Geräuschangst beim Hund - Nach Silvester ist vor Silvester!
Die Geräuschangst beim Hund – gerade zu Silvester - ist weit verbreitet. Auch Hunde, welche jahrelang bei Feuerwerken unauffällig waren, können im Alter eine Angst vor der Silvesterknallerei entwickeln. Dafür gibt es kurzfristige Methoden, um das Angstverhalten Ihres Hundes zu verbessern (siehe Artikel „Angst vor Silvester - akutes Stressmanagement beim Hund“, 12/2018). Aber auch langfristig kann betroffenen Hunden geholfen werden. Dazu gibt es Trainingsmethoden, welche mit den Begriffen „Desensibilisierung und Gegenkonditionierung“ gekennzeichnet sind. Aber was genau verbirgt sich dahinter, wie wende ich diese Trainingsmethoden an und was ist der Schlüssel zum Erfolg?
Desensibilisierung und Gegenkonditionierung - Was verbirgt sich dahinter?
Desensibilisierung und Gegenkonditionierung sind zwei unterschiedliche Techniken zur Verhaltensmodifikation, welche unerwünschtes Verhalten verbessern können. Da beide Techniken verschiedene Trainingsansätze verfolgen und gemeinsam oftmals die größten Erfolge erzielen, werden sie häufig in Kombination zusammen eingesetzt.
Die Desensibilisierung ist eine Trainingsmethode, welche durch graduelle Konfrontation mit dem Stimulus (z. B. Feuerwerk), auf den zunächst die unerwünschte Reaktion folgt (z. B. Angst) eine Gewöhnung an den jeweiligen Stressor erzielen soll. Dabei muss die Intensität des Stimulus so gering gewählt werden, dass die unerwünschte Reaktion nicht ausgelöst wird. Nach und nach wird der Schwellenwert des Tieres in kleinen Schritten erhöht, bis das Problemverhalten schließlich gänzlich ausbleibt. „Der Hund hat sich dran gewöhnt“. Bei der Gegenkonditionierung wird eine neue Reaktion (z. B. Sitzen bleiben), welche physiologisch und verhaltenstechnisch nicht kompatibel mit dem unerwünschten Verhalten (z. B. Wegrennen) ist, auf jenen Reiz (z. B. Knallgeräusch) aufkonditioniert, der ein unerwünschtes Verhalten (Angst) auslöst. „Der Hund hat seine negative Einstellung geändert“.
Desensibilisierung - Was ist wichtig?
Um die Desensibilisierung erfolgreich zu gestalten, ist es wichtig, den problematischen Stimulus genau zu erfassen und die ersten Stress-Symptome des Tieres sofort wahrzunehmen. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Ist es tatsächlich der Knall, der das Tier ängstigt oder sind es die „Heuler“? Ist es vielleicht das Lichtspiel oder der Geruch der Feuerwerkskörper? Hat der Hund überall Angst vor dem Feuerwerk oder nur wenn er zu Hause ist? Als Hilfe zur Desensibilisierung gibt es eine Vielzahl von Audio-CDs, welche diverse Geräusche reproduzieren. Allerdings reagieren manche Tiere nicht auf diese künstlichen Stimuli, da ggf. der tatsächliche Angstauslöser fehlt (z. B. der Geruch) oder die künstliche Töne doch anders klingen, als die eigentlichen Auslöser. Ist der wahre Auslöser erfasst, sollte man auf die richtige Intensität des dargebotenen Stimulus achten. Beim Beginn der Desensibilisierung, wird nun das Tier mit dem Stimulus konfrontiert, welcher das unerwünschte Verhalten auslöst. Allerdings sollte man mit dem niedrigsten Reizniveau beginnen, bei dem das Tier noch keinerlei Stress-Anzeichen * (siehe Übersicht am Ende dieses Artikels) zeigt. Angelehnt an den oben erwähnten Beispielen sollte z. B. der Ton des Feuerwerks so leise sein, dass der Hund diesen zwar wahrnimmt, aber weder unruhig wird, noch andere Stress- Symptome (z.B. Beschwichtigungsverhalten) zeigt (Abb. 1-3).
In kleinsten Schritten wird nun langsam die Intensität des Stimulus erhöht. Dies sollte aber nur unter kontrollierten Bedingungen und über mehrere Sitzungen geschehen. Wichtig dabei ist, dass Spektrum, Intensität und Dauer des Geräusches langsam erweitert werden und das Tier dabei entspannt bleibt. Zeigt es Stress-Verhalten, war die Intensität zu hoch oder die Zeit der Gewöhnung zu kurz. In diesem Fall, muss wieder ein Schritt zurückgegangen und von dort aus erneut begonnen werden (Abb. 1-3). Häufige, kurze Trainingssessions führen in der Regel schneller zum Erfolg, als wenige lange Übungszeiten. Auch wenn dieses langsame Voranschreiten für viele Besitzer frustrierend ist, bringt die Kontinuität dennoch den Erfolg.
Gegenkonditionierung – Worauf muss geachtet werden?
Die Gegenkonditionierung bezeichnet eine Trainingsmethode zur Verhaltensänderung anhand von Nichtbestätigung eines unerwünschten Verhaltens (Angst), bei gleichzeitiger Bestärkung des erwünschten Verhaltens (Ruhigbleiben) durch wiederholte Kopplung mit einer Belohung (Leckerli/Spiel). Hierbei muss jedes Mal das unangenehme Geräusch mit einer Belohnung kombiniert und darf nicht ohne die Belohnung präsentiert werden. Durch die Assoziation des auslösenden Stimulus mit einer zeitgleichen Belohnung erfolgt bestenfalls ein Wechsel von negativen Empfindungen (z. B. Angst) hin zu einer positiven Erfahrung (Leckerli, Spiel, etc.). Ziel dabei ist, dass der Stimulus (z. B. Feuerwerk), welcher zuvor das ungewünschte Verhalten verursacht hat (Angst), nun das gewünschte Verhalten hervorruft (z. B. Ruhigbleiben). Dadurch wird ein unerwünschte Stimmung (Stress) durch ein gewünschtes Verhalten (z.B. Gelassenheit) ersetzt und das Negative (Knallgeräusche) in etwas Positives (Belohnung) umgekehrt. Welche Belohnung verwendet wird, muss individuell vom Tier abhängig gemacht werden und dessen Vorlieben berücksichtigen. Es sollte in jedem Falle eine hohe Motivation dafür bestehen (Lieblingsspielzeug, besondere Leckerli). Bei adipösen Tieren sollte die Anzahl der Kalorien von der normalen Tagesration abgezogen werden. Außerdem reichen sehr kleine Stücke als Belohnung aus, damit die Tiere nicht zu schnell satt werden und die Motivation damit sinkt.
Wenn Sie einen Hund mit Geräuschangst haben, fangen Sie am besten heute schon mit dem Training an. So haben Sie und Ihr Hund genügend Zeit für die Trainingsmaßnahmen, um auch langfristig gemeinsam hoffentlich noch viele schöne Silvester zu verbringen."
Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Training
1. Genau hinschauen!
Um jedoch bestmögliche Erfolge zu erzielen, ist es wichtig, dass die jeweilige Trainingsmethode ganz gezielt auf jeden einzelnen Hund zugeschnitten wird. Dafür müssen die Einzelheiten der Geräuschangst sehr detailliert beobachtet werden. Dazu gehören die Art, Dauer und Intensität des verursachenden Geräusches und wo die Reizschwelle des Tieres liegt. Dazu kommen die Vorlieben des Hundes, die Dauer und Häufigkeit der Trainingseinheiten und die Möglichkeiten der Durchführung.
2. Stressanzeichen frühzeitig wahrnehmen!
Besonders bei ängstlichem Verhalten ist es wichtig, unterhalb der Angst auslösenden Reizschwelle zu beginnen. Viele Besitzer erkennen jedoch die ersten Stressanzeichen Ihrer Tiere gar nicht. Zum Beispiel wird Hecheln oder Gähnen nicht von jedem Besitzer als Stressreaktion wahrgenommen (siehe Übersicht Stressanzeichen am Ende des Artikels). Unterschiede in den Haltungsbedingungen (z. B. bei Zwingerhaltung) oder auch rassespezifische Unterschiede machen das Erkennen einer akuten Stressreaktion für manche Besitzer noch schwieriger. Bei langhaarigen Hunderassen wie z. B. Bobtails könnten Stressanzeichen wie Aufstellen der Haare („Bürste“) oder geweitete Pupillen übersehen werden.
3. Geduld, Geduld, Geduld!
Die Geschwindigkeit des Voranschreitens sollte an das individuelle Lerntempo des jeweiligen Hundes und nicht an die eigene Ungeduld angepasst werden. Erfahrungsgemäß ist der häufigste Fehler der Besitzer ein zu schnelles Voranschreiten während der Trainingseinheiten (Abb.1-3). Ein realistischer Zeitplan für die Zielsetzung kann hier hilfreich sein. Dies kann auch durchaus mehrere Monate in Anspruch nehmen.
4. Alle Bezugspersonen mit einbeziehen!
Das Einbeziehen aller Bezugspersonen ist ein wichtiger Punkt, der unbedingt berücksichtigt werden sollte. Nicht selten wird bei der Erhebung einer Anamnese beim Tierarzt ein Pärchen zum Krankheitsbild ihres Tieres gefragt und zeitgleich der eine „ja“ sagt, während der andere vehement mit dem Kopf schüttelt. Ebenso verhält es sich oft bei unterschiedlichen Personen im Verhalten gegenüber dem eigenen Hund. Daher ist es wichtig, dass alle Bezugspersonen „an einem Strang ziehen“. Nur wenn sich alle Bezugspersonen beim Training gleich verhalten, kann das Tier am schnellsten lernen.
5. Hilfe suchen!
Erfahrungsgemäß ist es oftmals so, dass Hundebesitzer mit einer hohen Motivation neue Trainingsmethoden starten, aber zu Hause aufgrund von Rückschlägen, Zeitmangel oder Schwierigkeiten mit der Umsetzung die Motivation wieder schwindet und der Erfolg des Trainings geschmälert wird. Daher sollte der Hundebesitzer nicht alleine trainieren, sondern sich Gleichgesinnte, Hundetrainer oder bestenfalls tierärztliche Verhaltenstherapeuten zur Hilfe dazu nehmen. Ein zusätzlicher Vorteil ist auch, dass sich die Besitzer untereinander kontrollieren und korrigieren können, da von außen betrachtet Fehler schneller erkennbar sind. Eine Liste mit tierärztlichen Verhaltenstherapeuten in ganz Deutschland findet man auf der Homepage der Gesellschaft für Tierverhaltensmedizin und –therapie.
Prognose
Die Prognose hängt von vielen Faktoren ab: Dauer und Intensität spielen eine wichtige Rolle. Je länger die Problematik schon besteht und je stärker die Symptome der Geräuschangst sind, desto vorsichtiger die Prognose. Eine genetische Disposition von Geräuschangst oder das Vorhandensein eine posttraumatischen-Belastungsstörung macht die Prognose ebenfalls ungünstiger. Die Prognose steht und fällt jedoch auch oftmals mit dem Engagement, der Bereitschaft und den Fähigkeiten der Besitzer, diese Trainingsmethoden auch erfolgreich durchzuführen. Viele Hundebesitzer sehen zwar die Problematik der Geräuschangst, haben aber nicht den Wunsch tatsächlich etwas daran zu verändern. Andere möchten das Verhalten vielleicht ändern, haben aber weder die Zeit noch die Geduld dazu, dies wirklich zu konsequent durchzuführen. Bei beiden Fällen ist die Prognose ebenfalls als vorsichtig zu betrachten.
NACH Silvester ist VOR Silvester!
Wenn Sie einen Hund mit Geräuschangst haben, fangen Sie am besten heute schon mit dem Training an. So haben Sie und Ihr Hund genügend Zeit für die Trainingsmaßnahmen, um auch langfristig gemeinsam hoffentlich noch viele schöne Silvester zu verbringen.
* Übersicht von Stressanzeichen beim Hund (alphabetisch):
· Angelegte Ohren
· Aufmerksamkeitsforderndes Verhalten (z. B. Stupsen des Besitzers)
· Auf- und Ablaufen
· Defensive Aggression
· Demutshaltung (z. B. auf den Rücken legen, Lippen lecken)
· Entleerung der Analdrüsen · Eingezogener Schwanz · Erstarren
· Exzessive Aktivitäten (z. B. Buddeln)
· Flucht
· Geweitete Pupillen
· Haarverlust (akut)
· Hecheln
· Kontakt suchen (zu Menschen, anderen Tieren)
· Schwanzwedeln (nervös)
· Speicheln
· Transpiration (feuchte Pfoten)
· Urin- und Kotabsatz
· Übersprungshandlungen (z. B. sich Kratzen, Gähnen)
· Vermeidung des Reizes, Ausweichen
· Verstecken
· Vokalisation (Jaulen, Bellen)
· Zittern
Conflict of interest: Hiermit erklärt die Autorin, dass sie keine geschützten, finanziellen, beruflichen oder anderen persönlichen Interessen hat, welche die im Manuskript dargestellten Inhalte oder Meinungen beeinflussen könnten.