Alle Jahre wieder: "Hundepanik zum Jahreswechsel!"

Für viele geräuschempfindliche und ängstliche Hunde - und damit auch für ihre Besitzer - ist die Knallerei zu Silvester der schreckliche Höhepunkt des Jahres. Hunde mit einer Geräuschphobie beginnen schon beim ersten verdächtigen Lärm mit Angstsymptomen: hecheln, winseln, hektisch herumlaufen und flüchten, sie verstecken sich oder suchen intensiven Kontakt zum Menschen. Manche Hunde versuchen Löcher in Sofas zu graben oder springen in ihrer Panik sogar durch geschlossene Fenster.

Pathogenese - Entstehung und Entwicklung
Die pathologische Angst vor Feuerwerken oder Gewittern ist teilweise genetisch bedingt, wird aber sehr oft durch eine reizarme Umwelt während der Sozialisationsphase begünstigt. Auch traumatische Erlebnisse – vor allem rund um die Pubertät oder den ersten Lebensjahren - sind häufig Auslöser für eine manifeste Geräuschphobie. Betroffen sind auch alte Hunde: Da Angststörungen im fortgeschrittenen Alter intensiver werden können, verschlechtern sich entsprechend auch bisher milde Geräuschphobien jedes Jahr – es sei denn der Hund wird schwerhörig oder taub.

Drei wesentliche Mechanismen tragen zur Pathogenese von Phobien bei:

Sensibilisierung: Die Reaktion des Hundes auf den gleichen ungefährlichen Reiz wird anstatt einer Gewöhnung immer intensiver.

Generalisierung: Dieser Prozess ermöglicht die Assoziation mehrerer ähnlicher Reize mit der gleichen Angstreaktion. Die auslösenden Reize werden immer mehr – von der ursprünglichen Angst vor Feuerwerk und Schüssen weitet sich die Phobie auf Gewitter, zuschlagende Autotüren und Mülltonnendeckel bis zum Kugelschreiberknipsen aus. Auch die Kontextfaktoren rund um die Geräusche werden schließlich Auslöser: Dämmerung und Dunkelheit, Gerüche, bestimmte Orte.

Antizipation: Die Phobie führt zu einer gesteigerten Wachsamkeit (Hypervigilanz), und der Hund beginnt schon alle möglichen Ereignisse vorauszuahnen und im Hinblick auf die Angst zu vermeiden. Diese Mechanismen führen dazu, dass sich aus einer einfachen Phobie letztendlich eine generalisierte Angststörung entwickelt. Jetzt ist nicht mehr eindeutig definierbar, wovor der Hund eigentlich Angst hat, weil die Reize so vielfältig sind und die grundlegende Stimmung Ängstlichkeit ein Dauerzustand ist.

Ignorieren oder nicht?

Zuweilen wird empfohlen, seinen angsterfüllten Hund in dieser Situation zu ignorieren – das ist aber nur sehr schwer möglich, wenn er gerade dabei ist, sich selbst oder die Wohnungseinrichtung massiv zu beschädigen. Abgesehen davon ist es auch für den Besitzer eine emotional unerträgliche Forderung, seinem leidenden Hund einfach die kalte Schulter zu zeigen. Von keiner Mutter wäre so eine Reaktion gegenüber ihrem Kleinkind zu fordern – und Hunde nehmen oft eine vergleichbare emotionale Position für den Menschen ein. Hunde können allerdings wortreiche, intensiv besorgte Tröstungsversuche dahingehend interpretieren, dass man sich tatsächlich in einer dramatischen Lage befindet, wenn sogar sein sonst so normaler Sozialpartner Mensch gänzlich aufgelöst ist.

Wenn der Hund den Körperkontakt zum Menschen sucht, wird er selbstverständlich nicht zurückgewiesen, aber auch nicht mit großem Aufwand beruhigt. Am besten versteht er, dass alles in Ordnung ist, wenn jeder in der Familie das tut, was er immer tut, Spaß hat und gelassen bleibt. Hunde sind sehr gute Beobachter und orientieren sich an dem was andere – weisere – in der Gruppe machen. Hunde mit einer ausgeprägten Phobie können jedoch ihre Umwelt nicht mehr klar wahrnehmen (denn sonst könnten sie auch die reale Ungefährlichkeit des Lärms erkennen und hätten keine Phobie) und sind auch nicht mehr wirklich gut ansprechbar.

Hunde mit einer ausgeprägten Phobie können ihre Umwelt nicht mehr klar wahrnehmen und sind auch nicht mehr wirklich gut ansprechbar."

Diplom-Tierärztin Sabine Schroll, Krems (Österreich)

Behandlungsmöglichkeiten

Die Motivation von Hundebesitzern, bei selten auftretenden Phobien eine langwierige Desensibilisierung und Gegenkonditionierung durchzuführen, ist eher gering. Also stehen sehr viele von ihnen am 31. Dezember auf der Matte und wollen eine Akutlösung des bis zu diesem Tag verdrängten Problems! Zur kurzfristigen und anlassspezifischen Medikation einer Geräuschphobie eignen sich am besten rasch wirksame Benzodiazepine. Benzodiazepine sind Arzneistoffe, die anxiolytisch (angstlösend), sedierend (beruhigend), muskelrelaxierend (muskelentspannend) und hypnotisch (schlaffördernd) wirken. Nachteil dieser Stoffgruppe ist eine enthemmende Wirkung – insbesondere bei bekannter Aggression ist Vorsicht geboten, und die Provokation solcher Hunde ist während der Medikation unbedingt zu vermeiden!

Diazepam (Gewacalm):
Diazepam
ist ein psychoaktiv wirksamer Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine mit relativ langer Halbwertszeit. Er ist angezeigt zur Behandlung von Angstzuständen, zur Therapie epileptischer Anfälle und zur Prämedikation vor chirurgischen und diagnostischen Eingriffen.Aufgrund der kurzen Halbwertszeit muss je nach Bedarf alle 2-6 Stunden nachdosiert (halbe Anfangsdosis) werden.

Alprazolam (Xanor)
Alprazolam ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine mit mittlerer Wirkungsdauer, der zur kurzzeitigen Behandlung von Angst- und Panikstörungen eingesetzt wird. Alprazolam erfordert daher nur 1-3x tägliche Gabe. Die individuelle Dosis sollte nach Möglichkeit schon im Vorfeld getestet werden. Bei zu hoher Dosis kann es zu Hyperexzitation kommen. Bei Hunden, die bereits mit den ersten Knallern Anfang Dezember Symptome entwickeln, ist schon ab diesem Zeitpunkt eine längerfristige Medikation sinnvoll.

Sertralin (Gladem)
Als Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wird die Substanz gegen Depressionen, Angst- und Panikstörungen angewendet

Clomipramin (Clomicalm®)
Clomicalm®, ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel für Hunde, ist ein Stimmungsaufheller. , gehört zur Gruppe der trizyklischen Antidepressiva und sorgt dafür, dass die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin in ausreichender Menge vorhanden sind. Der sedierende Effekt kann bei der Therapie von Phobien vorteilhaft sein. Falls es notwendig ist, können sowohl Clomipramin als auch Sertralin mit Alprazolam (z.B. ab dem 29. oder 30.12.) kombiniert werden.

Acepromazin (Sedalin)
Hunde, die mit Acepromazin schon bisher problemlos über den Jahreswechsel kamen, können – so weit es die Nebenwirkungen noch erlauben – behandelt werden. Da aber die Dosis-Wirkungskurve sehr variabel und die Nebenwirkungen zahlreich sind, ist dieses Neuroleptikum keine Medikation der ersten Wahl bei Phobien. Nicht sehr massiv ausgeprägte Phobien können sehr gut mit Phytotherapeutika oder Nahrungsergänzungen behandelt werden

Alpha-Casozepin (Zylkene)
Zylkene beinhaltet ein natürliches Produkt aus Casein, einem Milchprotein, das Hunde dabei unterstützen kann, ihr Verhalten an Situationen anzupassen, um sie damit besser zu bewältigen. Das im Handel erhältliche Präparat sollte schon vier Tage vor Eintreten der Stresssituation (z. B. Silvester) verabreicht werden.

Phytopharmaka
An Phytopharmaka können Baldrian, Melisse, Passiflora, Hopfen, Eschholtzia und Rosenwurz alleine oder in Kombinationspräparaten eingesetzt werden. (Canistress, Sedarom)

Dog Appeasing Pheromon (Adaptil)
Als Halsband oder Diffuseur kann sinnvoll schon ab Anfang Dezember alleine oder als Ergänzung zu anderen Maßnahmen eingesetzt werden. ADAPTIL® hilft bei allen stress- und angstbedingten Problemen des Hundes, da es das Beruhigungspheromon D.A.P. (Dog Appeasing Pheromone) enthält. In der Natur wird das Beruhigungspheromon 3-5 Tage nach der Geburt der Welpen am Gesäuge der Mutterhündin gebildet. Es hilft den Welpen, die vielen neuen Reize während der ersten Wochen ihres Lebens entspannt zu verarbeiten. ADAPTIL® ist die synthetische Nachbildung dieses Pheromons, das aufgeregten, unsicheren und ängstlichen Hunden jeden Alters hilft, sich zu entspannen.