Der Fall „Nemo“: Eine seltene Autoimmunerkrankung der Haut bei einem Welpen

Nemo, ein großer Schweizer Sennenhund, war gerade viereinhalb Monate alt, als er Symptome einer sehr seltenen Autoimmunerkrankung entwickelte. Bis zu diesem Zeitpunkt war er ein ganz normal entwickelter Welpe, spielte, schlief und fraß, wie es für einen Hund in seinem Alter typisch ist, ist regelmäßig geimpft und entwurmt worden und hatte keinerlei Auffälligkeiten gezeigt.

Aus einem harmlosen Kopfschütteln wird ein Notfall

Es fing zunächst ganz harmlos an: Nemo schüttelte mit dem Kopf, zeigte also Symptome wie bei einer Ohrenentzündung. Doch trotz Therapie wurde das Schütteln intensiver, zusätzlich war er sehr unruhig, entwickelte Rötungen der Haut am Bauch und starken Juckreiz. Als er bei mir vorgestellt wurde, waren Blasen am Bauch sichtbar, die sich von den Achseln bis zur Leiste ausgedehnt hatten und sich großflächig ablösten und nässten. Die Innenflächen der Ohrmuscheln waren blutig-eitrig mit Krusten, und Nemo hatte starke Schmerzen, Fieber und kaum noch Appetit. Zusätzlich entwickelten sich Veränderungen an den Lefzen, an der Zunge und im Zwischenzehenbereich: Die oberflächlichen Hautschichten lösten sich ab. Es war ein offensichtlicher Notfall, wie er in der dermatologischen Praxis eher selten auftritt.

Nemo wurde zunächst symptomatisch mit fiebersenkenden Medikamenten und Schmerzmitteln versorgt. Am nächsten Tag erfolgte eine eingehende Untersuchung und weitere Diagnostik in Narkose. In solchen Fällen, die sich rasant entwickeln und mit Störungen des Allgemeinbefindens einhergehen, ist es ratsam, schnell Proben für die patho-histologische Untersuchung der Haut zu entnehmen, bevor sich die Situation weiter verschlechtert und eingesetzte Medikamente das Ergebnis verfälschen können.

Durch Biopsien zur Diagnose

Zur Abklärung wurden an mehreren veränderten Hautstellen Gewebeproben entnommen und zur Untersuchung an ein pathologisches Labor geschickt. Außerdem wurde ein Abstrich für die hausinterne mikroskopische zytologische Untersuchung gemacht und ein Blutbild erstellt, was jedoch keine Auffälligkeiten zeigte. Das pathologische Ergebnis kam nach zwei Tagen. Die histologischen Veränderungen waren typisch für eine Erkrankung der dermo-epidermalen Grenzzone. Um die Erkrankung zu verstehen, ist es sinnvoll, den Aufbau der gesunden Haut zu kennen. Die Haut besteht aus drei Schichten und den Hautanhangsorganen (Drüsen und Haare). Die äußerste Schicht ist die mehrschichtige Epidermis, die eine Barriere gegenüber der Umwelt darstellt. Als „Unterlage“ der Epidermis dient die Basalmembran als Verankerung. Die Schicht darunter heißt Lederhaut (Dermis), sie enthält Gefäße und Nerven, darunter folgt die verschiebliche Unterhaut.

Eine seltene Form von Autoimmunerkrankungen greift körpereigene Strukturen der Haut an und führt zu großflächigen Blasen und Ablösungen der Haut – ein Notfall in der dermatologischen Praxis!"

Dr. Catrin Unsicker

Körpereigene Antikörper greifen die Haut an

Zurück zu den seltenen Erkrankungen der dermo-epidermalen Grenzzone, die genau an dieser Basalmembran entstehen. Nemos Körper bildete aufgrund ungeklärter Ursache eigene Antikörper gegen Bestandteile der Basalmembran. Hierdurch kam es zu einer Ablösung der Epidermis von der Dermis, wodurch sich die oben beschriebenen Blasen bildeten, die sich immer weiter ablösten. Aufgrund der Ausbildung von Vesikeln und Bullae werden sie auch bullöse Autoimmunerkrankungen oder vesiko-bullöse Erkrankungen genannt. Zu diesem Erkrankungskomplex gehören Schleimhautpemphigoid (ca. 50 %), Epidermolysis bullosa acquisita (ca. 20 %), Bullöses Pemphigoid (ca. 15 %) und einige weitere, noch seltener vorkommende Varianten. Im Zusammenhang mit klinischen Symptomen, Lokalisation der Veränderungen, Rasse und Alter lässt sich die Diagnose eingrenzen. Bei Nemos Erkrankung handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Bullöses Pemphigoid. Hierbei sind typischerweise die Ohrmuscheln, Stamm, Bauch, Achseln, Maulschleimhaut, Lefzen und Zwischenzehenbereiche betroffen, jedoch nicht die Ballen. Ursächlich können zwar Medikamente eine Rolle spielen, meistens entsteht die Erkrankung jedoch ohne erkennbaren Auslöser. Es gibt keine kommerziellen Bluttests für den Nachweis dieser Antikörper, deshalb sind für eine weitere Eingrenzung spezielle Färbungen der Proben notwendig. Diese sind sehr aufwendig, werden nur in wenigen spezialisierten Labors durchgeführt und waren für die Behandlung von Nemo nicht ausschlaggebend. Nemo erhielt in den folgenden Wochen eine immunsuppressive Kombinationstherapie, außerdem Antibiotika gegen die Sekundärinfektionen, sowie schmerz- und entzündungshemmende Medikamente.

Wegen des seltenen Auftretens gibt es nur wenige datenbezogene Studien. Im Laufe der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass bei vielen Tieren mit gut überwachten immunsuppressiven Therapien eine Heilung eintritt. So auch bei Nemo. In den Tagen nach Beginn der Therapie ging es ihm Tag für Tag besser. Die Hautveränderungen trockneten, Nemos Fieber sank und er hatte wieder guten Appetit. In den folgenden Wochen wurden die immunsuppressiven Medikamente langsam ausgeschlichen. Wegen möglicher Nebenwirkungen wurden regelmäßige Blutkontrollen durchgeführt. Nach zehn Wochen konnte Nemo ohne Medikation entlassen werden. Sein Zustand war stabil, er war wieder ein kerngesunder junger Hund. Mittlerweile ist Nemo über zwei Jahre alt, und man merkt ihm nicht mehr an, dass er als Welpe einmal so schwer krank war.

Fazit

Eine seltene Form von Autoimmunerkrankungen greift körpereigene Strukturen der Haut an und führt zu großflächigen Blasen und Ablösungen der Haut – ein Notfall in der dermatologischen Praxis! Eine schnelle Biopsieentnahme sichert die Diagnose und durch eine immunsuppressive Therapie kann eine Heilung herbeigeführt werden.