Anja Bacher-Bröhling: "Der abgebrochene Reißzahn"

Als die 14 Jahre alte Galgohündin „Lotte“ in unsere Praxis kam, hatte sie bereits seit zwei Tagen kein Futter mehr aufgenommen. Ihre Besitzerin beobachtete seit einigen Wochen, dass ihre Hündin immer mal wieder Futter aus dem Maul fallen ließ und bevorzugt nur auf der linken Kieferseite kaute.

Seit einigen Tagen war sie darüber hinaus auch ruhiger geworden und zog sich immer mehr zurück. Die Untersuchung der Maulhöhle und der Zähne brachte schnell ans Tageslicht, was die Ursache dafür war. „Lotte“ hatte Zahnschmerzen, und das wohl schon seit einiger Zeit. Der Reißzahn im rechten Oberkiefer war schon vor längerem abgebrochen, was man an der dunklen Verfärbung an der Bruchstelle erkennen konnte (Foto 1). Auch ein unangenehmer, modriger Geruch machte sich beim Öffnen des Fanges im Behandlungsraum breit. Der Zahn war abgestorben und durch den offenen Wurzelkanal waren Bakterien in die Tiefe gelangt, die eine schmerzhafte Entzündung des Kiefers verursacht hatten. Schnell musste der Hündin geholfen werden.

Raus mit dem kaputten Zahn!

Vor der geplanten Operation brauchten wir jedoch noch einige Tropfen von Lottes Blut für eine Blutuntersuchung. Damit wollten wir weitere Erkrankungen ausschließen und das Narkoserisiko der bereits älteren Patientin (14 Jahre) minimieren. Im hauseigenen Labor haben wir die Leber- und Nierenwerte überprüft. Es lagen keine Veränderungen der Blutwerte vor, und so konnten wir mit der Operation noch am gleichen Tag beginnen. Nach Einleitung der Narkose fertigten wir zunächst ein Dentalröntgenbild des betroffenen Zahnes an, um das Ausmaß der Entzündung zu erkennen und weitere Frakturen in der Tiefe ausschließen zu können (Foto 4). Der Reißzahn ist der größte Backenzahn im Hundemaul und hat im Oberkiefer drei Wurzeln, darüber hinaus im Unterkiefer zwei. Funktionell sind diese beiden Zähne beim Zerkleinern des Futters am wichtigsten. Daher streben wir Tierzahnärzte immer an, sie zu erhalten und eine Wurzelkanalbehandlung mit anschließender Füllung durchzuführen. 


Bei „Lotte“ lag jedoch eine komplizierte Fraktur mit gespaltener Krone vor, so dass tatsächlich nur eine Extraktion des Zahnes in Frage kam. Solch ein dreiwurzeliger Zahn kann nicht im Ganzen gezogen werden. Die Wurzeln sitzen fest im Kiefer und sind gerade bei schon älteren infizierten Zähnen sehr spröde und morsch und brechen leicht in der Tiefe ab. Daher ist eine kieferchirurgische, offene Extraktion die Methode der Wahl. So wurde bei „Lotte“ die Mundschleimhaut um den Zahn herum gelöst und der Kieferknochen freigelegt. Dann wurde der Knochen mit einem wassergekühlten Bohrer über den Zahnwurzeln entfernt, bis diese komplett sichtbar waren. Anschließend wurde der Zahn mit einem Fräser in drei Teile geteilt und die einzelnen Wurzeln mit verschiedenen Hebeln gelockert, um sie danach separat ziehen zu können (Foto 2). Besonders wichtig ist es, dass keine Wurzelreste im Kiefer verbleiben, denn diese verursachen weiterhin Schmerzen und führen zu einer Abszessbildung im Kieferknochen. Nach Glättung der scharfen Knochenkanten wurde die Schleimhaut wieder über die Wunde gelegt und mit einer Wundnaht mit Einzelheften eines resorbierbaren Nahtmaterials verschlossen, welches sich nach einigen Wochen von selbst auflöst (Foto 3). 


Am gleichen Tag erhielt „Lotte“ von uns ein Schmerzmittel und ein Antibiotikum, welches die Besitzerin ihr zu Hause noch für einige Tage weiter gab. Am gleichen Nachmittag war die Hündin zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber bereits am Abend hatte sie schon wieder Appetit und nahm zum ersten Mal seit drei Tagen Futter auf. Ende gut, alles gut... 


Am darauffolgenden Morgen war sie bereits wieder topfit, durfte jedoch für die nächsten 10 Tage nur Weichfutter fressen. Außerdem durfte sie, um die Wunde zu schonen, weder mit Stöckchen spielen, noch andere harte Gegenstände ins Maul nehmen. Bei der Kontrolluntersuchung 14 Tagen später war die Wunde komplett verheilt. Die Hündin hatte sich gut erholt und konnte endlich wieder mit Freude und ohne Schmerzen ihr ganz normales Futter fressen.