Titus und sein (zunächst) nicht heilendes Hornhautulkus

Als Titus, ein 10-jähriger französischer Bulldoggen-Rüde, zu mir in die Augensprechstunde kam, hatten er und seine Besitzerin schon viel durchgemacht: Seit über sechs Wochen tränte sein linkes Auge, und er blinzelte damit auch vermehrt. Er hatte schon drei unterschiedliche Augenmedikamente bekommen, aber die Verletzung der Hornhaut, die schon beim ersten Tierarztbesuch durch Anfärben mit Fluoreszein festgestellt wurde, heilte einfach nicht ab. Bei einem Besuch war der Defekt deutlich kleiner als noch eine Woche zuvor, beim nächsten Besuch war der Defekt wieder größer geworden. Die Besitzerin bemerkte, dass Titus allgemein ruhiger war, und außerdem versuchte er immer wieder, sich am linken Auge mit der Pfote zu reiben. Die Haustierärztin überwies Titus somit in die Augensprechstunde. Bei der gründlichen Untersuchung beider Augen mit Hilfe einer Handspaltlampe (Bild 1) fiel auf, dass das linke Auge nicht an einem „normalen” Hornhautdefekt litt, sondern an einer speziellen Art von Hornhautverletzung, für die es viele unterschiedliche Namen gibt: Boxerulkus, indolentes Ulkus, nicht heilendes Hornhautulkus oder SCCED (spontaneous chronic corneal epithelial defect) sind nur einige Beispiele für die Bezeichnung dieser Erkrankung.

Die Hornhaut besteht aus mehreren Schichten. Oben oder außen sind mehrere Lagen von Zellen, darunter liegt das deutlich dickere Hornhautstroma und ganz innen eine dünne Membran mit einer einlagigen Zellschicht. Sobald die oberste mehrlagige Zellschicht beschädigt ist, spricht man von einem Hornhautdefekt. Man kann auch Verletzung oder Ulkus sagen. Hornhautdefekte färben sich mit Fluoreszein an. Solange nur die oberflächliche Zellschicht betroffen ist, handelt es sich um einen oberflächliches Ulkus. Wenn auch das darunterliegende Stroma mitbetroffen ist, spricht man von einem tiefen Ulkus, dessen Behandlung häufig sehr intensiv und aufwendig ist. Wenn ein oberflächlicher Defekt vorliegt und keine anhaltende Ursache besteht, die ein Abheilen unmöglich macht (wie z.B. reibende Haare, eine zu geringe Tränenproduktion etc.) heilt der Defekt in der Regel innerhalb von wenigen Tagen ab. Wenn keine bestimmte Ursache vorliegt, aber der oberflächliche Defekt trotzdem nicht innerhalb von 1-2 Wochen abheilt, handelt es sich häufig um ein nicht heilendes Hornhautulkus oder SCCED. Dies war bei Titus - wie bei vielen älteren Hunden - der Fall. Es war auch nur die oberste Schicht betroffen und es gab keine spezifische Ursache. Jedoch lagen die Zellen dieser obersten Hornhautschicht nur lose auf dem Stroma auf. Die Zellen versuchten über den Defekt zu wachsen, um diesen zu verschließen. Da sie aber nicht fest verankert waren, schafften sie es immer nur den Defekt ein bisschen kleiner werden zu lassen, nur um sich einige Tage später wieder ganz zu lösen, sodass der Defekt wieder viel größer wurde. Auch Blutgefäße wuchsen in die Hornhaut von Titus ein und gaben der Hornhaut somit an der verletzten Stelle ein rotes Aussehen (Bild 2 & 3). Diese Gefäße sind ein weiterer Versuch des Auges den Defekt zum Abheilen zu bringen. Sie sind nicht immer vorhanden.

Nachdem die Diagnose nicht heilendes Hornhautulkus oder SCCED feststand, wurde Titus Auge folgendermaßen behandelt: Er bekam Tropfen in sein linkes Auge, die die Oberfläche betäuben, sodass dann mit Wattestäbchen die gesamte lose Zellschicht entfernt werden konnte. Danach erfolgte ein Aufrauen der darunter liegenden Schicht mit einer kleinen Diamantfräse (Bild 4). Titus Besitzerin war zunächst etwas erschrocken, als sie das Wort Fräse hörte. Dieses kleine Gerät arbeitet jedoch sehr leise und schonend, und Titus war ziemlich unbeeindruckt von der Prozedur. Nach dieser Hornhautbehandlung war der Defekt deutlich größer als zu Beginn der Untersuchung, was zeigte, dass die lose Zellschicht tatsächlich einen relativ großen Bereich der Hornhaut eingenommen hatte. Nun wurde Titus noch eine große weiche Kontaktlinse ins linke Auge eingesetzt (Bild 5). Diese korrigiert natürlich nicht die Fehlsichtigkeit, sondern führt durch den leichten Druck dazu, dass sich die Zellen besser verankern und somit den Defekt besser schließen können. Außerdem ist es für viele Hunde angenehmer, wenn sie in der Zeit bis zum Abheilen des Defektes eine Kontaktlinse im Auge haben. Damit Titus sich nicht mehr am Auge kratzen konnte - was die Heilung verzögern kann - wurde ihm außerdem ein Halskragen aufgesetzt. Er bekam 4x täglich Augentropfen, und die Besitzerin berichtete, dass er zwar am gleichen Tag das Auge viel zugehalten hatte, aber schon nach wenigen Tagen wieder deutlich munterer wurde, das linke Auge nicht mehr zukniff und, dass es auch nicht mehr tränte. Als Titus nach 12 Tagen zur Kontrolle kam, war der Hornhautdefekt abgeheilt. Die Kontaktlinse wurde entfernt, der Halskragen konnte weggelassen werden, und die Augentropfen mussten auch nicht mehr gegeben werden.

Titus hatte Glück, dass der Defekt schon mit der einmaligen Behandlung abheilte. Manche Patienten benötigen eine zweite oder sogar mehrere Behandlungen. Anstatt der Diamantfräse kann auch mit einer ganz feinen Kanüle das Hornhautgewebe leicht aufgeraut werden. In jedem Fall sollte diese Behandlung von einem Spezialisten durchgeführt werden, der darin geübt ist. Leider kann es jederzeit zu einem erneuten Defekt an einer anderen Stelle im gleichen Auge oder im anderen Auge kommen. Man kann dies nicht wirklich verhindern. Titus Besitzerin gibt nun vor großen Spaziergängen etwas Gel in beide Augen, um die Oberfläche zu schützen, auch wenn dies keine Garantie dafür ist, dass kein erneutes Ulkus entsteht. Und Titus freut sich, dieses langwierige Problem nun überstanden zu haben!

Dr. Nicolin Jürgens arbeitet als selbstständige Belegärztin in der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Dr. Pingen & Dr. Navarra (Gut Bergerhof, 50259 Pulheim-Freimersdorf, T: 02234-82670) und in der Tierklinik Neandertal (Landstraße 51, 42781 Haan, T: 02129-375070).