Eine Zahnspange für Indiana

Indiana, ein sechs Monate alter Deutscher Schäferhundrüde, wurde uns mit einer Zahnfehlstellung vorgestellt (Abb. 1). Bei der Untersuchung durch die Haustierärztin war aufgefallen, dass „Indi“ ein Problem mit den unteren Eckzähnen hatte. Die unteren Eckzähne lagen teilweise hinter den oberen Eckzähnen und drückten sich in den Gaumen ein, was für Indi sehr unangenehm war. Die Haustierärztin überwies Indi deshalb für eine kieferorthopädische Behandlung an unsere Fachpraxis für Tierzahnheilkunde.

Caninus-Engstand mit mesialer Überdeckung

Bei der kieferorthopädischen Untersuchung zeigte sich, dass bei Indi ein sog. Caninus-Engstand mit mesialer Überdeckung vorlag (Abbildung 2). Derartige Fehlstellungen der unteren Canini (Fangzähne) sind nicht nur unangenehm bzw. schmerzhaft, sondern sie behindern auch einen korrekten Biss, d.h. sie verursachen eine Störung der Okklusion.

In den Einbissen im Oberkiefer kommt es in der Regel zu Entzündungen und/oder Drucknekrosen (Abb. 3). Im Extremfall können die Einbisse sehr tief sein. Es sammeln sich Futterpartikel in den Vertiefungen, die mechanisch bedingte Entzündungen infolge bakterieller Infektionen verschlimmern können. Außerdem kann ein Caninusengstand nicht nur ernsthafte Gaumenverletzungen, sondern auch Schäden an den Nachbarzähnen verursachen.

Ursachen für Engstand der unteren Canini

Eine Fehlstellung bzw. ein Engstand der unteren Canini mit mesialer Überdeckung durch die oberen Eckzähne kann verschiedene Ursachen haben. In manchen Fällen ist die Grundursache eine Kieferfehlstellung, meist eine Brachygnathia inferioris (Überbiss). Bei normaler Kieferstellung können auch schon einmal persistierende Milchzähne zu einem Caninusengstand führen, da der normale Platz der bleibenden Canini durch die Milchcanini beansprucht wird, der bleibende Caninus daher nach vorn verlagert wird. In dieser Position wird er häufig durch den unteren Caninus verdeckt und kann sich somit nicht wie sonst in die Lücke zwischen 3. Schneidezahn und oberem Caninus positionieren (lateralisieren), sondern bleibt quasi in der engen Position „gefangen“.

Bei einigen Rassen (z.B. dem Schnauzer) kommt allerdings auch ein echter Caninus-Steilstand mit normaler Kieferstellung mit oder auch ohne Überdeckung vor. In diesem Fall haben die unteren Canini keine normale Tendenz, sich zu lateralisieren, obwohl häufig ausreichend Platz im Gebiss hierfür vorhanden ist, und es kommt – genau wie bei einem Caninusengstand mit mesialer Überdeckung – zu einem Einbiss in den Oberkiefer. Diese Unterscheidung kann für die Therapie von Bedeutung sein.

Für die kieferorthopädische Korrektur sind mehrere Methoden/Techniken beschrieben worden, von verschiedenen, fest verankerten Aufbissplatten aus unterschiedlichen Materialien bis zu Anwendung von Brackets und Gummi-Ligaturen in Kombination mit einer Dehnschraube. Erst kürzlich wurde eine neue zusätzliche Therapieoption beschrieben, bei der ein sog. „Memorydraht“ aus einer Titan-Molybdän-Legierung verwendet wird, der die Zungenbewegung weniger stört als eine Dehnschraube. Dabei werden die Eckzähne durch den aktivierten Draht bewegt.
 
Alle Appaturen dienen dazu, die fehlgestellten Canini zu lateralisieren, und somit eine normale Zahnstellung ohne Kontakt zu weichen Geweben oder Nachbarzähnen zu erzielen. Eines der Probleme mit einigen dieser Apparaturen, ganz besonders bei den Aufbissplatten, ist die hygienische Situation. Sehr häufig fangen sich Futterreste in den Apparaturen, unter einer Aufbissplatte kommt es regulär zu einer oft hochgradigen, schmerzhaften und zudem übel riechenden Inflammation.

Brackets & „Power Chain“

In Indis Fall entschieden wir uns deshalb für eine Korrektur mittels Brackets in Verbindung mit einer sogenannten „Power Chain“, die die beiden oberen Eckzähne in die korrekte Position bringen sollten (Titelbild). Ziel war das Schaffen von Platz für eine Lateralisierung der unteren Canini. Es wurde zunächst parallel keine Dehnschraube eingesetzt, da unserer Erfahrung nach die unteren Canini häufig in relativ kurzer Zeit eigenständig lateralisieren, sobald Platz dafür geschaffen wurde.

Indi bekam zunächst für die ersten Tage einen Halskragen, da er sehr lebhaft war, er gewöhnte sich aber sehr rasch an seine „Zahnspange“.  Im weiteren Verlauf wurde die Power Chain regelmäßig gewechselt und neu verspannt. Nach ca. 3 1/2 Wochen waren alle Zähne in Normalposition, und die Brackets konnten entfernt werden (Abb. 4).