"Gestank aus dem Maul" - die Geschichte von Terrier Herkules

Herkules ist ein erst 6-jähriger Terriermischling. Als er in meiner Tier-Zahnarztpraxis vorgestellt wurde, erzählten mir Herrchen und Frauchen eine lange, leider auch typische Krankheitsgeschichte. Herkules stinkt nämlich seit Jahren schon aus dem Maul. Während Herrchen, der viel Zigarren raucht, dieser Geruch weniger aufgefallen war, hielt es Frauchen schlicht nicht mehr aus und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Beim nächsten Tierarztbesuch anlässlich der Schutzimpfung sollte der Haustierarzt dazu befragt werden. Dieser stellte dann auch einen gewissen Zahnsteinansatz fest, konnte sich den üblen Geruch aber auch nicht erklären. 

Dann machte Frauchen etwas, was sie (wie es sich erst später herausstellen sollte) schon des Öfteren getan hatte: Sie ging mit dem Hund in den Pflegesalon. Dort wurde er getrimmt und wegen des üblen Geruches schön mit Hundeschampoo abgeschruppt. Das fand „Herkules“ übrigens nicht halb so toll wie Frauchen und wälzte sich nachmittags erstmal gründlich in einem Kuhfladen, um diesen üblen Schampoo-Geruch wieder loszuwerden. Die Hundepflegerin ging dann auch daran, den Zahnstein von Herkules Zähnen mit einem Zahnsteinkratzer abzukratzen, was zu heftigem Zahnfleischbluten führte. Aber der üble Geruch blieb.

Als ich dann in meiner Praxis die vollständige Vorgeschichte aufnahm, berichtete Frauchen geradezu empört, dass sie nun etwa drei bis viermal pro Jahr im Hundesalon den Zahnstein habe abkratzen lassen, der Geruch aber geradezu immer stärker würde! Tatsächlich zeigte sich bei meiner ersten Untersuchung ein eigentlich nicht allzu starker Zahnsteinansatz (Bild 1 & 2). Bei genauer Betrachtung sah man allerdings zwischen den Zähnen Eiter hervorquellen, und der Gestank beschlug mir fast die Brille! Wo kam das her?

Bereits die sorgfältige Untersuchung des Zahnfleisches zeigte eine kleine Öffnung oberhalb des oberen rechten Eckzahnes (Pfeil in Bild 3). Das war die – leicht zu übersehende – Fistelöffnung eines parodontalen Abszesses. Hier hatte sich unterhalb des Zahnfleisches eine solche Menge an Eiter gebildet, dass sich dieser einen Abfluss nach außen suchen musste und diesen Fistelgang gebildet hatte. Weiter hinten im Maul sahen wir erst nach Zurückschieben der Lefzen eine üble Überraschung: Alle Backenzähne steckten in einem See von grün-gelbem Eiter, darin eingebettet Haare und Futterreste, und die beiden letzten Zähne wackelten bereits. Schon nach dieser ersten Untersuchung konnte ich den Besitzern von Herkules die gute Mitteilung machen, dass ich ihrem Hund helfen könne. Es wurde sofort eine antibakterielle Behandlung  mit einem speziellen Antibiotikum eingeleitet, das besonders im Speichel und im Zahnfleisch wirkt und die zerstörerischen Eitererreger abtötet. Ein OP-Termin für die folgende Woche wurde vereinbart, um eine Röntgenuntersuchung der Zähne durchzuführen und eine grundlegende Reinigung des Gebisses durchzuführen. Mir war allerdings schon am Tage der Erstvorstellung klar, dass die Besitzer viel zu lange gewartet hatten und dass etliche Zähne wohl nicht mehr zu retten sein würden!

Die Röntgenaufnahme (Bild 4) bewies dann auch, was ich schon aufgrund der typischen Vorgeschichte hatte vermuten müssen: Die Zahnpflegebemühungen im Pudelsalon waren zwar gut gemeint. Für Herkules und sein chronisch entzündetes Zahnfleisch allerdings sehr schmerzhaft. Und vor allem völlig uneffektiv! Während sich die Hundepflegerin mit dem Kratzer an den sichtbaren (oberhalb des Zahnfleisches gelegenen) Zahnbelägen abgemüht hatte, fand der wirklich gefährliche, zahnzerstörerische Krankheitsprozess unsichtbar unterhalb des Zahnfleisches in der Tiefe des Zahnbettes statt! Zu allem Überfluss neigen viele Hunde (vor allem Terrier-Rassen) dazu, dass in solchen chronischen Fällen das Zahnfleisch anschwillt (Zahnfleisch-Hypertrophie) und damit die Taschen am Zahnhals immer tiefer werden. Das mögen die Eiterbakterien!

Die Untersuchung mit der Zahnsonde zeigte dann auch, dass sämtliche Zähne im Maul von Herkules extrem tief und mit Eiter und Gewebsresten, Haaren und Futterresten gefüllt waren. Diese Untersuchung wird zu Beginn einer Sanierungsbehandlung in Kurznarkose durchgeführt. Zuvor werden alle Zähne oberhalb und unterhalb des Zahnfleischrandes mit einem Ultraschall-Scaler gereinigt. Dieses Zahnstein-Entfernungsgerät kennt man vom eigenen Zahnarzt. Mit Ultraschall und reichlich Spülflüssigkeit wird das gesamte Gebiss gereinigt, was man beim Hund ausschließlich in Narkose machen darf, weil die Tiere den Ultraschall viel intensiver wahrnehmen würden als wir Menschen. Nach kompletter Gebissreinigung, Taschensondierung und Befundung der Röntgenaufnahmen kam dann für Herkules die Stunde der Wahrheit: In der Tiefe hatte die chronische Zahnfleischvereiterung zur Zahnlockerung und sogar zu einem weitreichendem Knochenschwund geführt. Auf der Röntgenaufnahme (Bild 5) sieht man deutlich, dass alle zweiwurzligen Backenzähne nicht mehr tief vom Knochen umschlossen werden und sich der Kieferknochen generell zurückgebildet hat. So mussten die wackeligen hinteren Backenzähne alle gezogen werden, ebenso die kleinen Schneidezähnchen. Schade, diesen Zähnen konnte ich nicht mehr helfen, aber Herkules blühte auf, weil er keine Zahnschmerzen mehr hatte und den ganzen Eiter nicht mehr runterschlucken musste. Auch die bereits deutlich veränderten Blutwerte und seine körperliche Leistungsfähigkeit verbesserten sich sehr schnell. „Wir haben wieder einen jungen, agilen Hund“, freute sich Frauchen anlässlich der Nachuntersuchung zwei Wochen später

Fazit für die Praxis
Jeder Zahnsteinansatz sollte unverzüglich entfernt werden, und zwar vom Fachmann! Nicht der sichtbare Zahnbelag ist das Problem, sondern die unsichtbaren zerstörerischen Vorgänge in der Tiefe. Deswegen muss neben der Reinigung immer eine Sonden-Untersuchung aller Zähne und eine Röntgenkontrolle vorgenommen werden! Das geht leider nicht ohne Narkose!