Ameloblastom: Wie gut sich der gutartige Tumor behandeln lässt

Dr. Franziska Hergt, Berlin & Dr. Alena Soukup, Linsengericht.
Ameloblastome treten mit etwa 5 % aller oralen Tumoren beim Hund eher selten auf und liegen deutlich hinter Melanomen (ca. 35 %), Plattenepithelkarzinomen (ca. 20 %) und Fibrosarkomen (ca. 20 %). Obwohl Ameloblastome als gutartige Tumoren keine Metastasen bilden, sind sie aufgrund ihres invasiven und knochendestruktiven Wachstums häufig anspruchsvoll in der Behandlung. Das gilt ganz besonders, wenn der Tumor ungünstig gelegen ist, wie in dieser Fallvorstellung.
Patientenvorstellung
Ein Labrador Retriever wird in der Tierklinik mit einer Wucherung an einem Zahn vorgestellt. Die Besitzerin hat die Veränderung selbst bemerkt und war damit bereits beim Haustierarzt vorstellig. Sie hat den Eindruck, dass es eigentlich kein akutes Problem darstellt und dass allenfalls das Fressen geringfügig verlangsamt ist. Dennoch legt sie Wert auf eine Abklärung, nachdem die vorberichtliche Antibiotikagabe keinerlei Veränderung ergab. Die Patientin zeigt sich bei ungestörtem Allgemeinbefinden aufmerksam mit rassetypischer Aktivität. Die allgemeine Untersuchung bleibt ohne besondere Befunde. Bei der Adspektion der Maulhöhle zeigt sich der Bereich um M1, Oberkiefer rechts, ein Saum mit hochgradig geröteter, wulstartig verdickter Gingiva. Der Bereich ist weder schmerzhaft noch spontan oder bei Berührung blutend. Mittels Cytobrush wurden einige Zellen gewonnen. Die Laboruntersuchung lieferte jedoch ein sehr allgemeines Bild mit dominierendem Plattenepithel, neutrophilen Granulozyten und einigen Artefakten.
In einem weiteren Termin wurden in Allgemeinanästhesie eine Computertomographie, eine inzisionale Biopsie sowie die Extraktion des M2 durchgeführt. Während in der Computertomographie primär eine Osteolyse im Bereich M2 auffiel, war der pathologische Befund eindeutig und ein Ameloblastom musste bestätigt werden.
Akanthomatöses Ameloblastom
Das akanthomatöse Ameloblastom ist ein von den Ameloblasten ausgehender odontogener Tumor. Der Tumor ist benigne, er bildet keine Metastasen, wächst allerdings infiltrativ in das umliegende Gewebe ein. Dieses lokal aggressive Verhalten führt dazu, dass bei marginaler Resektion binnen Wochen ein Rezidiv entsteht. Die Tumoren zeigen teils ein blumenkohlartiges Wachstum nach außen und ausgeprägte Osteolysen. Gut die Hälfte der Tumoren treten an der rostralen Mandibula auf, caudale Mandibula und rostrale Maxilla sind etwa gleich häufig betroffen und nur 5 % der Tumoren treten an der caudalen Maxilla auf. Große Rassen zeigen überdurchschnittlich häufig Ameloblastome mit einer geringen Prädisposition bei Golden Retrievern und Bobtails. Die Bezeichnung akanthomatöse Epulis ist zwar teils noch gebräuchlich aber veraltet.
Diagnostik und Beschreibung der Ameloblastome folgt grundsätzlich der allgemeinen Vorgehensweise oraler Tumoren. Da orale Tumoren in der Regel mit einer lokalen Entzündungsreaktion einhergehen ist die definitive Diagnose primär durch eine inzisionale Biopsie zu stellen. Diese kann situationsabhängig vom wachen Tier toleriert oder in einer Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Ist eine Computertomographie geplant, bietet sich eine inzisionale oder Exzisionsbiopsie zum gleichen Zeitpunkt an. Das Staging erfolgt nach dem TNM Schema oraler Tumoren der WHO (Tabelle 1).
Therapieoptionen
Aus den typischen Lokalisationen dieser benignen Tumoren ergeben sich auch die Therapieoptionen. Die aggressive Chirurgie ist bei ausreichend großen Sicherheitssäumen als kurativ anzusehen. Bei einem Sicherheitssaum von 20 mm sind keine Rezidive mehr zu beobachten, während sich bereits die Reduktion auf 15 mm mit einem ca. 25 prozentigen Rezidivrisiko äußert. Chirurgisch ist also eine (Hemi-) Mandibulektomie bzw. Maxillektomie kurativ möglich. Alternativ und bei nicht operablen Tumoren ist die Strahlentherapie effektiv anwendbar und zeigt progressionsfreie Intervalle von drei Jahren in über 80 % der Fälle. Die Größe der Tumoren ist dabei prognostisch negativ, das Rezidivrisiko bei Tumoren im Stadium T3 ist um ein Vielfaches erhöht.
Behandlung
Basierend auf den CT-Befunden wurde von einer chirurgischen Entfernung des Tumors abgeraten. Ausschlaggebend dafür waren vor allem die Lokalisation und die Abmessung des Tumors (Stadium T2b) sowie die sehr gute Prognose bei einer Strahlentherapie. Darüber hinaus spielten aber auch das Alter und das allgemeine Gemüt des Hundes eine Rolle. Die Besitzerin stellte die Patientin zur Computertomographie als Grundlage der Strahlentherapieplanung vor. Bei ausgesprochen guter Prognose und einer Patientin im besten Alter ist klar ein definitives Protokoll für die Strahlentherapie indiziert.
Im aktuellen Fall wurde ein Protokoll mit 18 Fraktionen und einer Gesamtdosis von 54 Gy genutzt. Die einzelnen Strahlentherapiesitzungen wurden täglich, jeweils montags bis freitags über dreieinhalb Wochen durchgeführt. Natürlich musste die Patientin an allen Tagen nüchtern zu ihrer Bestrahlung erscheinen, um das Narkoserisiko so gering wie möglich zu halten. Zur Sedation bekam die Patientin Dexmedetomidin in der Dosierung von 1μg/kg i.v. Die Narkosen wurden mit Ketamin 1 mg/kg i.v. und Propofol nach Wirkung i.v. eingeleitet und mit einer Inhalationsanästhesie mit Sevofluran aufrechterhalten. Die Strahlentherapie selbst ist nicht schmerzhaft; es gibt nicht einmal eine Sinneswahrnehmung für ionisierende Strahlung. Daher kann während der Narkose auf weitere Schmerzmedikationen verzichtet werden. Bei einem systemisch gesunden Hund ohne nennenswerte vorberichtliche Erkrankungen sind keine Komplikationen während der täglichen Narkosen zu erwarten, allgemein ist sie gut verträglich und sicher durchführbar. Die Kombination aus Propofol zur Einleitung und Sevofluran zur Aufrechterhaltung kann auch bei alten, multimorbiden oder Patienten mit Hirntumor sicher angewendet werden. Hier wird die Prämedikation ersetzt oder entfällt ganz.

Die vorgestellte Patientin profitiert vor allem von der frühzeitigen Aufarbeitung des Falles. Die Strahlentherapie ist sicher als Maximaltherapie aufwändig, teuer und zeigt Nebenwirkungen, die Abwägung gegen den Nutzen fällt hier aber sehr eindeutig aus.
Nachsorge und supportive Therapie
Die Strahlentherapie sowie die jeweils notwendigen Narkosen sind gut verträglich und sicher, sodass Komplikationen extrem selten sind. Im Verlauf der Strahlentherapie ist aber mit Reaktionen zu rechnen, die bereits im Vorfeld aufgeklärt und besprochen werden müssen. Grundsätzlich sind frühe von späten Strahlenreaktionen zu unterscheiden. Frühe Strahlenreaktionen sind bei definitiven Protokollen ausgeprägter als bei palliativen, treten ca. 14 Tage nach Therapiebeginn auf, heilen aber auch bis ca. 21 Tage nach Therapieende vollständig ab. Der vorliegende Fall zeigt eine Vielzahl von zu erwartenden Strahlenreaktionen sehr eindrücklich. In Abbildung 1 ist ein Schnitt des CT zur Strahlentherapieplanung auf Höhe M1 dargestellt. Neben dem Tumorvolumen ist auch das Planungsvolumen (späterer Hochdosisbereich) sowie die Risikoorgane Auge und Zunge konturiert. Aus dieser Abbildung sind die zu erwartenden Nebenwirkungen gut abzuschätzen, da folgende Strukturen im Hochdosisbereich liegen: Maulschleimhaut, Teile der Nasenhöhle, kutane Haut. Außerdem reicht das Planungsvolumen bis an das Auge heran, sodass auch dieses einem Risiko ausgesetzt ist.
Je besser die Nebenwirkungen und die Reaktionen der Tiere im Vorfeld abgeschätzt werden können desto effizienter und früher kann gegengesteuert werden. Dabei ist die symptomatische Therapie entscheidend, häufig werden kurzzeitig Schmerzmittel und Glukokortikoide eingesetzt, um ein gutes Wohlbefinden sicherzustellen. Die kurzfristigen Nebenwirkungen der Schleimhäute können aufgrund der hohen Zellteilungsrate ausgeprägter sein. Es ist hier mit einer Desquamation zu rechnen, die für einige Zeit auch schmerzhaft sein und in Ausnahmenfällen zu Problemen bei der Futteraufnahme führen kann. Die äußere Haut kann auch trockene oder feuchte Desquamationen zeigen, ggf. bilden sich Krusten, die innerhalb weniger Tage abfallen. Die Haare in diesem Bereich können ausfallen und wachsen dann grau oder weiß wieder nach.
Die entscheidende Rolle in der veterinärmedizinischen Onkologie spielt die Lebensqualität der Patienten und das Management eventueller Einschränkungen durch eine adäquate medikamentöse und supportive Therapie. Bei schmerzhaften Nebenwirkungen ist eine adäquate Medikation ausreichend früh und in entsprechender Menge einzusetzen. Bewährt sind oft Kombinationen aus einem steroidalen Antiphlogistikum, Gabapentin, Amantadin bzw. Memantin. Bei mangelnder Nahrungsaufnahme kann zusätzlich Mirtazapin eingesetzt werden. Die Tiere müssen in der kritischen Zeit von jeder Manipulation abgehalten werden und unter Umständen einen Schutz tragen. Der Einsatz von Salben und Tinkturen ist häufig kontraproduktiv, von einem routinemäßigen Einsatz eines Antibiotikums muss abgeraten werden. Da diese Phase nur eine relativ kurze Zeit andauert ist sie für die Besitzer mit einer adäquaten tierärztlichen Unterstützung normalerweise gut zu bewältigen.
Welche Rolle spielen Nebenwirkungen in der Strahlentherapie?
Im Alltag nehmen wir Nebenwirkungen als störend und unangenehm wahr und würden uns wünschen, sie wären einfach nicht da. Ein Blick auf die Entwicklung entsprechender Strahlentherapieprotokolle zeigt aber, dass sie in Wahrheit einen ganz entscheidenden Einfluss auf den Therapieverlauf haben. Zur Tumorkontrolle versucht man in der Strahlentherapie oft eine Dosismaximierung im Tumor bzw. dem Planungsvolumen zu erreichen. Limitiert ist dies durch Nebenwirkungen, die natürlich beherrschbar bleiben sollen. Damit ist der beste Kompromiss für die meisten Fälle auch schon gefunden: Die Dosis wird so lange erhöht, bis der Großteil der Patienten moderate Nebenwirkungen zeigt, die gut beherrscht werden können. Das Ergebnis ist die unter gegebenen Bedingungen beste Tumorkontrolle. Mit diesem Wissen lässt sich die Zeit der Nebenwirkungen häufig sehr gut meistern.
Nachsorge im aktuellen Fall
Die Patientin im aktuellen Fall zeigt während und nach der Strahlentherapie ein gutes Allgemeinbefinden und ist auch von den frühen Strahlenreaktionen kaum eingeschränkt. Das Nebenwirkungsprofil wird von den Reaktionen der äußeren Haut dominiert. Die Patientin entwickelte im Bereich ventral des Auges in der Wange Strahlenreaktionen (VRTOG V2.0 Grad 2) mit feuchter Desquamation und krustigen Auflagerungen. Vorsorglich musste die Patientin einen Halskragen tragen, um evtl. Automutilation vorzubeugen. Zum Schmerzmanagement erhielt die Patientin in der letzten Woche der Strahlentherapie sowie drei Wochen darüber hinaus Prednisolon, Gabapentin sowie ein Amantadan-Derivat. Da sich anfänglich eine bakterielle Besiedelung der bestrahlten Bereiche abzeichnete wurde zusätzlich Amoxicillin über zwei Wochen verabreicht. Die Nachsorge konnte mit dieser Medikation durch die Besitzerin gut bewältigt werden. Es erfolgte eine wöchentliche Verlaufskontrolle mit Fotos sowie telefonisch. Sechs Wochen nach Strahlentherapie wurde die Patientin in der überweisenden Tierklinik zur Nachkontrolle vorgestellt. Da auch der Bereich des Unterlids eine nennenswerte Strahlendosis erhalten hat ist von einer Schädigung der Meibom-Drüsen auszugehen, sodass sich die Qualität des Tränenfilms verändern kann. Daher wird das Auge regelmäßigen Kontrollen unterzogen und aktuell erhält die Patientin ein Hypromellose haltiges Pflegepräparat.
Fazit und klinische Relevanz
Die vorgestellte Patientin profitiert vor allem von der frühzeitigen Aufarbeitung des Falles, die nur durch die genaue Beobachtung und entschlossene Abklärung durch die Besitzerin möglich war. Obwohl die Therapieoptionen aufgrund der Lokalisation eingeschränkt sind, ist die Prognose ausgesprochen gut. Die Strahlentherapie ist sicher als Maximaltherapie aufwändig, teuer und zeigt Nebenwirkungen, die Abwägung gegen den Nutzen fällt hier aber sehr eindeutig aus. Aktuell ist die Patientin eineinhalb Jahre nach Strahlentherapie bei sehr gutem Allgemeinbefinden und hat keinerlei Einschränkungen durch Tumorerkrankung oder Therapie. Sie ist unter regelmäßiger tierärztlicher Betreuung, was im Wesentlichen das Auge sowie die allgemeine tierärztliche Versorgung betrifft. Ihre Krankengeschichte hindert sie allerdings in keinster Weise daran, ein glückliches Leben zu führen – wie unter anderem regelmäßige Urlaubsbilder im Familienalbum belegen.
Referenzen
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