Julia Henning & Tobias Knopf

Probieren Sie es selbst mit Ihrer eigenen Praxisstruktur!

Tragen Sie in der Tabelle Ihren momentanen Zeitbedarf für die einzelnen Prozesse ohne KI ein und vergleichen dann in Summe unten in der Tabelle die eingesparten Stunden pro Mitarbeiter:in. Es ist unschwer zu erkennen, an welcher Stelle KI-gestützte oder digitale Tools im Praxisalltag Zeit einsparen können.

Der KI-gestützte Arbeitsalltag

Ein moderner Praxisalltag kann durch KI-gestützte Systeme erheblich erleichtert werden. Terminplanung und Zeitmanagement profitieren besonders: Ein KI-gestütztes System analysiert verfügbare Zeitfenster und plant Termine so, dass Engpässe vermieden und Arbeitsabläufe optimiert werden. Änderungen oder Absagen werden automatisch verarbeitet, wodurch das Praxisteam spürbar entlastet wird. Die KI erkennt zudem Stoßzeiten und schlägt Vorkehrungen vor, um Überlastungen zu vermeiden.

Kommunikation und Praxisorganisation profitieren ebenfalls von KI. Ein integrierter KI-Messenger dient als zentrale Kommunikationsplattform und unterstützt das Praxisteam durch automatische Erinnerungen, Priorisierungen und Echtzeit-Benachrichtigungen. Das System hilft, Aufgaben effizient zu verteilen und sicherzustellen, dass wichtige Informationen zeitnah bearbeitet werden.

In der Diagnostik und Bilderkennung zeigt KI ihr volles Potenzial. Sie analysiert Röntgenbilder, Ultraschallaufnahmen und andere bildgebende Verfahren, erkennt selbst kleinste Veränderungen, die möglicherweise übersehen würden, und überträgt die Ergebnisse direkt in die Patientenakte. So stehen sie sofort für die weitere Behandlung oder ggf. auch zur Weitergabe zur Verfügung.

Schließlich bietet Telemedizin und Ferndiagnostik gerade in ländlichen Gebieten enorme Vorteile. Während Videogesprächen erfasst die KI relevante Daten, analysiert Symptome und schlägt mögliche Diagnosen vor. Gleichzeitig dokumentiert sie das Gespräch. So wird auch aus der Ferne eine qualitativ hochwertige Betreuung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten gewährleistet.

Auch die Dokumentation und Spracherkennung sind zentrale Anwendungsfelder. Während der Behandlung können Tierärzt:innen ihre Beobachtungen und Diagnosen diktieren, und die KI wandelt diese in Echtzeit in Text um, der direkt in die Patientenakte eingefügt wird. Auch Tierärzt:innen-Briefe erstellt die KI basierend auf den aufgenommenen Notizen – schnell, präzise und zeitsparend; optimalerweise wird dazu vorher ein entsprechendes Muster generiert, das dann stets wiederverwendet wird. Ein KI-gestütztes Praxismanagementsystem entlastet das Team, verbessert die Organisation und sorgt für effizientere Abläufe. Es bietet eine klare Unterstützung im Alltag, ohne die wichtige menschliche Expertise zu ersetzen. Nutzen Sie die Möglichkeiten, um Ihren Praxisalltag smarter und stressfreier zu gestalten.

PRAXISTAUGLICHE TOOLS MIT KI-FUNKTIONEN

Automatisierte Terminplanung

  • Vetstoria: Eine Online-Terminplanungsplattform, die es Tierhalter:innen ermöglicht, rund um die Uhr Termine zu buchen. Sie synchronisiert automatisch mit dem Praxiskalender, reduziert Doppelbuchungen und optimiert die Auslastung.
  • VetNative: Eine umfassende Praxismanagement-Plattform, die eine effiziente Terminverwaltung ermöglicht und so den Praxisalltag erleichtert.
  • Clara: Ein KI-gestützter Assistent, der per E-Mail in natürlicher Sprache kommuniziert, um Besprechungstermine zu koordinieren, nachzuverfolgen und sie Ihrem Kalender hinzuzufügen.
  • Sidekick AI: Nutzt fortschrittliche Sprachverarbeitung und KI-Algorithmen, um Besprechungstermine effektiv zu optimieren. Es bietet mehrere Planungsoptionen wie Sidekick Scheduling, Forward to Schedule und Scheduling Page, mit denen Benutzer Besprechungszeiten festlegen, Besprechungslinks per E-Mail senden und maßgeschneiderte, gemeinsam nutzbare Webseiten für Besprechungen erstellen können.

Vorsortierung von E-Mails

  • Zoho Mail: Bietet intelligente Filter und KI-gestützte Priorisierung, um wichtige E-Mails hervorzuheben und weniger dringende Nachrichten zu filtern, was die Effizienz in der Kommunikation erhöht.
  • VetPraxis: Bietet ein intuitives digitales Praxismanagement mit strukturierten Patientenakten und umfassenden Dokumentationsmöglichkeiten, was die Kommunikation und Organisation verbessert.
  • SaneBox: Nutzt KI, um E-Mails basierend auf Ihrem bisherigen Verhalten zu sortieren und zu priorisieren, wodurch der Posteingang effizienter verwaltet wird.
  • SalesHandy: Eine leistungsstarke KI-basierte E-Mail-Management-Plattform, die besonders effektiv für Vertriebsteams, digitale Vermarkter und Startups ist. Sie konzentriert sich stark auf E-Mail-Kontaktaufnahme und -Analysen, ermöglicht hyperpersonalisierte E-Mail-Kampagnen und Follow-ups, und fördert sinnvolle und zielgerichtete Interaktionen mit potenziellen Kund:innen.

Spracherkennung und Dokumentation

  • VetMeta: Eine innovative Software, die es Tierärzt:innen ermöglicht, klinische Behandlungsnotizen durch einfache Audioaufnahmen in präzise Dokumentationen umzuwandeln, wodurch der administrative Aufwand reduziert wird.
  • Talkatoo: Eine Spracherkennungssoftware, die speziell für Tierärzt:innen entwickelt wurde. Sie ermöglicht es, medizinische Notizen durch Diktieren schnell und präzise zu erstellen, was den Dokumentationsprozess beschleunigt.
  • Missive: Eine E-Mail-App, die durch Integration mit OpenAI schnelle E-Mail-Erstellung und -Antworten ermöglicht, unterstützt durch fortschrittliche Spracherkennung.
  • Instaminutes: Ein KI-Meeting-Intelligenz-Tool, das Besprechungen zusammenfasst und es Benutzer:innen ermöglicht, wichtige Punkte mühelos zu extrahieren. Es hilft, Besprechungsnotizen effizient zu organisieren und zu teilen.

Telemedizinische Betreuung

  • TeleVet: Eine Plattform, die es Tierärzt:innen ermöglicht, virtuelle Konsultationen durchzuführen, medizinische Ratschläge zu geben und Nachsorgetermine online abzuhalten.
  • Sina: Eine KI-basierte Assistentin, die Praxisabläufe digitalisiert und die Kommunikation mit Kund:innen durch eine App oder Webseite erleichtert.
  • Fireflies: Ein KI-Meeting-Assistent, der Meetings aufzeichnet, transkribiert und wichtige Informationen extrahiert, was für telemedizinische Konsultationen nützlich sein können.
  • Clockwise: Ein KI-Kalender- und Planungsassistent, der Kalender optimiert und die Produktivität steigert. Er hilft, den idealen Zeitpunkt für Besprechungen, Aufgaben, Routinen und Pausen zu bestimmen.

Bilderkennung zur Diagnostik

  • SignalPET: Nutzt KI, um Röntgenbilder zu analysieren und sofortige Ergebnisse zu liefern. Es erkennt über 50 häufige Befunde und unterstützt Tierärzt:innen bei der schnellen und präzisen Diagnosestellung.
  • dicomPACS®vet: Ein professionelles digitales Bildmanagementsystem, das Akquisition, Befundung, Transfer und Archivierung von Bildmaterial ermöglicht und in alle gängigen Praxis-Verwaltungssysteme integriert werden kann
  • Motion: Ein KI-gestütztes Zeitmanagement-Tool, das Kalender, Meetings, Projekte und Aufgaben verbindet und KI nutzt, um individuelle und Teampläne zu erstellen.

Zukunft der KI in der Tiermedizin

Die Entwicklung von KI-Technologien schreitet rasch voran und wird die Tiermedizin in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Präzisere Diagnostik durch KI wird es ermöglichen, noch detailliertere Analysen von Röntgenbildern, Ultraschallaufnahmen und anderen diagnostischen Verfahren durchzuführen. Diese Technologien könnten in Zukunft nicht nur häufige, sondern auch seltene Erkrankungen schneller erkennen und die Behandlungsqualität weiter verbessern. Auch automatisierte Entscheidungsunterstützung wird eine zentrale Rolle spielen. KI-Systeme können fundierte Behandlungsvorschläge machen, basierend auf umfassenden Datenbanken und der Analyse früherer Fälle. Diese Unterstützung erleichtert die Entscheidungsfindung, ohne die wichtige menschliche Expertise zu ersetzen. Zukünftige KI-Systeme könnten zudem personalisierte Behandlungsansätze ermöglichen. Auf Basis der individuellen Patientenhistorie können maßgeschneiderte Behandlungsempfehlungen erstellt werden. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für eine individuellere Versorgung und eine höhere Erfolgsquote bei der Behandlung. Ein weiterer spannender Bereich ist die KI-gestützte Weiterbildung. Die Integration von KI in Lernplattformen wird personalisierte Weiterbildungsangebote für Tierärzt:innen ermöglichen. Interaktive Simulationen und praxisnahe Szenarien könnten helfen, die Fähigkeiten kontinuierlich zu erweitern und auf dem neuesten Stand zu halten.

FAZIT

Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um die ersten, einfachen Schritte zu gehen. Beginnen Sie mit kleinen Veränderungen, wie der Nutzung von generativer KI zur Spracherkennung und Dokumentation. Erweitern Sie dann schrittweise den Einsatz von KI in Ihrer Praxis. Nutzen Sie die Chancen, die diese Technologien bieten, um Ihren Praxisalltag zu entlasten und die Qualität Ihrer tierärztlichen Arbeit weiter zu steigern.

Quellen

  • Ahmadi, M., Kheslat, N. K., & Akintomide, A. (2024). Generative AI Impact on Labor Market: Analyzing ChatGPT's Demand in Job Advertisements. arXiv preprint arXiv:2412.07042.
  • Boston Consulting Group. (2024, 27. Juni). Arbeitnehmende sparen fünf Arbeitsstunden pro Woche durch Künstliche Intelligenz. https://www.bcg.com/press/27june2024-arbeitnehmende-sparen-funf-arbeitsstunden-pro-woche-durch-kunstliche-intelligenz
  • Held, J., Henning, J., Keimer, H. (2024). Tierärzte Atlas Deutschland 2024. www.tieraerzteatlas.de
  • Hasibar, F., & Hemmerich, F. (2025). State of AI Upskilling 2025: Warum Unternehmen Potenziale ihrer Mitarbeitenden durch unzureichende Schulungen nicht ausschöpfen. Mytalents GmbH.