Picovelli - "Großstadtdschungel"

Portrait Kai Voßkämper
von Kai Voßkämper – 08.05.2017

Zwei Künstlerinnen aus der Kölner Südstadt wollen die Kölner Kunstszene aufmischen. Picovelli. Was so klingt wie eine italienische Eisdiele, ist nicht weniger als der erste mutige Schritt zweier Kölner Künstlerinnen, die endlich ihren eigenen Weg beschreiten wollen. Das große Ziel: Von ihrer Kunst irgendwann leben zu können. Für die meisten Menschen klingt das wie eine Träumerei - für Anni und Emma ist das allerdings großer Ernst. Ich bin mit den beiden Künstlerinnen und dem Rüden Pico im Kölner Stadtwald verabredet. Hier, so verrät mir Picos Besitzerin Anni, kann sie sich jeden Tag entspannen und Kraft und Ideen für neue Kunst schaffen. Wenn sie Zeit hat, geht ihre Freundin Emma mit. Am meisten Zeit allerdings verbringen die beiden zusammen in ihrem gemeinsamen Atelier in der Kölner Südstadt.

Das zweite Leben fängt gerade erst an.

Anni ist 29 und Emma 28. Beide wohnen und arbeiten in Köln und beide haben einen Traum. Von ihrer Kunst und ihrer kreativen Arbeit leben zu können. Wenn ich mir all das, was ich über die beiden jungen Frauen erfahren habe, vorstelle, fällt mir als erstes eine sehr bekannte Plattitüde ein. Gegensätze ziehen sich an! Nur eine sehr bedeutende Sache haben die beiden jungen Frauen gemeinsam. Beide haben ein „erstes“ Leben schon hinter sich, und das zweite fängt gerade erst an. Anni hat lange Zeit in einem Beruf gearbeitet, der sie nicht glücklich gemacht hat. Sie war im Betrieb ihres Vaters angestellt, einem Vertrieb für Medizinprodukte. Sie hat ihre Ausbildung dort gemacht und war während ihres Abendstudiums für das Marketing im Unternehmen zuständig. Schon bald danach findet sie sich in einer Welt wieder, in der sie immer weniger zurechtkommt. Immer häufiger fragt sie sich nach dem Sinn ihrer Arbeit. Nach einigen Jahren dann der Schlag. Anni war komplett ausgebrannt. Diagnose: Burnout. Und das mit 27. Langsam hat sie sich danach zurückgekämpft, und irgendwann war ihr klar, wo ihr Weg hinführen würde. Weg aus der kühlen, strukturierten Welt der Zahlen hin in ein unstrukturiertes Leben als Künstlerin. Für viele klingt das verrückt. Für die junge Frau jedoch nimmt ihr Lebenstraum gerade Form an. Unter "MuliArts" veröffentlicht sie jetzt ihre Bilder.

Lockiges, unzähmbares Weib!

Was für die eine ein Befreiungsschlag ist, ist für die andere das Einlassen auf Verpflichtungen. Emma hat eine ganz andere Geschichte hinter sich. Ihren ersten Lebensjahren verbringt sie in Kalifornien und Deutschland, bevor sie dem Ruf ihrer Wurzeln folgt, um in Rumänien Kulturwissenschaften zu studieren. Über Umwege fand sie sich dann in Köln wieder. Der rumänisch-kölsch-amerikanische Lockenkopf hat sich dann hier in Deutschland auf Fotografie und Mediendesign spezialisiert. Emmas Künstlername lautet „curlyshrew“ - übersetzt heißt das so viel wie „lockiges, unzähmbares Weib“. Und genauso sieht sie sich auch. Wo bei der einen ein sehr dominanter Vater für Desorientierung sorgte, brachte die Abwesenheit des Vaters bei der anderen Orientierung. Weil ihre Mutter so frei lebte, wurde Emma mit der Gewissheit groß, sebst alle Freiheiten zu haben, nur fehlte ihr irgendwann die Struktur. Die bekommt sie jetzt durch ihre Freundin Anni. Genau dieser Gegensatz ist für beide Inspiration. Anni bricht auf in ein freies, ungebundenes Leben. Emma gibt damit ein Stück Freiheit auf. "Für mich ist es eine Herausforderung, so eine Verpflichtung einzugehen, weil ich es gewohnt bin, meine Freiheit zu haben“. Mit Anni fällt Emma die Bindung leichter. Auch wenn Anni auf den ersten Blick die "Künstlerin mit den Kopf in den Wolken" ist, gibt sie der abgeklärt wirkenden Medienfrau Emma Struktur. Umgekehrt gibt es dann eine Portion Unbekümmertheit.

Ist mir doch egal, was Anni sagt - ich mach' sowieso, was ich möchte.

Pico

Pudel-Yorki-Mix, sechs Jahre alt

Kunst ist Freiheit für mich

Zwei Mädels auf ihren ersten Schritten in ein selbstständiges Leben. Kreativität bedeute für beide Freiheit. Die Freiheit, sich selbst und die inneren Gefühle auf Leinwand, Fotos oder in Illustrationen zu verwandeln. Expressionistisch also: Aber nicht im Sinne der Kunstrichtung, sondern im buchstäblichen Sinn. „Ich möchte gerne das, was in mir steckt, in Kunst verwandeln", sagt Anni, die Malerin von den beiden“. Sie wusste gar nicht, dass sie das Talent in sich trägt und hat dieses erst in der Therapie entdeckt. Anni malt episch. Sie braucht immer noch weitere Kunstwerke, an denen sie neben dem Hauptwerk arbeitet. Manchmal merkt sie gar nicht, wie sie etwas malt, sie regirstiert erst nach dem Prozess, was sie eigentlich auf die Leinwand gebracht hat. Es ist wie ein Trancezustand, der in ihrem Kopf Glücksgefühle und Emotionen freisetzt.

Großstadtdschungel als Plattform für Künstler

Mit ihrem gemeinsamen Atelier setzen die beiden Künstlerinnen alles auf eine Karte. Das wichtigste Projekt für sie ist der „Großstadtdschungel“. Eine Zeitschrift, in der sich junge Künstler aus der Kölner Szene präsentieren können. Doch Anni denkt noch weiter. In ihrer Vorstellung entsteht aus der Zeitschrift noch viel mehr. Sie denkt an einen Künstlertreffpunkt in der Kölner Südstadt. „Am liebsten hätte ich ein Kaffee mit Künstlerwerkstatt, in dem immer wieder Ausstellungen und Aktionen stattfinden können. Eine Zukunft, die sich beide sehr wünschen und die auch der Kölner Kunstszene zu wünschen ist, denn gerade junge Künstler haben es nicht leicht, eine geeignete Plattform zu finden.