Marion May: "Der Gesang des Rudels"

Portrait Marion May
von Marion May – 21.12.2016

Es ist stockduster. Minus 25 Grad. Keine Elektrizität. Das ist gerade aber unwichtig. „Jip, jip,jip!“ schreit mir mein Hund ins Ohr, wild zappelnd. Die anderen jaulen tiefer mit. Ich bin da, um sie zu beruhigen. Interessante Idee. Ich hocke dick vermummt mitten in der Nacht im Wald von Finnland. Lappland, um genau zu sein. Und es ist klar, dass mein Hundeteam sich jetzt nicht beruhigen lässt. Nicht, wenn zwei Gespanne aufbrechen dürfen zum Rennen und wir nicht mitrennen werden. Ich habe Gänsehaut und das Gefühl, dass so vor Urzeiten Menschen die Wölfe im Wald gehört haben. 

Wir haben eine ganze Weile überlegt, ob wir mitten im Winter mit Hunden durch Lappland unterwegs sein wollen. Ist es da nicht 24 Stunden am Tag dunkel? Wie kalt wird es? Gibt es Nordlichter? Und dann sind wir gestartet. Wir sind nach Kittilä geflogen und waren schon am nächsten Tag in der Heimat der Huskys und Malamuts. Wir haben uns im Hundecamp von den Welpen in die Nase zwicken lassen und dann hat uns der Musher, der Chef des Rudels, unsere Teams vorgestellt. Für die nächste Woche ist jeder von uns für vier Hunde und ein Gespann verantwortlich. 

Gefrorenes Fleisch statt Kleidung
Elite, Idaho, Finjar und Rocca heißen meine. Wir lernen die Hunde anzuschirren und laden auf – sehr wenig persönliches Gepäck, viel gefrorenes Fleisch und Trockenfutter, Lebensmittel. Wir brauchen auch nicht viel: Die Kälteausrüstung wurde uns gestellt und wir sehen in den dicken Hosen und Jacken aus wie Michelinmännchen. Kalt ist niemandem, die trockene Kälte ist angenehm zu ertragen und bereitet kaum Probleme. Aber von denen soll später erzählt werden.
Im sogenannten „Frühlingswinter“ sind die Tage nördlich vom Polarkreis schon deutlich länger als in Mitteleuropa. Direkt hinter dem Hundecamp geht es los. Unsere Gespanne stehen hintereinander und schon beim losfahren merkt man, warum jeder Schlitten drei verschiedene Bremsen hat. Die Hunde sind kaum zu halten, sie wissen, dass es gleich losgeht und machen einen Irrsinnslärm. Dieser Gesang ist das, was am deutlichsten in Erinnerung bleibt: er ist eindringlich, sehr ursprünglich und unverwechselbar. 

Geht´s jetzt endlich los? Muss das mit dem Geschirr echt sein? Ich will jetzt mit den anderen laufen!

Finjar, Idaho, Elite, Rocca

Finjar, Idaho, Elite, Rocca, Huskys und Malamuts

Finjar und Idaho sind mein Leitpaar und hüpfen aus dem Stand übereinander. Mist. Ich trete die Bremskralle ins Eis, laufe nach vorne, um das Geschirr zu entwirren. In der Zeit hat sich Elite aus ihrem Geschirr gewiggelt und schaut mich unschuldig wedelnd an. Argh! Ist ja klar, dass ich erstmal nicht der Chef hier bin. Irgendwann stehen alle so, wie sich der Erfinder von Schlittenhunden das gedacht hat. Der Musher fährt voran, unsere Gespanne mit ein wenig Abstand hinterher. Unser Job ist, den Abstand zu halten, so dass kein Hund Kufe in die Beine bekommt. Darauf zu achten, dass keiner der Hunde in den Tiefschnee gerät und sich den Muskel zerrt. Anzuhalten, wenn einer kackt, so dass wir ihn nicht mitschleifen. Und nicht umzufallen. Klingt einfach. Allein, den ganzen Tag auf dem Schlitten zu stehen, ist brutal anstrengend. Wir fahren, die Pausen sind kurz, damit die Hunde nicht zu kalt werden. (Und somit kommen wir zu den Problemen – wenn die Menschenmädchen nur fünf Minuten haben, sich aus den vielen Schichten zu pellen, um irgendwo hinter einen Baum zu verschwinden, dabei selbst nicht in den Tiefschnee einzutauchen und vielleicht einen Schluck Tee abzubekommen, kann das echt in Stress ausarten!) 

Schnee, Tannen, Seen, Stille

Aber es lohnt sich. Es ist still. Eine Stille, die nur entsteht, wenn es keine Menschen gibt, kein Verkehr, auch keine Tiere im Wald summen und zwitschern. Es gibt Elche hier und Bären und eine Dohlenart – aber all die sagen nichts. Und die Hunde rennen unermüdlich. Um uns herum Schnee und Tannen. Tannen und Schnee. Schnee. Tannen. Und manchmal ein See, der fest zugefroren ist. 

Jeden Abend kommen wir an eine Hütte und sind schon rechtschaffen fertig. Noch ist das Tagwerk nicht getan: Die Hunde kommen an eine lange Kette. Nicht, weil sie weglaufen, aber damit es nachts keine Rangordnungsrangeleien gibt. Jeder bekommt eine Kelle Trockenfutter. Wir laden ab, hacken ein Loch in den See, schmelzen Wasser. Einer geht mit der Schippe auf den Lagerplatz der Hunde und beseitigt den gefrorenen Kot der Vorgruppenhunde. Zwei andere hacken das gefrorene Fleisch in handliche Stücke. Und die restlichen machen herzhafte Eintöpfe für die Menschen. Es gibt einen klaren Ablauf: Eine Stunde nach dem Trockenfutter bekommen die Hunde Wasser, werden auf Verletzungen untersucht und begutachtet, eine weitere Stunde später bekommt jeder sein gefrorenes Stück Fleisch. Es sind erstaunliche Tiere. Eine Schippe Trockenfutter, ein Stück Fleisch und sie rennen den ganzen Tag. Allein von der Ernährung würden unsere Stadthunde krank, hier ist das Team topfit. Wenn wir morgens zu ihnen kommen, hat sich jeder eine kleine Kuhle in den Schnee geschmolzen. 

Die beste Art zu reisen ist mitten in der Natur

Wir Menschen sitzen erschöpft und satt in der Abendsonne vor unserer Hütte. Meist gibt es eine Sauna, die einer anwirft. Wir lernen schnell, Wasser mit dorthin zu nehmen, um uns zu waschen: Dort ist es warm. Das WC wird zum TC (Trockenklosett) in einer extra Hütte und nachts stapfen wir mit Schneehose und Stiefeln dorthin. Luxus ist anders. Und es ist dennoch der größte Luxus. Wir sind mitten in der Natur, es ist still, der Musher pennt sogar manchmal draußen bei seinen Hunden, weil er keine Lust hat auf den Raum, in dem wir alle schlafen. Man kommt sehr zu sich und zur Ruhe. Und dann sprinten wir alle raus – ein Nordlicht! Die grünen Bänder breiten sich wellenartig über den Himmel, in echt viel zarter als auf den vielen Fotos, die wir gesehen haben. 

Unser Fazit: Fünf Tage Tour durch Lappland sind einzigartig. Der enge Kontakt mit den Hunden ist ein Erlebnis auch für Nichthundebesitzer, man kommt ihnen nahe und wächst als Team zusammen. Sie rennen für uns, wir versorgen sie, man kuschelt und sorgt sich. Die Stille der Landschaft ist meditativ und beeindruckend – und draußen unterwegs zu sein ist prinzipiell die beste aller Arten zu reisen. Und es genügt, fünf Tage unterwegs zu sein. Denn die Landschaft gleicht sich jeden Tag und so wunderbar der Tagesablauf ist: Dann ist es auch gut.