Trennungsangst beim Hund - warum Standardtherapien oft nicht helfen!

Cakil, die zierliche Jack Russel Terrier Hündin (kastriert, 3 Jahre alt) wurde in der Türkei mit sieben Wochen in einem Petshop aus Mitleid gekauft. Den Besitzern war sehr wohl bewusst, dass man derartigen Spontan-Käufen widerstehen sollte, aber "Cakil war einfach zu süß". Das kinderlose Paar lebte zunächst in der Türkei in einem Mehrfamilienhaushalt mit vier Generationen. Cakil war der Familienliebling, immer war jemand bei dem Hund, der nie allein bleiben musste. Nach dem berufsbedingten Umzug des kinderlosen Paares nach München in ein Apartment stellten sich die ersten Probleme ein: Cakil wollte nicht ohne die Besitzer bleiben - sie bellte und winselte, sobald man sie alleine ließ.

Die erste Anlaufstelle war eine Hundeschule. Hier wurde ein Plan erstellt, nach dem die Besitzer den Hund schrittweise alleine lassen sollten und auch das Procedere beim Vorbereiten zum Verlassen der Wohnung sollte als Desensibilisierung ca. 10 - 20 Mal pro Tag für den Hund „gespielt“ werden, ohne dass Cakil danach wirklich allein bleiben musste. Leider halfen diese Maßnahmen wenig bis gar nicht.

„Trennungsangsthunde“ sind laut ihrer Besitzer häufig die besten Hunde der Welt.

Sie sind sensibel, leben mit den Besitzern in einer sehr engen Beziehung, haben draußen oft einen geringen Aktionsradius, laufen nicht weit weg und zeigen nicht selten die Fähigkeit, „ihren Menschen“ jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie sind also perfekt - bis auf die Zeit, in der sie allein zu Hause sind.

Die SRD-Therapie ist mehr als die schrittweise Gewöhnung ans Alleinsein. Nach der Beziehungsanalyse zwischen Mensch und Hund muss dem Tierbesitzer bewusst gemacht werden, welche Mechanismen zu der übergroßen Abhängigkeit und fehlender Entspannung führen."

Dr. Astrid Schubert, Tiergesundheitszentrum München

Kaffeeautomat für den Hund

Fragt man Besitzer eines solchen Hundes, ob sie der Meinung sind, dass der Hund sie manipuliert, sind sie sehr häufig sogar überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. Aber allein das Verhalten der Tiere in meiner Praxis während einer Therapiestunde belehrt eines Besseren: Hier wird auf jedes Winseln mit Augenkontakt reagiert, jede Annäherung wird mit einer Berührung quittiert und weitere Aufforderungen auch mit ganzen Sätzen beantwortet. Man kommuniziert. Man ist in Verbindung. Und keiner merkt, dass man sich mittlerweile zum Kaffeeautomaten für den Hund gemacht hat. Was immer gedrückt wird – Latte Macchiato, Espresso oder Cappuccino – der liebende Besitzer spuckt es aus.

Das macht Spaß, das ist unterhaltend und es kaschiert das eigentliche Problem: Nämlich, dass viele Hund in der Wohnung aber auch anderswo gar nicht entspannen können. Sie schlafen nicht fest, sondern dösen. Denn viel zu groß ist die Gefahr, dass man ja evtl. etwas verpassen könnte. So werden auch die üblichen 16-18 Stunden Schlafpensum eines Hundes oft unterschritten. Richtig schlafen kann Hund erst, wenn er mit den Füßen, den Rücken oder dem Kopf auf bzw. an dem Körper seines Menschen liegt.

Aber Schlafmangel macht nervös. Das ist bei Mensch und Hund gleich. Die Reizschwelle für Verhaltensprobleme sinkt. Richtig lange schlafen können viele Hunde erst, wenn auch ihr Besitzer im „Stand-by“-Modus ist, sprich selbst schläft. Dann kann man ja loslassen, denn jetzt passiert nix und man verpasst auch nix. „Kontakt-Junkies“ nennt man diese Hunde. Und in der Tat sind es die gleichen Bereiche im Gehirn des Hundes, die „funken“ und gefühltes Leid erzeugen: Beim Patient Hund, wenn er allein gelassen wird, beim Süchtigen, wenn er auf Entzug ist. Wenn also der Mensch, die Nähe, die Aufmerksamkeit, das Berühren und Angesprochen-werden die Droge ist, dann ist es doch ein kalter Entzug, wenn man dann einfach die Wohnung verlässt. Kein Wunder also, dass diese zeitraubenden Methoden nicht nur sehr anstrengend für die Besitzer sind, sondern auch selten zum Erfolg führen.

Die Lösung!

Bevor der Patient allein gelassen werden kann, muss erst einmal gelernt werden, dass „für sich sein“ nichts Schlimmes ist. Dazu gehört die körperliche, aber vordem auch die emotionale Trennung. Und das erfordert vor allem vom Besitzer große Disziplin. Eine Hilfe bietet dabei ein Time-out-Signal. Wir benutzen in unserer Therapie Kinderregenschirme. Steht der Schirm aufgespannt in der Mitte des Raumes gibt es offiziell für alle Mitglieder der Familie keinen Hund mehr. Dabei hilft der Satz „Ignorieren sie jetzt Ihren Hund“ nur bedingt. Da wird immer noch geschaut, Augenkontakt hergestellt und natürlich auch kommuniziert. Und das mit einem Tier, dass gerade in punkto „kommunizieren mit Blickkontakt“ ein Profi ist! Es ist also wichtig mit den Besitzern zu üben, was ignorieren wirklich heißt.

Ist diese Basis der Therapie erst einmal fundiert und stabil, kann man den nächsten Schritt gehen. Cakil wurde nun im Wohnzimmer von den Besitzern getrennt. Durch das Kindergitter besteht weiterhin eine visuelle, akustische und auch olfaktorische Verbindung, aber die Nähe zum Besitzer kann nicht mehr vom Hund bestimmt werden.

Cakil lernte schnell, sich auch bei diesem Therapie-Schritt zu entspannen und abzuschalten, „weil eh nix ging“. Und nachdem die damit verbundene Trennung ohne weitere Probleme akzeptiert wurde, konnte sich die Zimmertüre schließen. Erst jetzt konnten die Besitzer in kleinen Schritten das Haus verlassen und den Hund an das Alleinsein gewöhnen.

Natürlich ist jeder Hund anders. Keine Therapie gegen Trennungsangst läuft gleich. Nicht umsonst ist der Begriff „Seperation Anxiety“ aus den Fachbegriffen gestrichen und durch Seperation related distress (SRD ) ersetzt worden. Es gibt Trennungsangst, aber es gibt auch Trennungsfrust, Trennungswut und nicht zuletzt auch Trennungsspaß, wenn der Hund endlich alles machen kann, was sonst verboten ist.

Dies zu unterscheiden und die passende Therapie auszuwählen, braucht die richtige Auswahl aus der Therapie-„Toolbox“ und eine zeitintensive Aufnahme der Anamnese. Mal eben während der Erstuntersuchung eines Hundes ein paar Tipps geben, wird selten Erfolg versprechen. Medikamente zur Unterstützung - von Phytopharmaka bis zur Zoopsychiatrie - gibt es viele. Aber auch hier braucht es einige Stunden des Kennenlernens dieses Hund-und Besitzer-Systems, um eine richtige Entscheidung zu fällen.