Betty hat (jetzt keine) Zahnschmerzen (mehr)

Die zwölfjährige Betty wurde in unserer Praxis vorgestellt, weil sie kein hartes Futter mehr fressen wollte. Selbst Leckerchen wurde verschmäht, was eigentlich so gar nicht Bettys Art ist. Der Verdacht auf eine schmerzhafte Erkrankung innerhalb der Maulhöhle lag also nahe. Bei der Untersuchung der Maulhöhle fiel zunächst auf, dass das gesamte Gebiss starke Abnutzungserscheinungen zeigte, diese jedoch nicht die unmittelbare Ursache des aktuellen Problems darstellte. Bei der genaueren Betrachtung der hinteren Backenzähne kamen wir dann der Ursache für ihre Zahnschmerzen schnell auf die Spur.

Zahnsteinbildung mit Entzündung und Rückgang des umgebenden Zahnfleisches

An beiden Oberkieferreißzähnen war bereits bei der klinischen Untersuchung hochgradige Zahnsteinbildung mit Entzündung und Rückgang des umgebenden Zahnfleisches zu sehen. Diese Zähne werden der Untersuchung erst zugänglich, wenn man die Lefzen eines Hundes anhebt und zurück schiebt. Die Reißzähne im Oberkiefer haben drei Wurzeln und verrichten mit den Unterkieferreißzähnen zusammen die wichtigste Arbeit beim Verarbeiten des Futters. Aufgrund dieser starken Belastung sind sie leider auch häufig von Schäden durch Absplitterung  betroffen.

Es wurde nun ein Narkosetermin vereinbart, um die endgültige Diagnose zu stellen und gleich die entsprechende Therapie einleiten zu können. Zunächst wurde das Gebiss gründlich gereinigt. Danach zeigte sich bereits das Ausmaß der Erkrankung. Beide Oberkieferreißzähne hatten durch eine Absplitterung eine Eröffnung der Zahnpulpa („Innere‘“ des Zahns) erfahren. Daraus resultierend hatte sich eine weit fortgeschrittene Entzündung der Zahnwurzeln und des Zahnhalteapparates entwickelt.

Die Entzündung des Zahnhalteapparates, die Parodontitis, ist vor allem durch dessen irreversible Zerstörung gekennzeichnet, klinisch erkennbar an Rückgang des Zahnfleisches und Abbau von Kieferknochen. Hierdurch werden die Zahnwurzeln, die normalerweise vom Zahnhalteapparat bedeckt sind, zu einem gewissen Grad sichtbar. Dies wird als Furkationsbefall bezeichnet. Bei Betty war die Parodontitis bereits so weit fortgeschritten, dass die Untersuchungssonde komplett zwischen den Zahnwurzeln durchgeschoben werden konnte, was einem Furkationsbefall Grad 3 entspricht. Dies ist eine Indikation zur Extraktion des betroffenen Zahnes, so dass bereits nach Abschluss der eingehenden klinischen Untersuchung der Maulhöhle in Narkose das Schicksal von Bettys Oberkieferreißzähnen besiegelt war. 

Vor der Extraktion der Zähne ist es unerlässlich, sich mittels Röntgenbildern einen genauen Überblick über den Zustand der Zahnwurzeln und des umgebenden Kieferknochens zu verschaffen, um die Extraktion auch sicher durchführen zu können. Dies gelingt mit intraoralen Einzelzahnaufnahmen, die mit einem speziellen Dentalröntgengerät angefertigt werden.

Bei Betty war röntgenologisch eine deutliche Entzündung der Wurzelspitzen zu sehen. Diese Wurzeln sind besonders fragil, so dass bei einer Extraktion sehr vorsichtig gearbeitet werden muss, damit sie nicht abbrechen. Bei der Extraktion der Oberkieferreißzähne ist zu beachten, dass diese drei Wurzeln besitzen. Der Zahn muss also mit einem speziellen Bohrer oder Trennscheibe in drei einzelne Teile zerteilt werden und zwar so, dass danach zu jeder Wurzel ein gerader Zugang von der Maulhöhle aus besteht. Dann kann jede Wurzel einzeln mit speziellem Instrumentarium zunächst vorsichtig gelockert und schließlich extrahiert werden. Nach der Extraktion der Zähne konnte man auch mit bloßem Auge die schweren Schäden, die die Entzündung angerichtet hatte, an den Wurzeln erkennen.

Um die Wunde, die durch die Zahnextraktion entsteht, im Anschluss wieder verschließen zu können, werden vor Beginn Wundlappen, sogenannte Flaps, aus dem Zahnfleisch präpariert, die nach der Extraktion über das leere Zahnfach gelegt und vernäht werden, so dass ein kompletter Wundverschluss gewährleistet ist. Dies verhindert Verunreinigungen durch Futter und führt zu meist schnellem und komplikationslosem Abheilen der Extraktionswunde.

Eine gute Zahnhygiene, am besten durch regelmäßiges Zähneputzen, und eine routinemäßige gründliche Inspektion der Maulhöhle ist der beste Schutz vor unerkannten Maulhöhlenerkrankungen und daraus resultierenden Schmerzen.

Katja Carstanjen, Tierärztin

Auch wenn in Bettys Fall die funktionell wichtigen Oberkieferreißzähne nicht mehr zu retten waren, konnte ihr dennoch durch die Extraktion geholfen werden. Denn nun hat sie keine Zahnschmerzen mehr, und der Verlust der beiden Zähne kann durch das restliche Gebiss kompensiert werden.  Die Befunde lassen den Rückschluss zu, dass die beidseitige chronische Entzündung sich schon über viele Monate hingezogen hat. Durch die Lage der Zähne weit hinten in der Maulhöhle, fallen hier Veränderungen dem Besitzer auch nicht so ohne weiteres auf. Nach der vollständigen Abheilung frisst Betty auch hartes Futter wieder mit der alten Begeisterung.

Fazit: Unsere Hunde sind in der Lage erhebliche Schmerzen sehr lange vor uns zu verbergen. Etwa 80 Prozent aller Hunde über drei Jahren leiden an einer Erkrankung der Maulhöhle, welche sich langfristig immer auch negativ auf die allgemeine Gesundheit des Hundes auswirken wird.