Vera Schmitz: "Anstandsregeln für Hund & Mensch"

Meine tägliche Arbeit mit Mensch und Hund besteht in erster Linie darin, den Menschen zu erklären, wie Hunde ticken, weshalb ich mich auch lieber als Dolmetscher für Mensch und Hund, als Hundetrainer bezeichne. Einerseits werten Hunde Dinge oft ganz anders als Menschen, in anderen Fällen darf gerne auch überlegt werden, wie Menschen untereinander ein Verhalten werten würden, was sie beim Hund als „normal“ empfinden.

"Platz da, jetzt komm' ich!"

Ein Hund liegt mitten im Raum. Der Platz um ihn herum reicht locker, um an ihm vorbeizugehen. Der kürzeste Weg wäre aber geradewegs "durch den Hund hindurch". Doch man möchte den Vierbeiner nicht "aufscheuchen", da er dort "so lieb liegt". Bei einem solchen Beispiel erkläre ich in der Regel, dass die Menschen „viel zu nett“ zu ihrem Hund sind, der nun leider nicht die Nettigkeit seines Menschen bewundert, weil er ihn ungestört liegen lässt, sondern das Verhalten seines Menschen als Respekt vorm eigenen Körper wertet. Dies ist eine Situation, in der sich der Mensch dem Hund gegenüber kleiner zeigt, als er tatsächlich ist. Beobachtet man Hunde untereinander, erkannt man schnell. dass rangniedrigere Hunde einem ranghöheren Vierbeiner ausweicht, bzw. den Weg freimacht.

Respekt vor dem Körper

Nun ja kann man hier denken, wo sich denn das Problem versteckt. Das findet sich häufig an ganz anderer Stelle, wenn die Kunden mich fragen, was sie tun können, damit ihr Hund sie nicht mehr anspringt. Diese beiden Situationen liegen nach meinen Beobachtungen meist ganz eng beieinander. Hier geht es um den Respekt vor dem Körper. Zollt der Mensch diesen dem Hund, ist es aus Hundesicht ja unlogisch, in anderen Situationen Respekt vorm menschlichen Körper zu haben. Natürlich können Hunde dies auch bei einzelnen Menschen unterscheiden. Der Startschuss wird häufig schon bei Welpen in der Welpenspielgruppe gelegt, wenn drei kleine Fellknäule in Richtung eines Menschen rennen und dieser „zum Schutz der Welpen“ einen Schritt zur Seite macht. Wen wundert es da, dass der 35 Kilogramm schwere Labrador auf der Hundewiese mal eben einen Menschen "umnietet"? Selbst Schuld meint dieser, wenn er mir nicht aus dem Weg geht…

Die Neugier der Hunde...

„Ich kann meinen Hund nirgendwo mit hinnehmen, er markiert immer in fremden Wohnungen. Neulich hat er bei meiner Freundin in der Wohnung an die Couch gepinkelt.“ Wer kennt diese und ähnliche Situationen nicht? Man nimmt seinen Hund mit zu Freunden, und kaum dort im Garten oder der Wohnung angekommen wird die Frage an die Gastgeber gerichtet, ob man den Hund ableinen darf. Kein Problem, sollte man denken, denn schließlich soll der Hund ja seine Freiheit genießen.

ABER: Hunde markieren nun mal nicht wie Menschen, die beispielsweise ihre Jacke über die Lehne des Stuhls hängen, der für die Länge ihres Aufenthalts „ihr“ Platz ist. Hunde nehmen gleich mal ein wenig mehr in Anspruch und hängen ihre „Jacke“ an allen Ecken im Garten auf, oder wie im genannten Fall in der Wohnung an der Couch und der Gardine. Zum Glück sind ja die meisten Hunde so gut erzogen, dass sie indoor das lassen, was sie outdoor ausgiebig erledigen. Ich persönlich vergleiche einen Kurzbesuch bei Freunden mit einem Restaurantbesuch, wo ich meinen Pinscher keinesfalls frei laufen lassen würde.

Meinen Kunden erkläre ich das wie folgt: "Stellen Sie sich vor, Sie öffnen mir die Tür, begrüßen mich freundlich und ich tue das, was ein abgeleinter Hund meistens tut. Ich gehe gleich mal in die Küche, öffne den Kühlschrank und bediene mich, danach gehe ich ungefragt in alle Räume und schaue mich ausgiebig um, natürlich lasse ich mich von geschlossenen Schränken und Schubladen nicht abhalten, das täte der Hund auch, wenn er es könnte“. Das wäre anstandslos, so benimmt man sich nicht in fremden Wohnungen.

Diese und etliche andere Missverständnisse begegnen mir immer wieder. Mal abgesehen davon, dass die meisten Hunde, die einen Hundekumpel zu Besuch bekommen, dies genauso sehen. Es gehört sich einfach nicht, die Nase in alles zu stecken. Das sind dann immer mal wieder Situationen, in denen sich auch unter guten Hundefreunden ein Streit entwickeln kann. Die Besitzer können das nicht verstehen, weil „die sich doch schon so lange kennen und sie draußen doch immer so schön miteinander spielen".

Bitte nicht füttern!

Auch so ein Thema mit verdammt viel Konfliktpotential. Viele Hundehalter haben Leckerli dabei, was ich vollkommen in Ordnung finde. Aber muss man gleich die ganzen Hunde auf der Wiese damit füttern? Man würde doch fremde Kinder, die auf dem Spielplatz sind, auch nicht mit Eis oder Schokolade versorgen, ohne deren Eltern um Erlaubnis zu fragen, oder? Viele Hunde leiden unter Futtermittelunverträglichkeiten, sind gerade auf Diät, bzw. möchten das die Besitzer einfach nicht. Und das sollte auf jeden Fall respektiert werden.

Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich doch jedes Mensch-Hund-Team ist, und wie man lernen muss, individuell miteinander umzugehen."

Vera Schmitz, DOGS-Hundetrainerin

Gegenseitige Rücksichtnahme

Viele „Kleinigkeiten“ führen im Alltag mit Hund immer wieder zu Problemen. Beispiel: Hundebegegnung. Mir ist schleierhaft, warum immer noch ganz viele Hundebesitzer davon ausgehen, dass sich fremde Hunde bei einer Begegnung auf engem Raum nicht nett „Hallo“ sagen. Ich gehe doch auch nicht durch die Stadt und strecke jedem meine Visitenkarte oder meine Hand entgegen, um mich aufzudrängen. Wenn die Hunde könnten, wie sie wollten - und das sieht man ganz häufig bei sehr sensiblen und ursprünglich kommunizierenden Hunden - würden sie einen höflichen Beschwichtigungsbogen um den Artgenossen laufen. Hunde, die frei und in Rudeln ohne menschlichen Einfluss leben, kämen nicht auf die Idee, Rudelfremde beim ersten Anblick freundlich auf eine Stippvisite im eigenen Rudel einzuladen. Rudelfremde werden viel eher verjagt. Oder man hält den rudelfremden Artgenossen auf Distanz, indem zum Beispiel eine Duftmarke gesetzt wird, bzw. mit einem Blickkontakt klarmacht, dass sich dieser besser aus dem Staub macht.

Macht ein Hund Besitzansprüche geltend, indem er bellend sein Grundstück verteidigt, heißt das nicht unbedingt, dass er jeden Eindringling "schreddern" würde. Solche Begegnungen können zu einem Problem werden. Wie aber kann man besser damit umgehen? Ein Blickkontakt, der länger als einen Augenblick dauert, bedeutet immer, dass man etwas möchte. Ein angeleinter Hund, der womöglich noch zwischen seinem Mensch und dem anderen Hund laufen „muss“, kann nicht frei kommunizieren. Er kann keinen Bogen laufen und wird unbewusst von seinem Besitzer in eine schwierige Situation gebracht. Und wenn der eigene Hund dann nicht auf der abgewandten Seite läuft, überträgt man ihm die Verantwortung („Das ist dein Job, kümmere dich mal“).

Diese und ähnliche Situationen gibt es täglich: Themen wie Blickkontakte, Individualdistanz, Begrüßungsrituale (wenn Hunde zu Hause den Pförtner spielen) oder Dominanzverhalten (wenn sich die Vierbeiner als Kontrollfreak aufführen) führen immer wieder zu Missverständnissen und Problemen zwischen Mensch und Hund.

Es bleibt viel zu tun - packen wir es an.