Fotograf Dirk Gebhardt - "Deko-Kitsch und sozialistische Improvisationskunst"

Portrait Kai Voßkämper
von Kai Voßkämper – 21.02.2017

Es ist ein klirrendkalter Februarmorgen in Köln. Zwar scheint die Sonne, doch die Temperaturen halten sich zuverlässig am Nullpunkt. Nur gut, dass ich mir am Tag zuvor noch warme Gedanken mit einem Bildband über Kuba machen konnte. Die Verbindung der kalten Kölner Parklandschaft und dem feuchtwarmen Kuba will mir allerdings noch nicht so gut gelingen. Genauso wie die Verbindung zwischen den Bildern des Fotobuchs und ihrem Fotografen, mit dem ich zu einer Hunderunde mit seiner rumänischen Mischlingshündin Chilli im Beethovenpark verabredet bin. Vor mir steht Dirk Gebhardt, Professor an der FH-Dortmund und preisgekrönter Fotograf. Auf den ersten Blick wirkt der gebürtige Kölner eher zurückhaltend und unscheinbar. Auf den ersten Blick denkt man auch nicht, dass sein Beruf und seine Leidenschaft für Fotos ihn schon um die halbe Welt geführt hat. Eher nimmt man ihm den intellektuellen Professor ab. Doch wie so oft, täuscht der erste Eindruck, genau wie in Gebhardts Bildband.

Wenn man das Fotobuch aufschlägt, taucht man in eine Welt, die schon lange vergangen scheint. Alltagsszenen, wie aus der Zeit gefallen. Kaputte Plattenbauten mit viel Patina, Pastelltönen in Türkis und Rosa und eine Welt aus Deko-Kitsch und sozialistischer Improvisationskunst. Die Bilder könnten auch vor 20 Jahren entstanden sein. Doch genau da täuscht der Blick. Eigentlich wurden sie nämlich letztes Jahr aufgenommen und eigentlich wollte Gebhardt gar keinen Bildband machen. Die Idee kam erst nach der Reise im Gespräch mit Kollegen. Jetzt hat er 250 Exemplare des Buches drucken lassen. Für Freunde, Bekannte und Menschen, die einmal einen anderen Eindruck von Kuba bekommen wollen (erhältlich bei Slanted Publishers zum Preis von € 24,90).

Fidel ist nicht der Vater aller Kubaner

Die Bilder erzählen Gebhardts Sicht auf das Kuba des 21. Jahrhunderts, an dem viel Entwicklung völlig vorbeigegangen ist. Internet gibt es kaum und Handys sind, wenn überhaupt, nur auf dem Schwarzmarkt zu haben. Sie sind auf Gebhardts Fotos die einzigen Zeugen des Fortschritts. Der Rest wirkt wie Vergangenheit. Kuba ist heute ein Land zwischen Nostalgie und Aufbruch zwischen Revolution und Resignation. Genau diesen Gegensatz transportieren die Fotos. Deutlich wird das durch die kurzen spanischen Phrasen und Propagandasprüchen, welche die sorgfältig inszenierte Geschichte aus Bildern immer wieder unterbrechen. Worte, als Ausdruck von Kubas zerrissener Seele. Den Satz “Fidel no es padre de todos Cubanos“ (übersetzt: Fidel ist nicht der Vater aller Kubaner) hat Gebhardt in den Bildband geschrieben, weil ein Taxifahrer es genau so formuliert hat. Für das alte Kuba ungewöhnlich, für das Heutige gar nicht so selten. Bis zu seinem Tod hat sich Castro immer als Vater aller Kubaner inszeniert und er wurde auch von vielen dort so gesehen. Nur mittlerweile wird der „maximo lider“ auch sehr kritisch betrachtet. Ein sehr gegensätzliches Bild. Genau das will Gebhardt in seinem Buch dokumentieren. Doch wie kommt man so nah an die kubanische Seele, wie es in dem Buch gelungen ist?

Distanzierte Nähe

Gebhardt spricht fließend Spanisch und Portugiesisch. Darum wird er in Kuba immer wieder für einen Brasilianer gehalten. Genau das merkt man den Fotos auch an. Auf eine leichte Art und Weise wirken die Bilder nicht gestellt und bauen somit eine vertraute Nähe zur Szene auf. Der Betrachter kann voll und ganz eintauchen in das Kuba der heutigen Zeit. Für seine Bilder bewegt sich Gebhardt bewusst abseits der Touristenspots. Wie zum Beispiel bei den Bildern des Wanderzirkus in Remedios oder das Bild eines Pferdeverleihers im Vale dos Engenhos. So kann er das echte, ursprüngliche Kuba dokumentieren und ist auch immer Teil der Szene. Viele Fotos entstehen gemeinsam mit seiner brasilianischen Frau, die selbst sechs Jahren auf Kuba gelebt hat. Damit hat Gebhardt einen ganz anderen, eigenen und sehr privaten Zugang zu den Situationen und Szenen und schafft eine vertraute Nähe. Dennoch scheint er aber die Distanz als Fotograf zu seinen Protagonisten nicht zu verlieren. Wie er das macht wird klar, wenn man weiß wie er arbeitet.

Ich genieße es, wenn Dirk mit mir morgens in aller Ruhe die erste Runde dreht.

Chilli

rumänische Mischlingshündin, 4 Jahre

„Ich werde alt und faul“

Gebhardts Vorgehensweise beim Fotografieren ist einfach und unprätentiös. „Aus der Hüfte geschossen“ beschreibt seinen Stil wohl am besten. Am liebsten arbeitet er mit einer kleinen kompakten Fuji (X-Pro 2) mit verschiedenen Festbrennweiten zwischen 18 und 70 Millimeter. Große Spiegelreflexkameras mag er weniger. Nach eigener Aussage wird er alt und faul. Aber hinter dem Satz steckt mehr als Alter und Faulheit, dahinter steckt ein Konzept. Kleine Kameras schaffen weniger Distanz und doch noch genug Distanz, um das Foto so hinzubekommen wie Gebhardt es will. Die Bilder wirken wie Schnappschüsse, sind aber sorgfältig ausgewählt und komponiert. Mit den Jahren hat Gebhardt den Blick geschärft und seine Methode verfeinert. Er spricht während des Fotografierens mit den Menschen, verzichtet auf den Blick durch den Sucher und drückt dann ab. So hält er immer auch den speziellen Moment des Augenblicks fest. Es ist seine Erfahrung, die die Bilder zu dem machen was sie sind. Gezielt ausgesuchte Situationen aus dem Alltag, die er dann dem Zufall überlässt und bei denen die Kamera keine Rolle zu spielen scheint. Es ist das Gefühl für den Augenblick und eine intuitive Vorstellung von dem was Gebhardt zeigen will. Mit seinem Buch erzählt er die Geschichte aus 90 Jahren Kuba. Der Betrachter soll voll und ganz abtauchen und nach jedem Bild wissen wollen wie es weitergeht. Doch das weiß man in Kuba selbst noch nicht so genau.

Cuba – 90 años fidel
Verlag: Slanted Publishers
166 Seiten, 75 Fotografien, 17 x 24 cm Hardcover                  Herausgeber: Dirk Gebhardt
Gestaltung: Lars Harmsen
ISBN: 978-3-9818296-1-7
Preis: 24,90 Euro