Der neurologische Hundepatient - Josie's Bandscheibenvorfall

Josie tobt durch die Zimmer und versucht ihre vierbeinige Mitbewohnerin Lara einzuholen, die aber immer einen Schritt schneller ist. Um es doch zu schaffen, was ohnehin wegen der deutlich längeren Beine so gut wie unmöglich ist, schneidet Josie die Kurven und versucht abzukürzen, wo es nur geht. Kurz bevor sie die Regalecke touchiert, denkt sie noch, dass es diesen Mal knapp werden würde. Dann hört sie schon den Knall und spürt einen Ruck im Rücken. Der Hund kommt nicht mehr von der Stelle, denn irgendwer hält sie fest am Hinterteil – so fühlt es sich jedenfalls an. Später stellt sich heraus: Josie ist gelähmt, sie spürt nichts mehr in den Hinterläufen, zieht sie taub und erschlafft hinter sich her. Josie hat einen traumatischen Bandscheibenvorfall (Abb. 1).

Josie ist mein Rauhaardackel, damals fünf Jahre jung. Wie ihr Beispiel zeigt, kann die Bandscheibe durch ein plötzliches Trauma, wie z.B. der Kollision mit einem Gegenstand oder durch ein ruckartiges Abknicken der Wirbelsäule, aufplatzen. Der innere gallertige Kern der Bandscheibe quillt in einem solchen Fall hervor und drückt auf das Rückenmark (Abb. 2).

Bandscheiben dienen als Puffer zwischen den Wirbelkörpern

Die Bandscheiben sind, genau wie bei uns Menschen, elastische Scheiben, die als Puffer zwischen den Wirbelkörpern liegen. Erfährt die äußere Hülle einer Bandscheibe ein stoßartiges plötzliches Trauma, bekommt sie Risse, und der gallertige Inhalt quillt hervor. Da sowohl vor als auch hinter der Bandscheibe Wirbel liegen, kann diese Masse nur in Richtung des elastischen Rückenmarkes ausweichen und drückt dieses zusammen. Das Rückenmark ist ein dicker Strang aus Nervenbahnen, der sensorische und motorische Impulse leitet. Dank dieser Hauptnervenleitung können wir spüren, ob wir sitzen oder stehen und unseren Muskeln „sagen“, dass wir aufstehen oder uns hinsetzen sollen. Ist diese Leitung nun durch eine Kompression gestört, so fühlen wir nicht mehr, was unsere Beine gerade machen und können unseren Muskeln keine Bewegungsbefehle mehr geben.

Die Stärke der Schädigung des Rückenmarks beurteilt man mittels einer MRT (Ma­gnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie). Hierbei werden zahlreiche Bilder als Längsschnitte durch die Wirbelsäule aufgenommen - außerdem wird am unteren Rand des Rückenmarks beurteilt, inwieweit ihn die Bandscheibe nach oben verdrängt.

Beurteilung der Reaktionsfähigkeit der Nerven

Eine neurologische Untersuchung des Patienten ist wichtig, um die Stärke der Ausfälle zu beurteilen. Dabei kontrolliert man einzelne Nerven auf ihre Reaktionsfähigkeit. So testet man zunächst, ob der Rücken auf Druck schmerzt und ob der Patient aufmerksam und im Verhalten interessiert ist. Dann beurteilt man die Haltung dahingehend, ob ein Patient steh- bzw. gehfähig ist, bzw. ob er das nur mit Unterstützung kann (Abb. 3).

Dann kommt man zu den Haltungs- und Stellreaktionen (Propriozeption), um zu unterscheiden, ob diese vorhanden, verzögert oder ausgefallen sind. Hierzu klappt man zum Beispiel die Hinterpfoten auf ihre Oberseite, quasi wie bei einer "Ballerina", und beobachtet, ob der Patient diese Position erkennt, sofort oder verzögert korrigiert und sich wieder auf die Ballen stellt (Abb. 4).

Um das Rückenmark nicht bleibend zu beschädigen und die Ausfälle der Nerven wieder aufzuheben, muss der vorgefallene Anteil des Bandscheibenkerns chirurgisch entfernt werden."

Gisela Niebch, Fachtierärztin für Klein- & Heimtiere

Wichtig ist es zu wissen, dass es bei den neurologischen Ausfällen auch zu einem spastischen Verschluss der Harnröhre kommen kann - die Patienten können dann keinen Urin mehr absetzen. Es ist bei solchen Patienten also wichtig, immer den ausreichenden Harnabsatz zu kontrollieren und gegebenenfalls die Blase mit Druck auf den Bauch und unterstützt von Medikamenten zu entleeren, um eine Schädigung der Nieren zu vermeiden.

Entfernung des Wirbeldachs

Um das Rückenmark nicht bleibend zu beschädigen und die Ausfälle der Nerven wieder aufzuheben, muss der vorgefallene Anteil des Bandscheibenkerns chirurgisch entfernt werden. Hierzu wird ein Teil des Wirbeldachs entfernt (Hemilaminektomie - Abb. 5).

Begleitend erhalten die Patienten starke Schmerzmittel und müssen absolute Ruhe halten. Am besten nimmt man ein Welpengehege oder eine Transportbox, um die Hunde in ihrem Bewegungsdrang einzuschränken – und das zum Teil gnadenlos für vier bis sechs Wochen. Sehr hilfreich nach einer Operation am Rückenmark und neurologischen Ausfällen ist die Physiotherapie. Hier kommen neben Wassertraining auch andere muskelaufbauende und koordinationsfördernde Übungen ins Spiel.

Nachdem Josie die Operation gut überstanden hat, ist sie nach einigen Tagen stationärer Betreuung nach Hause entlassen worden und hat sich stetig erholt. Sie konnte direkt selbständig Urin absetzen und bekam für mehrere Wochen eine Transportbox als ihr neues Ruheräumchen mitten ins Wohnzimmer. Das war aus ihrer Sicht die größte Strafe – Bandscheibe hin oder her: zuzusehen, wie Lara da draußen rumflitzt und sie nicht mitmachen durfte, das war einfach ungerecht! Josie ist 15 Jahre alt geworden und hatte nie mehr Probleme mit dem Rücken.

Fazit

Toben ist toll, aber es gilt hier wie beim Menschen der Satz: Nicht so wild, sonst heult gleich einer! Wichtig ist es, als Hundebesitzer richtig zu reagieren, den Patienten zur Untersuchung beim Tierarzt vorzustellen, sowie Geduld bei der über Wochen gehenden Nachsorge aufzubringen. Das Schöne ist: Wenn alles überstanden ist, kann der Patient auch nach einem solchen Eingriff sehr gut und mobil leben.