Hornhaut-Verletzung bei einer Bulldogge, die nicht heilen will...

Charly, eine sechsjährige Französische Bulldogge, hatte bisher noch nie Probleme mit seinen Augen. Eines Morgens wachte der Rüde auf und kniff sein rechtes Auge zu. Sein Frauchen dachte: „Er hat sicher nur Zug bekommen“ und wartete erst einmal ab. Nach zwei Tagen kniff er sein Auge immer noch zu, woraufhin seine Besitzerin mit ihm zum Tierarzt ging. Dieser stellte fest, dass Charly eine Verletzung an der Hornhaut hat. Er gab Frau Meyer zwei Augensalben mit und bat sie, eine Woche später wiederzukommen. Nach einer Woche kniff Charly das Auge immer noch zu. Die Verletzung war nicht kleiner geworden. Der Tierarzt verschrieb zwei neue Augensalben, die noch öfter auftragen werden sollten. Weitere zwei Wochen später war immer noch keine Verbesserung eingetreten. Daraufhin wurde Charly in unsere, auf Augenheilkunde spezialisierte Praxis überwiesen.

Blinzeln oder kneifen - Zeichen von Schmerz

Charly kneift das Auge immer noch zu. Dies ist ein Zeichen, dass er Schmerzen hat. Hunde zeigen Schmerzen am Auge nicht durch winseln, sondern nur dadurch, dass sie blinzeln oder kneifen. Wir färben die Hornhaut mit Fluorescein an. Dies ist ein Farbstoff, der an der Hornhaut nur haften bleibt, wenn die oberste Hornhaut-Schicht fehlt, also ein Hornhaut-Ulcus vorliegt. Damit können wir bestätigen, dass die ursprüngliche Verletzung auch nach Wochen nicht abgeheilt ist. Mithilfe der Spaltlampe diagnostizieren wir, dass es sich um eine ganz oberflächliche Hornhaut-Verletzung handelt, bei der nur die alleroberste Schicht, welche „Epithel“ genannt wird, fehlt.

Normalerweise heilt ein oberflächliches Hornhaut-Ulcus innerhalb von wenigen Tagen ab, da sich die Zellen ständig erneuern. Wenn eine entsprechende Verletzung – auch bei richtiger Behandlung - nicht abheilt, kann dies verschiedene Ursachen haben: Wenn permanent ein Fremdkörper auf der Hornhaut reibt, kann die Hornhaut nicht abheilen. Auch Haare, die falsch wachsen und die Hornhaut irritieren, oder ein einrollender Lidrand können zu nicht-heilenden Ulcera führen. Ebenso kann Trockenheit, die durch eine zu geringe Tränenproduktion oder durch unvollständigen Lidschluss verursacht werden kann, eine Ursache für nicht-heilende Ulcera sein.

Wir untersuchen Charlys Auge nach allen möglichen Ursachen, die die Heilung verhindern können. Nach genauer Untersuchung unter 16-facher Vergrößerung und verschiedenen Tests können wir sicherstellen, dass bei Charly keiner dieser Gründe vorlag. Zudem sahen wir, dass das Fluorescein unter die Ränder des Ulcus kroch. Dies bedeutet, dass das Epithel an den Rändern des Ulcus nur lose aufliegt.

"Boxer-Ulcus"

Damit konnte es sich bei Charly nur um ein sogenanntes „Boxer-Ulcus“ handeln. Bei dieser Erkrankung löst sich die oberste Hornhaut-Schicht ab, weil die Verhaftungsmechanismen, die die oberste Schicht mit der Hornhaut verbinden, nicht mehr funktionieren - ähnlich einem Klettverschluss, der nicht mehr richtig hält. Der Begriff „Boxer-Ulcus“ wird verwendet, da die Hunderasse „Boxer“ relativ häufig betroffen ist. Die Erkrankung kann aber bei jeder Hunderasse auftreten, wobei „Französische Bulldogen“ heutzutage besonders oft damit vorgestellt werden. Die Erkrankung wird auch „Oberflächliches, nicht-heilendes Ulcus“ oder SCCED (spontaneous corneal chronic epithelial defects) genannt.

Wenn eine Hornhaut-Verletzung mit Augentropfen behandelt wird und nach einer Woche nicht abgeheilt ist, nützt es nichts, die Medikamente zu ändern, sondern man muss nach der Ursache suchen und diese behandeln."

Dr. Kerstin Leuzinger, Tierärztliche Praxis für Augenheilkunde

Der chirurgische Eingriff ...

Dieses spezielle Ulcus heilt allein mit der Gabe von Augenmedikamenten nicht ab. Es ist ein kleiner chirurgischer Eingriff nötig, der eine neue Verbindung zwischen dem Epithel und seiner Unterlage schafft und so ermöglicht, dass es wieder anhaftet. Charly benötigt dafür keine Narkose. Er bekommt zunächst Augentropfen, damit er nichts spürt. Während des Eingriffs hält er ganz ruhig, als würde er merken, dass ihm geholfen wird.

Anfangs wird das gesamte, nur lose anliegende Epithel mithilfe eines Wattestäbchens entfernt. Dann wird mit einer feinen Kanüle ganz oberflächlich ein Gitter in die Hornhaut geritzt. Alternativ kann auch die Hornhaut-Oberfläche mit einer Art batteriebetriebener Zahnarztbohrer angeschliffen werden. Dadurch kann das Epithel wieder Haftung finden und die Hornhaut kann abheilen. Um den Abheilungsprozess noch zu fördern, wird zuletzt eine Kontaktlinse eingesetzt. Sie schützt die Hornhaut wie ein Verband, so dass der ständige Lidschlag die Heilung nicht stört.

Wir geben für zu Hause Augentropfen mit, die verhindern, dass Bakterien die Hornhaut infizieren. Da jeder Hornhaut-Defekt sehr schmerzhaft ist, bekommt Charly zusätzlich noch Tabletten. Nach zwölf Tagen kommt Charly zur Kontrolle. Wir entnehmen die Kontaktlinse und färben die Hornhaut an. Der Farbstoff bleibt nirgends mehr haften. Die Hornhaut ist vollständig abgeheilt.

Normalerweise bleibt die Hornhaut, die dieser Behandlung unterzogen wurde, zukünftig davor verschont, weil das Epithel durch den Eingriff fest verankert ist. Wenn Charly das andere Auge irgendwann zukneifen sollte, kann wieder ein Boxer-Ulcus die Ursache sein. Dann weiß er, wie ihm geholfen werden kann.

Titelbild von Harald Landsrath auf Pixabay