Der Fall Edgar – Homöopathie statt Euthanasie

Im Dezember 2013 hatte der Rauhaardackel Edgar seinen ersten epileptischen Anfall – ein hochgradiger Grand-Mal-Anfall. Es folgten weitere Anfälle, zum Teil kurz aufeinander. Daraufhin die Vorstellung beim Haustierarzt mit Blutbild, Kotuntersuchung, Röntgen, Sono, Liquorpunktion und CT – alles ohne Befund. Die Diagnose: idiopathische Epilepsie.

Die Ergebnisse der schulmedizinischen Epilepsietherapie
Edgar bekam Antiepileptika, doch die Anfälle hörten nicht auf. Nicht nur die Krämpfe waren eine Belastung für die Besitzer, sondern vor allem die hochgradige Aggressivität, die Edgar dabei zeigte – nach den Anfällen war er jedes Mal für Stunden dermaßen desorientiert, dass er auf alles losging, was sich bewegte, auch auf seine Besitzer, die sich mehrfach vor ihm in Sicherheit bringen mussten. Er wurde kastriert – auch das brachte keine Besserung. Die Antiepileptika wurden immer höher dosiert - ohne Erfolg. Die Abstände zwischen den Anfällen wurden immer kleiner. Zudem begann Edgar stark unter den Nebenwirkungen der Medikamente zu leiden. Als endlich leidliche Krampffreiheit erreicht wurde, konnte Edgar kaum mehr aufstehen, so apathisch war er. Sobald man die Dosis jedoch reduzierte, bekam er wieder Krämpfe und wurde aggressiv. Die Situation war für Hund und Besitzer unerträglich, so dass die Euthanasie erwogen wurde. Edgar war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt.

Ablauf der klassisch-homöopathischen Therapie
Im Frühjahr 2014 wurde mir Edgar zur Fallaufnahme vorgestellt. Der homöopathische Therapieansatz beruht auf dem Prinzip der Entsprechung. Das bedeutet, es wird aus der Fülle der homöopathischen Arzneimittel dasjenige ausgewählt, dessen beschriebene Eigenschaften (das sogenannte Arzneimittelbild) der momentanen geistigen und körperlichen Situation des Patienten am besten entspricht. Aus diesem Grund beginnt jede klassisch-homöopathische Therapie zuerst mit einem ausführlichen Fallaufnahmegespräch über Charakter und Krankheitsverlauf des Patienten. Zusammen mit den klinischen Befundergebnissen und dem Krampftagebuch bilden diese Informationen die Grundlage für die homöopathische Therapie.

Die wichtigsten Punkte der Fallaufnahme
Edgar ist für einen Dackel ein sehr introvertiertes und faules Tier; er geht ungern spazieren; er ist ein „Körbchenhocker“. Als unkastrierter Rüde zeigt er keinerlei aktives Interesse an Hündinnen. Wenn aber eine Hündin in der Nachbarschaft läufig ist und Edgar das mitbekommt, möchte er so schnell wie möglich nach Hause, wo er stundenlang sein Körbchen berammelt. Dieses Verhalten zeigt er auch nach der Kastration weiterhin. Im November 2013 nehmen ihm die Besitzer das Körbchen weg. Der Patient ist eigentlich nicht ängstlich, aber eine Dauerbaustelle in der Nachbarschaft stresst ihn sehr; er möchte kaum mehr vor die Tür gehen. Bei nasskaltem Wetter bekommt er Durchfall. Edgar ist dominant, stur, eifersüchtig, und wenn man ihn in seinem Körbchen stört, reagiert er aggressiv.

Ich entschied mich in Edgars Fall zu einer konstitutionellen homöopathischen Therapie mit Calcium Carbonicum. Die Antiepileptika wurden parallel weiter gegeben. Calcium carbonicum ist potenzierter Kalk, der aus der Mittelschicht der Austernschale gewonnen wird. Wie die Auster besitzt der Calcium-carbonicum-Patient eine harte Schale, die einen sehr weichen Kern schützt. Die wesentlichen Grundzüge des Arzneimittelbildes leiten sich aus genau dieser Spannung zwischen unnachgiebiger Härte und übersensibler Weichheit her. Sein phlegmatisches Temperament, seine Sturheit und seine Introvertiertheit stehen einer ausgeprägten Sensibilität auf Reize aller Art gegenüber. Es erschöpft ihn jede körperliche und geistige Anstrengung. Genauso wie die Auster an einem festen Platz sitzt, von dem sie sich kaum wegbewegt, verlangt der Calcium-Hund nach einem festen Platz, der ihm Sicherheit und Geborgenheit bietet.

Warum dieses Mittel?
Sowohl Edgars körperliche Symptomatik, als auch seine Charaktereigenschaften passen sehr gut auf Calcium carbonicum. Er hat für einen Dackel ein extrem phlegmatisches Temperament und fühlt sich zuhause in seinem Körbchen am wohlsten, welches er aggressiv verteidigt. Die nahegelegene Baustelle und der Lärm verunsichern ihn sehr. Zeitgleich nehmen ihm die Besitzer das Körbchen weg, an welchem er seinen übersteigerten Sexualtrieb normalerweise abreagiert. Kurz darauf entwickelt er eine sehr schwere und heftige Epilepsie. Die Probleme durch Unterdrückung der Sexualität, die Beschwerden durch den Verlust der Sicherheit und Folgeerkrankungen von Überanstrengung und Stress jeglicher Art, sind typisch für Patienten, die Calcium carbonicum benötigen.

Die Ergebnisse der homöopathischen Therapie
Edgar ist schon nach der zweiten Gabe wesentlich munterer und lustiger geworden – er war wie ausgewechselt. Plötzlich wollte er von sich aus wieder spazieren gehen. Die Aggressionen und die Hypersexualität verschwanden nach etwa einer Woche. Etwa zehn Tage nach Beginn der Therapie mit Calcium carbonicum schien es so, als würde sich wieder ein Anfall anbahnen, aber es kam keiner. Bis heute bekommt Edgar sein Konstitutionsmittel jeden 2. Tag – er hatte nie wieder einen Anfall.

Lesen Sie bitte auch den Beitrag von Dr. Brigitte Hentschel: "Klassische Homöopathie als Alternative bei der Epilepsietherapie".